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Lehre

Prof. Dr. Michelle Becka - Professur für Christliche Sozialethik

18.10.2016

Michelle Becka ist seit Juli neue Professorin für Christliche Sozialethik an der Universität Würzburg. Migration und Integration sind aktuelle Themen, mit denen sie sich beschäftigt. Ihre Forschungsschwerpunkte reichen vom interkulturellen Dialog bis zu Fragen der Ethik im Justizvollzug.

Auch wenn die Nachrichten bisweilen kaum zu ertragen sind: Den Kopf in den Sand stecken geht nicht, findet Michelle Becka, neue Professorin an der Katholisch-Theologischen Fakultät. (Foto: Gunnar Bartsch)

Es sind die großen Fragen, mit denen sich Michelle Becka beschäftigt. Fragen nach Gerechtigkeit und Solidarität, nach den Grundlagen einer Gesellschaft und nach ihrem Zusammenhalt. Dabei sieht sie es nicht als ihre Hauptaufgabe an, Antworten auf diese Fragen zu geben. Ihr Job sei es vielmehr, Fragen zu entwickeln und zu formulieren. Denn schließlich kämen manche Antworten heute viel zu schnell und zu routiniert. Deshalb sei es wichtig zu unterbrechen, Rückfragen zu stellen und neu nachzudenken.

Genau dies tut Michelle Becka seit Juli 2016 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Als neuberufene Professorin für Christliche Sozialethik will sie gesellschaftliche Praktiken und Institutionen hinterfragen und untersuchen, wie gerechtes Handeln möglich wird. Was das konkret bedeutet, macht die Professorin an einem Beispiel aus dem Justizvollzug klar.

Ethik im Strafvollzug

„Wenn eine drogenabhängige Inhaftierte Besuch von ihrem Kind bekommt, muss sie von ihm immer durch eine Glasscheibe getrennt sein. Eine Berührung ist nicht erlaubt“, erklärt Michelle Becka. Zu groß sei die Befürchtung, dass in der Kleidung oder der Windel des Kindes Drogen versteckt sein könnten. Auch wenn diese Vorgehensweise allen Vorschriften entspricht, stelle sich bei den Vollzugsbeamten häufig ein Unbehagen ein. Schließlich sei die Familienzusammenführung ebenfalls eine wichtige Aufgabe des Strafvollzugs und der Rehabilitierung.

Wie kann man mit solch einer Situation umgehen? Welche Normen und Werte stehen hier eigentlich auf dem Spiel? Und was lässt sich im Gefängnis möglicherweise verändern? Diese und weitere Fragen zu stellen, sei Aufgabe der Sozialethik, sagt die Professorin. Sie selbst forscht seit einigen Jahren an dem Thema und hat es in dieser Zeit geschafft, gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe der Katholischen Gefängnisseelsorge in fünf Justizvollzugsanstalten die Gründung von Ethikkommissionen zu initiieren, die am konkreten Beispiel vor Ort nach neuen Antworten und Lösungen suchen.

„Aus Krankenhäusern sind solche Komitees seit langem bekannt; in Gefängnissen sind sie noch Neuland“, sagt Becka. Das ändere sich allerdings momentan. Mehrere Justizvollzugsanstalten und einzelne Landesregierungen hätten bereits Interesse signalisiert, vergleichbare Einrichtungen in ihren Justizvollzugsanstalten zu gründen. „Diesen Prozess wollen wir vorantreiben, moderieren und wissenschaftliche begleiten“, so die Professorin.

Die Auseinandersetzung suchen

Wenn es um Grundfragen der Sozialethik, um Gerechtigkeit, Solidarität und Anerkennung geht, können nicht erst seit 2015 Fragen der Migration und Integration nicht außen vor bleiben. „Gerade weil in dieser Diskussion in Deutschland immer wieder die Rede vom christlichen Abendland ist – ohne dass klar wäre, was das eigentlich ist, muss sich die christliche Sozialethik am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen“, sagt Michelle Becka. Ein Rezeptbuch, gefüllt mit fertigen Lösungen, könne die Sozialethik dabei nicht vorweisen. Wichtiger sei es,  Fakten zu analysieren, sich an argumentativen Auseinandersetzungen zu beteiligen und die eigenen Sichtweisen einzubringen.

Das möchte die neue Professorin auch ihren Studierenden klarmachen: „Wir dürfen uns nicht auf der Grundlage einer katholischen Soziallehre einkapseln, sondern müssen uns in die Auseinandersetzung einbringen“, sagt sie. Die zentrale Frage dabei lautet: „Wie kann man aus dieser Grundüberzeugung heraus gesellschaftlich handeln?“ Eine rein deutsche oder europäische Sichtweise helfe dabei nicht weiter. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsströme sei es notwendig, über Gerechtigkeit weltweit nachzudenken. Von ihren Studierenden erwartet sie deshalb Neugierde und die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen – egal, ob es sich dabei um Texte, Begegnungen oder Diskussionen handelt.

Stimmungsgeleitete Diskussionen versachlichen

Universitäten und theologische Fakultäten sieht Michelle Becka derzeit in einer besonderen Verantwortung stehen. „Gerade weil so viele Diskussionen auf einer Stimmungsebene entgleiten, müssen wir Fakten liefern, damit ein vernünftiger Diskurs und eine sachliche Auseinandersetzung wieder möglich werden.“

Dem interkulturellen Dialog komme dabei eine wichtige Rolle zu. Er soll dazu beitragen, Ausschließungsmechanismen aufzudecken, und Antwort auf die Frage geben, welche Teile einer Gesellschaft nicht zu Wort kommen. Lateinamerika stellt dabei einen ihrer Interessensschwerpunkte dar; in diesem Zusammenhang plant sie ein Forschungsprojekt zu Gerechtigkeitsfragen in Kooperation mit einem mexikanischen Anthropologen sowie eine Lateinamerika-Exkursion mit Studierenden.

So viel Nachdenken über Gerechtigkeit. Muss man da angesichts der krassen Ungerechtigkeit in vielen Bereichen der Gesellschaft nicht verzweifeln? „Manchmal ertrage ich es nur schwer, die Nachrichten anzusehen“, sagt Michelle Becka. Eine Alternative sehe sie allerdings nicht. „Den Kopf in den Sand stecken“ sei jedenfalls keine.

Zur Person

Michelle Becka hat von 1992 bis 1998 an den Universitäten in Tübingen und Cochabamba (Bolivien) katholische Theologie studiert. 2004 wurde sie mit einer Arbeit zum Thema „Anerkennung im Kontext interkultureller Philosophie. Ein ethischer Beitrag im Ausgang von bolivianischen Liedtexten“ promoviert.

Weitere Stationen ihrer Karriere waren: Theologische Grundsatzreferentin bei der Bischöflichen Aktion Adveniat, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Moraltheologie/Sozialethik der Universität Frankfurt sowie Vertretung dieser Professur. Drei Jahre lang forschte sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert an dem Thema: „Moralisches Subjekt unter Bedingungen der Asymmetrie. Ethische Fragestellungen im Justizvollzug“. Im Februar 2015 erhielt sie die Lehrbefugnis für das Fach „Christliche Sozialethik“ und vertrat anschließend für zwei Semester die Professur für Theologische Ethik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin

Seit dem 12. Juli 2016 ist Michelle Becka Professorin für Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg.

Kontakt

Prof. Dr. Michelle Becka, 931 31-82929, E-Mail: 

michelle.becka@uni-wuerzburg.de

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