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Familienvater

Ein Mann mit vielen Facetten: Wilhelm (Willy) Wien als Familienvater, Dichter und Denker

Wilhelm Wien ist uns bereits als Forscher, Nobelpreisträger, Dozent und Rektor bekannt. Von seinem privaten Leben und Gedanken soll nun der dritte und letzte Teil der Wien’schen Beitragsserie handeln.

Es ist der Nachwelt vergönnt, Wilhelm Wien auf sehr natürliche Weise auch im Privaten kennenzulernen sowie seine eigenen Gedanken und Lebenssituationen nachzuempfinden. Er verfasste 1927 eine autobiografische Schrift. Den Anstoß dazu gab die Anfrage eines Amerikaners. In einem Brief vom 17. August 1927 bat er Wilhelm Wien sein Leben zu skizzieren, wobei er der Fragestellung nachgehen sollte, welche erzieherischen Maßnahmen für sein erfolgreiches Leben bedeutend waren; besonders im Hinblick auf Rat suchende, ehrgeizige, junge Studenten. Nach seiner Rückkehr von einer Reise in die Heimat Ostpreußen Ende August 1927 begann er das Schreiben. Diese Erinnerungen, die durch seinen Sohn Karl Wien nebst Vorträgen und Nachrufen von Kollegen und Freunden 1930 veröffentlicht wurden, sollen seine privaten Züge in diesem Beitrag nachzeichnen. Ebenso sollen eben diese Freunde und Kollegen zu Wort kommen und mit ihren persönlichen Erinnerungen an Wilhelm Wien das Bild dieses Mannes vervollständigen.

Von Gaffken bis München: Wilhelm Wiens Lebensstationen

Gaffken/Fischhausen. Am 13. Januar 1864 wurde in diesem ostpreußischen Ort Wilhelm Carl Wien als Sohn eines Landwirts geboren. Er selbst bezeichnete seine Kindheit als einsam; lag doch das nächste Gut mit Kindern in seinem Alter zu weit entfernt, als dass eine dauernde Freundschaft entstehen konnte. Vieles musste er notgedrungen mit sich selbst ausmachen. Wiens Kindheit war zudem von vielen Ortswechseln geprägt. Nachdem das Gut in Gaffken aus finanziellen Gründen verkauft werden musste, erwarb der Vater ein kleineres Gut in Ostpreußen: Drachenstein bei Rastenburg. Für die Mühen und Anstrengungen seiner Arbeit bewunderte und schätzte Wilhelm Wien seinen Vater. Ein ebenso gutes Verhältnis hatte Wien zu seiner Mutter, die er als tüchtig und warmherzig beschrieb. Die vielen Ortswechsel ergaben sich aber vor allem aus seiner Schullaufbahn. Denn obwohl die Tradition der Landwirtschaft auf mehrere Generationen zurückging und davon auszugehen war, dass auch Wilhelm Wien dieser Tradition folgte, bestanden seine Eltern auf eine angemessene und grundlegende Allgemeinbildung ihres Sohnes. In der dortigen Dorfschule erhielt Wilhelm Wien nur eine lückenhafte Ausbildung. Das führte bei den weiterführenden Schulen immer wieder zu einem Schulwechsel: auf den Besuch des Gymnasiums in Rastenburg folgte der Hausunterricht in Drachenstein und danach wieder ein Wechsel mit dem Besuch des Gymnasiums in Königsberg.

Ähnlich sprunghaft waren seine Ortswechsel in seiner Studienlaufbahn: Göttingen, Berlin und Heidelberg. In jener Zeit kehrte Wien mehrmals nach Drachenstein zurück; vordergründig, um sich über die Entwicklung seines Lebens klar zu werden. 1890 schließlich gab die Familie Wien nach mehreren Missernten das Gut in Drachenstein auf und zog nach Berlin. Hier erhielt Wien eine Anstellung in der Technischen Reichsanstalt unter Hermann von Helmholtz. Zwei Jahre darauf nahm Wien zudem als Privatdozent seine Lehrtätigkeit an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin auf. Der Umzug nach Berlin hatte seinem Vater zugesetzt. Er verstarb kurze Zeit darauf. Zu jener Zeit befand sich Wilhelm Wien nach seiner Habilitation als Privatdozent auf einer Reise in Norwegen. Die Wanderungen, die er gemeinsam mit einem Assistenten August Kundt’s und seinem Bruder machte, hatten zur Folge, dass er diese Nachricht verspätet erfuhr. Die Beerdigung seines Vaters hatte er dadurch versäumt. Dieser Umstand beschäftigte ihn sehr und er brauchte – wie er selbst schreibt – „längere Zeit", um sich von der „eigenen Erschütterung zu erholen".

Nach sechs Jahren in Berlin wechselte Wilhelm Wien 1896 als außerordentlicher Professor nach Aachen. Hier traf er auf Luise Mehler, die Tochter eines Tuchfabrikanten. Sie war eine rheinische Frohnatur und künstlerisch begabt. Wilhelm Wien und Luise Mehler heirateten bald darauf. Wiens Dozententätigkeit in Aachen dauerte bis zum 3. Januar 1899 an. Dann verließ die junge Familie Wien die Stadt Aachen und folgte dem Ruf an die Gießener Universität. Die Aachener Zeit blieb ihm stets in guter Erinnerung. Er bezeichnete sie selbst als wichtigen Markstein seines Lebens; nicht zuletzt aufgrund des Kennenlernens seiner Ehefrau Luise.

Auch der Gießener Aufenthalt sollte nicht von langer Dauer sein. Bereits im selben Jahr bekundete die Würzburger Universität ihr Interesse an Wilhelm Wien als Professor für Physik und Leiter des physikalischen Instituts. Als Nachfolger Röntgens war Wilhelm Wien daher ab dem Frühjahr 1900 in Würzburg tätig. Wien selbst bezeichnete rückblickend die Würzburger Zeit als die schönste und auch schwierigste: So erlebte er in Würzburg die Kriegswirren; fand aber auch gleichermaßen sein gemeinsames Familienglück mit seiner Frau Luise und den vier hier geborenen Kindern (drei Töchter und ein Sohn).

Ihre Wohnung bezog die Familie Wien im Institutsgebäude am Pleicher Ring (heute Röntgenring). Dieser Ort wurde eine feste Institution für die Würzburger Gesellschaft. Max von Frey schrieb in seinem Nachruf auf Wilhelm Wien, seine Wohnung sei ein Ort der Geselligkeit gewesen. Es kamen Würzburger Dozenten der verschiedensten Fachrichtungen und Assistenten. Letztere zählte er als Teil der Familie und so waren diese stets willkommen. Dass Wilhelm Wien ein ruhiger aber geselliger Mensch war, zeigen auch andere Schilderungen und Nachrufe seiner Kollegen. Erich von Drygalski erinnerte sich in seinem Nachruf an die Unterhaltungen mit Wilhelm Wien, die sie zusammen auf dem Heimweg zu führen pflegten. Dabei ging es stets um die Naturwissenschaft, die Politik und die Familie. Auch an den Spaziergängen der Universität am Samstagnachmittag nahm Wilhelm Wien regelmäßig teil; u.a. mit Arthur Hantzsch, Johannes Wislicenus, Eduard Buchner, Theodor Boveri, Oskar Külpe und Friedrich Oetker – Vertreter verschiedenster Fachrichtungen. Darin muss wohl auch Wiens Aufgeschlossenheit gegenüber allen Wissenschaften begründet liegen. Die neue Heimat in Würzburg bot Wien zudem die Möglichkeit, dem Hobby seiner Kindheit nachzugehen: der Jagd. Im Spessart, in der Rhön und im Steigerwald war er dafür wohl am häufigsten anzutreffen. In seiner Berliner Zeit konnte er diese Freizeitbeschäftigung nur selten betreiben. Wochenendausflüge in die Wald- und Seengebiete der Mark Brandenburg dienten daher als Ersatz. Allgemein zählte Wilhelm Wien zu den sportlich aktiven Menschen. Dem Wandern, Bergsteigen und Schlittschuh laufen ging er regelmäßig nach. Diesen Tätigkeiten kam er auch in dem Ferienhaus der Familie in Mittenwald nach. Ein oft anzutreffender Gast war hier Wiens Mutter, die schließlich von Berlin nach Würzburg zog und dort verstarb.

Wiens letzte Lebensstation lag in München. 1920 wechselte er von der Würzburger an die Münchener Universität. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod kreisten seine Gedanken um politische und historische Fragen, hatte er doch wie alle anderen seiner Generation, den ersten Weltkrieg und seine Folgen zu verarbeiten. Am 30. August 1928 schließlich starb Wilhelm Wien in München; unerwartet nach einer Operation. Die große Trauergemeinde nahm am 2. September 1928 um 15.30 Uhr auf dem Münchener Waldfriedhof von ihrem Kollegen, Freund und Familienangehörigen Abschied. Der Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Walther Ritter von Dyck, würdigte ihn am offenen Grab und kam verbunden mit der Zuversicht zu der bitteren Erkenntnis: „Multi pertransibunt et augebitur scientia."

Max Planck (1858 - 1947)

Max Planck lernte – wie er selbst sagte – Wien unter „eigentümlichen Umständen“ kennen. Als Planck den Winter 1885/86 in Ostpreußen verbrachte, trafen beide zufällig bei einer Jagd auf einem nachbarlichen Gut zusammen. Ihm sind die vielen privaten Momente in Erinnerungen geblieben; wie dieser:

„Aber am liebsten und eindrucksvollsten sind mir die Stunden geblieben, die ich bei verschiedenen Besuchen in seiner behaglich reizvoll ausgestatteten Häuslichkeit in Mittenwald als sein Gast verleben durfte. Hier, im Kreise der Seinen, gab er sich ganz als der prachtvolle Mensch, der er war, und in der erfrischenden Heiterkeit seines Wesens spürte man mit Wohlbehagen den warmen Abglanz der Sonne seines Familienglücks."

Eduard Rüchardt (1888 - 1962)

Als Schüler Wiens war Eduard Rüchardt mit ihm seit 1910 bekannt. Sie verband eine enge Zusammenarbeit, weshalb er Wien 1920 als Assistent nach München folgte. Obwohl Wilhelm Wien aus den Darstellungen als lebensfroher und geselliger Mensch hervorgeht, zeigt uns die Einschätzung von E. Rüchardt auch Wiens zurückhaltenden Charakter.

Nur selten wurde mit ihm hier [an der Universität] ein Wort getauscht, das über wissenschaftliche Probleme, Fragen des Unterrichts oder andere berufliche Dinge hinausging. Als innerlich äußerst zart, mitfühlend und empfindlich veranlagte Natur mag er überhaupt im Leben der Außenwelt gegenüber eine vorsichtige Zurückhaltung geübt haben, und es bedurfte eines großen Einfühlungsvermögen, um sein volles Zutrauen zu gewinnen."

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Ein Dichter und Denker in aller Konsequenz

Liest man Wiens autobiografisches Werk so stellt man fest, dass wichtige Impressionen seines Lebens in Gedichtform abgefasst bzw. mir der Dichtung in Berührung kommen. So lassen sich in seiner Autobiografie auch drei selbstgeschriebene Gedichte ausmachen. Zum einen ein Sonett über den Fortgang aus Drachenstein und dem Umzug nach Berlin. Für Wien markierte dies das Ende seiner Jugend, obwohl er bereits in anderen Städten des Reiches studiert hatte, betrachtete er das Gut Drachenstein stets als Refugium einer ihm vertrauten Welt seiner Kindheit. Das Sonett vom 5. März 1890 ist daher seiner Heimat gewidmet. Zum anderen findet sich ein Gedicht in seiner Schrift, welches die ersten Erfolge seiner wissenschaftlichen Arbeit beinhaltet. Zu jener Zeit war Wilhelm Wien an der Technischen Reichsanstalt tätig. Unter Helmholtz konnte er hier eigene Untersuchungen vornehmen und der Forschung ohne Nutzendenken nachgehen; und eben auch erste Erfolge feiern. Ein drittes in seiner Autobiografie veröffentlichtes Gedicht, behandelt den tragischen Tod seines Freundes und Kollegen Paul Drude. Den Schmerz über diesen Verlust bracht er hier zum Ausdruck. Seine Liebe für Gedichte, Literatur und Kunst rührte aus dem Verständnis heraus, dass jede Form der wissenschaftlichen Arbeit auch mit dem Bedürfnis einhergehe, den Geist auch in anderer Weise zu fördern. Besonders Geschichtswerke, der Kanon klassischer Literatur und die Malerei der niederländischen, italienischen und deutschen Renaissancemeister zogen ihn an. 

Eduard Rüchardt (1888 - 1962)

Als sein Schüler machte auch Eduard Rüchardt die Bekanntschaft mit der Denkweise Wilhelm Wiens. Er erinnerte sich an eine Situation und Wiens Worte.

„So häufig und gern Wien sich über wissenschaftliche, künstlerische, literarische, politische und kulturelle Fragen aussprach so konsequent vermied er es, sich über religiöse und metaphysische Probleme zu äußern. [...] Nur einige Zeilen über den Tod möchte ich zum Schluß hierher setzen, die er mir einmal bei einem schweren Verlust den ich erlitten hatte, geschrieben, weil sie beruhigend und versöhnend lauten und uns die majestätisch stille Art, mit der er von uns gegangen ist, näherbringen: ‚Sie haben recht, daß wir, denen das vernunftmäßige Denken zur zweiten Natur geworden ist, solchen Ereignissen des Lebens ratloser gegenüberstehen als andere, aber doch nur, wenn wir auch hier mit den beschränkten Kräften unserer Vernunft an die unerforschlichen Probleme herantreten wollen. Und wenn etwas unerforschlich ist, so ist es die Majestät des Todes, vor der wir uns alle zu neigen haben.’"

Vom Reisefieber gepackt: Familien- und Dienstreisen

Wilhelm Wien reiste gern. So unternahm er mit seiner Frau Luise gemeinsame Reisen nach Holland, Südtirol, Spanien und Norwegen; aber auch ihre Heimat – das Rheinland und Ostpreußen – standen in der Reiseplanung oben auf.

Wenn er ohne seine Frau reiste, berichtete Wien leidenschaftlich und detailliert von dem Schönen, das ihm auf seinen Reisen begegnete. Genauso gern und leidenschaftlich kehrte er auch nach Hause zurück: „Nun freue ich mich sehr, daß ich mich heute ein gutes Stück der Heimat nähern werde. Ich bin nun über 4 Wochen fort und damit ist die Grenze eigentlich schon überschritten.“ (London, August 1904) Diese Reise nach England und durch Schottland unternahm er im Rahmen einer Einladung der British Association for the Advancement of Science in Cambridge. Aber auch von anderen Reisen ist in seiner Autobiografie zu lesen.

Im Jahr 1912 unternahm er eine längere Reise nach Griechenland mit dem Altphilologen Franz Boll. Endlich konnte er die klassischen Stätten, die er aus Büchern kannte, selbst besichtigen. Diese Reise hinterließ sehr tiefe Eindrücke. Auch wenn in Olympia eine „trümmerbesäte Waldeinsamkeit“ herrsche, so könnte man doch an einzelnen Stücken die „unvergleichliche“ griechische Kunst daran ablesen. Eine weitere längere Reise machte Wilhelm Wien im selben Jahr nach Amerika. Er erhielt eine Einladung als Dozent an der Columbia Universität in New York für das Wintersemester 1912/13. Er vernahm diese Reisen als Gegensatz: Griechenland mit einer weit zurückreichenden Geschichte stand für ihn im Gegensatz zum modernen Amerika, das in seinen Augen ganz und gar gegenwarts- und zukunftsbezogen war. Die Erfahrungen mit den „Underground“-Bahnen und die Bekanntschaften mit Amerikanern hinterließen einen bleibenden Eindruck bei Wilhelm Wien. Das „American food“ hingegen löste bei ihm Magenverstimmungen aus und so kehrte er nach dem Ende des Wintersemesters und einigen Besuchen nach Deutschland zurück.

Max von Frey (1852 - 1932)

Der deutsche Physiologe und seit 1899 Professor an der Universität Würzburg, Max von Frey, über das Reisen und die Vereinbarung mit seiner Forscher- und Lehrtätigkeit in Würzburg:

„Die internationalen Beziehungen, die sich ihm eröffneten, verringerten indessen niemals sein Interesse an den Geschehnissen der Würzburger Universität. Pflichtgetreu, geschäftsgewandt, sicheren Urteils hohen Zielen zugewandt, wurde er in allen wichtigeren Angelegenheiten um seinen Rat gefragt."

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Der erste Weltkrieg: Wien’s Erfahrungen als Einblick in das Denken einer Generation

Sein erfolgreiches und glückliches Leben brachte der erste Weltkrieg ins Wanken. „Ich hatte manchmal das Gefühl, auf einem steuerlosen Schiff zu treiben,“ schrieb er 1927. Schon während der ersten Kriegswochen beteiligte sich das Würzburger physikalische Institut insofern am Krieg, indem es die Prüfung und Ausbildung von Methoden zur Übermittlung von Nachrichten vornahm. Die für ihn persönlich schwersten Verluste erlitt Wilhelm Wien im Jahr 1915. In diesem Jahr starben sowohl seine Mutter als auch seine Freunde Theodor Boveri und Oskar Külpe.

Obgleich an der Würzburger Universität kaum noch Studenten vorzufinden waren, versuchte Wien seinen Pflichten als Dozent und zeitweilig als Rektor nachzukommen. Doch es bekümmerte ihn sehr die Leiden des Krieges immer deutlicher vor Augen geführt zu bekommen. Die Nahrungsmittelknappheit ging auch an der Familie Wien nicht vorüber. In Wiens Rückblick ist auch die Beschreibung nachzulesen, wie seine Frau die wertvollsten Gegenstände aus dem Ferienhaus in Mittenwald zusammentrug, um diese vor den deutschen Besetzungen zu retten. Zum Ende des Krieges wurde Wien auch unmittelbar aktiv im Kampf gegen die bolschewistische Bewegung in Würzburg und Bayern allgemein: Er unterstützte zunächst die Organisation der Studentenschaft. Diese bildeten einen Ausschuss und wählten Wien als Vertrauensmann der Studenten und Offiziere im Kampf um die Befreiung vom Bolschewismus in Würzburg. Obwohl einige Studenten der Befreiungsaktion zum Opfer fielen, wurde diese Offensive als Erfolg gewertet. Dies gab den Anstoß, bei der Befreiung Münchens mitzuwirken. Wien selbst blieb allerdings in Würzburg und bildete mit anderen Zurückgebliebenen eine Schutztruppe, die am Bahnhof postiert war. Zu Auseinandersetzungen kam es nicht. Obwohl er selbst viel über die politischen Verhältnisse auch im Hinblick auf die historischen Verbindungen nachdachte, verfolgte er keine politischen Ziele im Allgemeinen. Auch politische Versammlungen mied er. Sofern es etwas Nützliches – wie er selbst sagte – gab, war er bereit sich zur Verfügung zu stellen. Ansonsten hielt er an seiner Meinung fest: „Die Politik hat mit der Kunst auch das gemein, daß jedermann sich für berechtigt hält, über sie zu reden und Kritik zu üben. Wie jeder sich berufen fühlt, über ein Bauwerk oder ein Gemälde ein Urteil abzugeben, so glaubt jeder auch mit den unzureichenden Kenntnissen nicht nur politische Kritik zu üben, sondern auch Ratschläge zu erteilen." Mit diesen hielt er sich daher immer zurück. Zitate und Meinungen seines großen Vorbilds, Otto von Bismarck, lenkten ihn jedoch in seinen Überlegungen zum Krieg.

Die Folgen des Krieges waren für Wien vor allem in der Inflation spürbar, die er eindringlich in seiner Autobiografie beschreibt. Aber auch die Erinnerungen an den Krieg selbst verbunden mit der Frage was nun die Zukunft bringt, beschäftigten ihn sehr - bis zu seinem Lebensende.

Max von Frey (1852 - 1932)

Sein politisches Engagement schätzte Max von Frey, Physiologe und seit 1899 Professor an der Universität Würzburg, wie folgt ein:

„Wenn dem zielbewußten überlegenen Geiste Wiens und seinem tatkräftigen Eintreten für das als richtig Erkannte Würzburg in jenen Tagen viel verdankte, so hat wohl der Umstand, dass hier, wie zu gleicher Zeit auch in Erlangen, in den Studenten eine wohlorganisierte Macht entstand, die dem Bolschewismus erfolgreich entgegentrat, auch auf die Befreiung Münchens und damit ganz Bayerns, günstig eingewirkt."

Hermann Oncken (1869 - 1945)

Herrmann Oncken und Wilhelm Wien trafen erst spät aufeinander. Der deutsche Historiker erinnerte sich in seinem Nachruf vor allem an die mit ihm leidenschaftlich geführten Diskussionen zu politischen und historischen Themen. Und musste am Ende feststellen:

„Von bedeutenden Menschen bleibt immer ein Doppeltes zurück: was sie gewesen sind und was sie geleistet haben. Mir bleibt im letzten Jahrzehnt bei mehr als einem, und zumal bei Wilhelm Wien, auch noch etwas Drittes: ein Bild von dem, wie sie in Ihrem Innern das deutsche Schicksal unserer Zeit getragen haben."

Engagiert: Wiens Mitgliedschaft in Vereinen und Gesellschaften

Wiens Engagement reichte weit. Er war unter anderem im Deutschen Museum München Vorsitzender, Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und der Königlichen Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Außerdem wirkte er als Vorsitzender und Mitglied in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und war Herausgeber der Fachzeitschrift „Annalen der Physik“. Am 20. Oktober 1920, kam es zur Gründung der Helmholtz-Gesellschaft zur Förderung der physikalisch-technischen Forschung. An ihr war Wilhelm Wien maßgeblich beteiligt. Als erster stellvertretener Vorsitzender setzte er sich für die Entwicklung der Gesellschaft ein; fertigte Schriften an, hielt Vorträge und förderte die Bündnisse zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Carl Duisburg (1861 - 1935)

Es erinnerte sich Carl Duisburg, Chemiker und Industrieller, dem Wilhelm Wien das erste Mal 1907 als Mitglied des Vorstandes der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte begegnete:

„Die großen Erfolge dieser Vereinigungen [naturwissenschaftliche Gesellschaften] regten an, auch zur Förderung der physikalischen Forschung den gleichen Weg zu bereiten. Hier fanden wir in W. Wien den Mann, der nicht nur bereit war, sich mit Liebe und Tatkraft in den Dienst der Sache zu stellen, sondern auch die Fähigkeit besaß die vielen Schwierigkeiten persönlicher und sachlicher Art, die sich der Gründung der Gesellschaft entgegenstellten, zu überwinden. [...] Die unvergänglichen Verdienste, die wir dem Forscher W. Wien verdanken, sind durch die Verleihung des Nobelpreises aller Welt sichtbar anerkannt worden. [...] Auch damit [das Engagement für die Gründung der Gesellschaft] hat sich der große Gelehrte ein unvergängliches Denkmal gesetzt.“ (Leverkusen im September 1929)

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