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Nobelpreisträger

100 Jahre Physik-Nobelpreis für Wilhelm Carl Wien (1864 – 1928)

„Die Wissenschaft ist ein Organismus, der sich nach seinen inneren Gesetzen entwickeln muss. Ich möchte sie mit einem Baum vergleichen, der eine grosse Krone bekommen hat und weiter wächst, der sich aber nur die Stoffe zu assimilieren vermag, die er für seine Entwicklung brauchen kann. Und so kann auch die Wissenschaft nur die Ideen in sich aufnehmen, die ihrer Entwicklung gemäss sind. Alles andere wird ausgeschieden und versinkt im Meere der Vergessenheit." (Wilhelm Wien: Bankett Rede vom 10. Dezember 1911, in: Les Prix Nobel en 1911, Stockholm 1912, S 55.)

So äußerte sich Wilhelm Wien am 10. Dezember 1911 in seiner Bankett Rede im Rahmen der Verleihung des Nobelpreises für Physik. 100 Jahre nach der Ehrung erinnern wir an den deutschen Physiker und blicken auf dieses für ihn so ereignisreiche Jahr zurück. Mit welcher maßgebenden Idee beeinflusste Wilhelm Wien das Wachstum des Organismus „Physik“?

Ein neuer Zweig: Wiens Forschungen zur Wärmestrahlung

Mit der zehnten Verleihung des Physik-Nobelpreises 1911 reihte Wilhelm Wien sich in die Reihe erfolgreicher deutscher Physiker ein; namentlich unter ihnen Wilhelm Conrad Röntgen, der 1901 als erster den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der X-Strahlen erhielt. Beiden Physikern gemeinsam ist nicht nur die Lehrtätigkeit am Institut für Physik in Würzburg. Auch Wien beschäftigte sich mit Strahlung – nämlich der der Wärme. So stellte er Gesetze der Wärmestrahlung auf und formulierte den Zusammenhang zwischen Temperatur und Wellenlänge schwarzer Strahlung. Grundlage hierfür war die Beobachtung des Emissionsverhaltens glühender Körper. Dabei entwickelte er den Gedanken, das Strahlungsverhalten in einem Behälter mit reflektierenden Wänden zu untersuchen. Die Strahlung behandelte er nicht als etwas von einem Körper ausgehend, sondern als Substanz selbst. Durch dieses Prinzip verdeutlichte er, dass die Hohlraum- bzw. Schwarzkörperstrahlung sich weitestgehend an das ideale Strahlungsverhalten annähert. Seine Erkenntnis findet sich im Wien’schen Strahlungsgesetz wieder. Das Verhältnis von steigender Temperatur und sich verkürzender Wellenlänge, das sich daraus ableiten lässt, ist auch praktisch beobachtbar. Es erklärt unter anderem warum eine eiserne Herdplatte zu Beginn rot und mit steigender Temperatur sich gelb bis weiß verfärbt.

In der praktischen Beobachtbarkeit physikalischer Gesetze – wie in dem Experiment zur Schwarzkörperstrahlung – lag eine weitere Errungenschaft jener Zeit. So war Wien ein Vertreter der neu aufkommenden experimentellen Physik; fühlte sich aber dennoch auch als Vertreter der theoretischen. Er selbst befasste sich mit den Zielen und Methoden der Theoretischen Physik u.a. in einer von ihm verfassten Festrede zum 332-jährigen Bestehen der Alma Julia. Am 11. Mai 1914 hielt er diese Rede und stellte fest: „Ich kann diese scharfe Trennung von Theorie und Experiment nicht als zweckmäßig bezeichnen, weil der Physiker, der nie etwas anderes als Theorie getrieben hat, Gefahr läuft, sich in künstlichen und spitzfindigen Spekulationen zu verlieren ohne die Zurechtweisung zu erfahren, welche die Natur ihren Beobachtern immer aufs neue angedeihen lässt.“ (Wilhelm Wien: Ziele und Methoden der Theoretischen Physik, Würzburg 1914. S. 4., UWü HK 24) In der Verschmelzung beider Ansätze in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis bereitete er den Weg hin zu einer modernen Physik – wie es Gottfried Landwehr 2009 in einem Aufsatz über ihn formulierte.

Zunächst als Erfolg gefeiert, wurde die Allgemeingültigkeit des Wien’schen Strahlungsgesetzes bald in Frage gestellt. Bei höheren Temperaturen so stellten seine Kollegen, Otto Lummer und Ernst Pringsheim, bei experimentellen Untersuchungen fest, konnte das Strahlungsgesetz nicht angewandt werden. Max Planck vermochte das Problem zu lösen. In seinen Experimenten stimmten Beobachtungen und Strahlungsgesetz durch die Revision der klassischen Physik überein und ermöglichten darüber hinaus die Aufstellung der Quantenhypothese. Das Wien’sche Strahlungsgesetz von 1896 stellte in diesem Zusammenhang einen Extremfall von Plancks Gesetz dar. Wiens Erkenntnisse zur Wärmestrahlung sollten sich so auch in anderer Hinsicht als Errungenschaft für die Physik herausstellen.

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Wachstumsgarant für die Wissenschaft: Die Idee des Nobelpreises

Die zeitliche Diskrepanz von Erkenntnis in der Wissenschaft und Anerkennung durch die Gesellschaft – wie sie bei Wilhelm Wien und anderen Wissenschaftler bekannt sind – spiegelt sich in der Verleihung des Nobelpreises besonders wieder. Zugleich zeigt es die Schwierigkeit der Aufgabe, über die Alfred Nobel am 27. November 1895 in seinem Testament verfügte. Getreu seinem Ausspruch „Gerechtigkeit gibt es nur in der Phantasie“ veranlasste Alfred Nobel die Etablierung einer Preisverleihung, mit dem Ziel eben diese Gerechtigkeit der Anerkennung und der Förderung wissenschaftlicher Errungenschaften herzustellen. In diesem Sinne sollte fortan der Nobelpreis an diejenigen verliehen werden, die in den fünf Bereichen Physik, Chemie, Physiologie und Medizin, Literatur und Errungenschaften für den Frieden die wichtigste Entdeckung oder Leistung vollbrachten. Die finanzielle Grundlage bildete Nobels Vermögen, welches nach seinem Tod in einen Fonds umgewandelt wurde. Aus den jährlichen Zinsen sollte ein jeweils gleich großer Teil als Preisgeld für die fünf Kategorien  gebildet werden. – Ergänzt wurden die Kategorien 1968 um die Wirtschaftswissenschaften, wobei dieser Preis formal von der Schwedischen Reichsbank gestiftet und nicht aus dem Vermögen Alfred Nobels finanziert wird.

Auf seiner Bankette-Rede 1911 lobte Wien die Etablierung des Nobelpreises als Form der Würdigung: „Nicht immer sind die wissenschaftlichen Bestrebungen so anerkannt worden, und es liegt die Zeit noch nicht weit zurück, wo bedeutende Leistungen vergeblich auf Anerkennung warteten. Heute ist der Baum der Wissenschaft gross geworden, er trägt schöne Früchte und ist weithin sichtbar." (Wilhelm Wien: Bankett Rede vom 10. Dezember 1911, in: Les Prix Nobel en 1911, Stockholm 1912, S. 56.)

Diese Früchte ernteten in den ersten zehn Jahren seiner Vergabe viele deutsche Wissenschaftler: Vier Nobelpreise für Physik, fünf Nobelpreise für Chemie und weitere vier Nobelpreise für Medizin wurden in diesem Zeitraum an deutsche Forscher verliehen. Allein vier der Nobelpreisträger der ersten zehn Jahre waren an der Universität Würzburg in Lehre und Forschung tätig: Wilhelm Conrad Röntgen (Physik), Emil Fischer (Chemie), Eduard Buchner (Chemie) und Wilhelm Wien (Physik). Dies verdeutlicht den hohen Forschungsstandard, den Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägte. Doch was damals noch als ein Preis unter vielen betrachtet wurde – so zeigen es die Auflistungen in der Chronik der Universität Würzburg vom 11. Mai 1912 (UWü, HK 250) –, gilt heute als Ritterschlag in der wissenschaftlichen Gemeinschaft.

Seine Wirkkraft und Begehrlichkeit strahlt der Nobelpreis bis heute aus – nicht zuletzt seiner finanziellen Unterstützung wegen. Gleichwohl steht der Nobelpreis auch unter Kritik. Fragen zur zeitgemäßen Würdigung und angemessener Auswahl der Nobelpreisträger stehen ebenso im Mittelpunkt wie die zu seiner gesellschaftlichen Aufgabe. So kann durchaus hinterfragt werden, welchen Einfluss die Würdigung auf das tatsächliche Verantwortungsbewusstsein der Laureaten hat oder welchen Beitrag der Nobelpreis zur internationalen Verständigung geleistet hat? Als Reaktion auf die Kritik entstand der „Alternative Nobelpreis“. Jakob von Uexhüll stiftete ihn 1980 durch den Verkauf seiner Briefmarkensammlung, mit dem Ziel Personen und Organisationen auszuzeichnen, die praktische Lösungsansätze für die Probleme unserer Zeit aufzeigen. So wirkt Alfred Nobels testamentarische Verfügung bis heute auf das Strebensdenken unserer Gesellschaft ein.

Weitere Informationen zum Nobelpreis finden Sie hier.

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Autor: Heike Nickel