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Universitätsarchiv

Sanderring-Uni

Die Neue Universität am Sanderring

Ein Streifzug durch die Geschichte des Hauses

„Was heißt hier neue Universität? Die steht doch am Hubland!“ Was viele Erstsemester und Würzburg-Neulinge verwirrt: Das Hauptgebäude der Uni am Sanderring, die Neue Universität, sieht nicht wirklich neu aus. Eingeweiht wurde es am 28. Oktober 1896.

Wer auf dem Hubland-Campus studiert, sieht die Neue Universität am Sanderring in der Regel nicht sehr oft. „Neue Uni“, das ist für diesen Personenkreis eher das Hubland oder der Campus Nord. Dass es zusätzlich zum historischen Unigebäude am Sanderring auch noch die Alte Universität in der Domerschulstraße gibt, dürfte die Verwirrung der Uni-Neulinge noch steigern.

„Man kennt ein Ding erst dann, wenn man seine Geschichte kennt“: Darum macht auch nur ein historischer Exkurs klar, warum die Neue Uni trotz ihres Alters nicht die Alte Uni ist. Am Anfang der 1582 von Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn gegründeten Würzburger Hochschule steht das Alte Universitätsgebäude in der Domerschulstraße, nach neunjähriger Bauzeit anno 1591 fertiggestellt – für damalige Verhältnisse ein kolossaler Bau, in dem der ganze Hochschulbetrieb genügend Platz fand.

Immer mehr Studenten und Raumnot

Doch die Universität wuchs, und das besonders stark im 19. Jahrhundert, als Medizin und Naturwissenschaften einen gewaltigen Aufschwung erlebten. Der Raum im Universitätsgebäude wurde immer knapper. Deshalb wurden nach und nach Institute gegründet, alle am heutigen Röntgenring. Die Studentenzahl verdreifachte sich von 1853 bis 1896 fast, von 606 auf 1.624.

Doch letzten Endes war die Gründung all der neuen Institute nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Hauptgebäude, der heutigen Alten Universität, befanden sich nicht nur Lehrräume, sondern auch naturwissenschaftliche und kunsthistorische Sammlungen, Wohnungen für den Rektor und für Professoren, Verwaltung und Bibliothek. Kein Wunder, dass die Klagen über die Raumnot immer lauter wurden.

Die Erlösung nahte zu Beginn der 1870er-Jahre, nachdem der Festungsring um die Stadt beseitigt war. Zu dieser Zeit griff der akademische Senat die Idee auf, der Raumnot durch einen weiteren Neubau Herr zu werden. Allerdings dachte niemand daran, ein neues Hauptgebäude zu errichten – die altehrwürdigen, vertrauten Räume aufzugeben, erschien pietätlos. Zunächst war nur geplant, den Buchbestand der Universität in ein neues Haus zu verfrachten. Die Suche nach einem Bauplatz aber sollte sich noch Jahre hinziehen.

Bücher brauchen keine luftigen Zimmer

Die Bibliothek sollte möglichst nahe beim Hauptgebäude, gleichzeitig aber ruhig und abgeschieden liegen und Platz für Erweiterungen bieten. Etliche Flächen wurden ins Auge gefasst, unter anderem das Gelände zwischen Rennweg und St. Johanniskirche oder der Platz, auf dem heute das Justizgebäude steht. Doch alle wurden wieder verworfen. Mal gab es ästhetische Bedenken, mal politischen Widerstand.

Der Baugrund am heutigen Sanderring wurde im Dezember 1876 gewählt. In den folgenden Jahren aber gerieten die Pläne fast in Vergessenheit, weil andere Neubauten wichtiger schienen. Letztendlich war es Professor Georg Schanz, der der Angelegenheit eine Wendung gab. In der Senatssitzung am 9. März 1885 vertrat er den Standpunkt, man solle das alte Universitätsgebäude ganz der Bibliothek und dem kunstgeschichtlichen Museum überlassen und auf dem für die Bibliothek bestimmten Bauplatz ein Kollegienhaus errichten. Er wies auf den Mangel an Hörsälen in der Alten Universität hin, deren schlechten Zustand und den Lärm, den der starke Wagenverkehr in den belebten Straßen rund um die Universität verursache. Man solle doch nicht den Büchern luftige und sonnige Räume schaffen, während man den Menschen zumute, „ihren Pflichten in düsteren und geräuschvollen Zimmern gerecht zu werden“.

Die Idee fand positive Resonanz. Ende 1892 wurde der Neubau im Stil der Spät-Renaissance unter dem Architekten Rudolf Ritter von Horstig in Angriff genommen. Horstig, 1858 in Michelbach bei Alzenau geboren, hatte in München Architektur studiert und dort beim Bau des Zentralbahnhofs mitgearbeitet. Seit 1883 lebte er in Würzburg, wo er 1892 Vorstand der königlichen Universitätsbauinspektion wurde.

„Aeusserungen warmer Anerkennung“ bei der Einweihung

Der Tag der Einweihung, der 28. Oktober 1896, wurde feierlich begangen. Morgens versammelte sich die Festgesellschaft an der Alten Universität, um Abschied von den vertrauten Räumen zu nehmen. Der Festzug führte zum neuen Gebäude, wo die Ehrengäste warteten. Nach einer Feierstunde in der Aula stand eine Besichtigung des Hauses auf dem Programm, die „bei allen Theilnehmern Aeusserungen warmer, bewundernder Anerkennung über die glücklich erzielte Verbindung von Schönheit und Zweckmäßigkeit hervorrief“, wie es in einer Schrift des akademischen Senats von 1897 („Das Neue Universitätsgebäude der kgl. Bayer. Julius Maximilians-Universität zu Würzburg. Dessen Baugeschichte und Einweihungsfeier“) heißt.

Allerdings war das Bauwerk an diesem 28. Oktober noch nicht komplett: Das Dach des Mittelbaus präsentierte sich nackt. Die Figurengruppe, ein Entwurf des Münchener Bildhauers Hubert Netzer, wurde erst später aufgesetzt. Sie zeigt Prometheus, der die Fackeln des geistigen Fortschritts hoch emporschwingt – gegen die finsteren Mächte der Unwissenheit und Rohheit, für Wahrheit und Recht. Ergänzt werden die Figuren durch eine Bronzetafel mit der Inschrift „Veritati“ – der Wahrheit sollte das Haus geweiht sein. Die Inschrift geht auf den Würzburger Theologen Herman Schell zurück und war dessen persönliches Motto. Schell war damals Rektor der Universität.

Büsten an der Hausfassade

Zwei Büsten zieren auch heute noch die Fassade des Hauses. Eine zeigt den zweiten Universitätsgründer, Fürstbischof Julius Echter, die andere den Prinzregenten Luitpold von Bayern. Ein Bildnis des Erstgründers, Fürstbischofs Johann von Egloffstein, prangt über dem Seitenportal zum Geschwister-Scholl-Platz. Ursprünglich war das Gebäude asymmetrisch, der West- im Vergleich zum Ostflügel nur ein Stummel. Erst nach einem Anbau in den Jahren 1915 bis 1918 besaß die Neue Universität zwei gleich große Seitenflügel.

Auf Beschluss des Senats erhielt das Gebäude den Namen „Neue Universität“, da es von Anfang an nicht nur als Kollegienhaus angelegt war, sondern als neues Hauptgebäude der Universität mit allen Amtsräumen ihrer Selbstverwaltung. Dazu gab es Hörsäle für die theologische, juristische und die philosophische Fakultät; im Untergeschoss befanden sich die Wohnungen des Hausmeisters und des Maschinisten, Heizräume, Registraturen, der Reservekohlenraum und die Waschküche.

Auch ein Turnsaal mit 175 Quadratmetern Fläche war dort untergebracht. Doch wo die Studenten früher der körperlichen Ertüchtigung frönten, geschieht heute eher das Gegenteil: Man turnt nicht, sondern sitzt und gibt sich dem Koffein hin – der frühere Sportsaal dient jetzt als Cafeteria.

Auch die Nutzung anderer Räume hat sich verändert. Wo im ersten Stock ursprünglich ein Hörsaal eingerichtet war, befindet sich heute das Dienstzimmer des Universitätspräsidenten. Dass sich das neu gebaute Haus in Zukunft verändern würde, war bei der Einweihung sicher jedem klar. Doch wohl keiner ahnte damals, dass es nicht einmal 50 Jahre dauern sollte, bis das Bauwerk von Horstig in Schutt und Asche fiel.

Vorlesungen in der Ruine

Beim Bombenangriff am Abend des 16. März 1945 ereilte die Neue Universität dasselbe Schicksal wie die restliche Innenstadt. Von der Rohheit, gegen die er seine Fackeln hochhielt, blieb auch Prometheus nicht verschont – geborsten und enthauptet thronte er nach der Attacke nur noch auf einer Ruine. Der Wiederaufbau begann noch im Sommer 1945. Zunächst machten sich freiwillige Helfer ans Werk, darunter auch Professoren und Studenten: Schutt räumen, Baumaterial beschaffen.

Noch im Herbst 1945 nahm die Theologische Fakultät den Lehrbetrieb wieder auf, wenn auch nur behelfsmäßig. Im Januar 1946 schlossen sich die Philosophische und Naturwissenschaftliche Fakultät an. Für Studierende und Dozenten ist es heute sicher schwer vorstellbar, Vorlesungen in einer Baustelle zu haben. Erstes, ordentliches Hörsaalgestühl wurde erst 1949 installiert. Ende 1950 waren für den Aufbau der Neuen Universität 2,15 Millionen Mark ausgegeben worden, wie aus den Akten des Universitätsbauamtes hervorgeht – das entspricht rund zehn Millionen Euro in heutiger Zeit.

1954 wurde beschlossen, das Auditorium maximum als „reinen Zwecksaal“ mit rund 500 Plätzen einrichten zu lassen. Ein Jahr später wurde das Audimax eingeweiht. „Der neue Festraum unterscheidet sich von der früheren Aula durch die sachliche architektonische Note, die an Stelle der großen Marmorsäulen und der üppigen Stukkaturen getreten ist, wie sie dem Repräsentationsbedürfnis einer entschwundenen Zeit entsprach“, schrieb damals die Main-Post. Bis heute hat das Audimax die nüchterne Ausstattung behalten – abgesehen von drei großen Rundbogenfenstern mit integrierten Türen, die Zugang zu den Balkonen bieten und viel Tageslicht in den Raum lassen. Die großen Fenster waren früher wohl für eine gute Atmosphäre bei den Vorlesungen bitter nötig, denn erst 1963 wurde in den Hörsälen ein Rauchverbot erlassen.

Vierter Flügel für noch mehr Studenten

1960 übergab das Universitätsbauamt das Gebäude offiziell an die Universität – zu einer Zeit, als bereits die nächste Erweiterung in Form eines vierten Flügels geplant war, denn die Hochschule wuchs weiter. Im Sommersemester 1957 waren 2.935 Studenten eingeschrieben, drei Jahre später fast 4.800, im Sommer des Jahres 1965 überstieg die Zahl die Marke von 7.000. In diesem Jahr wurde auch der Grundstein für das erste Gebäude auf dem Campus am Hubland gelegt.

Für den vierten Flügel, in dem heute die Volks- und Betriebswirtschaftler untergebracht sind, standen mehrere Modelle zur Diskussion, unter anderem der Bau eines Hochhauses im Anschluss an den Westflügel hin. Schließlich wurde der neue Flügel so angelegt, dass er zusammen mit den drei Flügeln des Altbaus eine große Halle umschließt, den Lichthof, geeignet für Ausstellungen, Feste – oder auch für Sit-ins. Zwar spielten sich solche Aktionen in Würzburg zur Zeit der Studentenunruhen vor allem im Studentenhaus ab. Doch auch die Neue Universität war Ziel des Protestes: In der Nacht zum 13. Juli 1968 flogen Steine gegen das Glas der Haupteingangstüren. Die Schäden hielt das Universitätsbauamt auf Fotos fest und kommentierte sie nüchtern: „12 Steine, 10 Treffer“. Seinerzeit wurde allerdings gemunkelt, nicht Würzburger, sondern eigens für die Tat angereiste Frankfurter Studenten hätten die Steine geworfen.

Alte Stadtmauer beim Parkplatz

Um den vierten Flügel verwirklichen zu können, musste das Haupttreppenhaus (Foto) abgerissen werden. Der Würzburger Literat, Maler, Kunstkritiker und Denkmalschützer Heiner Reitberger (1923-1998) bedauerte das unter seinem Pseudonym "Kolonat“ am 22. Februar 1969 in der Main-Post: „In naher Zukunft wird abgebrochen, was stets ... das Beste gewesen ist in der Neuen Universität, das Haupttreppenhaus. Die im Bombenbrand beschädigten neobarocken Stukkaturen wurden zwar nicht erneuert, und an der Treppe vom ersten zum zweiten Oberstock, wo einst urnenbekrönte kurze Pfeiler die Geländer hielten, fehlen – bis auf das oberste – die originalen Schmuckgitter ... Im ganzen aber hat der Aufgang ... noch viel Würde.“

Durch den Anbau ging mit dem Haupttreppenhaus zwar eine historische Struktur verloren, doch dafür kam eine andere zum Vorschein: Beim Ausheben der Baugrube auf der Rückseite der Neuen Universität stießen die Arbeiter auf Reste der mittelalterlichen Zwingermauer aus dem 15. Jahrhundert. Die alte Stadtbefestigung wurde wieder hochgemauert und schließlich in die Erweiterung der Neuen Universität integriert. Sie säumt jetzt sowohl die Abfahrt zur Tiefgarage als auch den oberirdischen Parkplatz. Bei der Rekonstruktion wurden auch die halbrunden Türme der Mauer angedeutet. Zum Teil mit Pflanzen bewachsen, verleiht sie dem Platz zwischen der Regierung von Unterfranken und der Neuen Universität einen besonderen Charme.

Moderne Plastiken im Lichthof

Richtfest für den Anbau war im Oktober 1970. Weitläufiger Mittelpunkt des Neuen Universitätsgebäudes ist seit dieser Zeit der Lichthof. In Wandnischen an dessen Ost- und Westseite sind plastisch dargestellt: Adam und Eva, ihnen vis à vis der Baum der Erkenntnis. Dem historischen Siegel der Universität steht das Bayerische Staatswappen gegenüber. Versinnbildlicht sind auch die Weltkugel und die Stadt Würzburg, letztere in ihren Farben Rot und Gold in Art eines Mobile. Schließlich ist Julius Echter in Stein portraitiert – ein Werk des Würzburger Bildhauers Helmuth Weber.

Und so bieten die Kunstwerke im Lichthof dem ob der Frage „Alte“ oder „Neue“ Universität verwirrten Studenten einen Ansatzpunkt für historische Recherchen: Ausgehend vom Gründer der Alten Universität, Julius Echter, dessen Antlitz der Erstsemester vom Etikett auf Würzburger Weißbierflaschen kennen dürfte, kann er die bauliche Entwicklung der Universität erschließen. Am Ende hat er sozusagen den „Baum der Erkenntnis“ erreicht und weiß, warum die Neue Universität nicht die Alte ist.

Robert Emmerich

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