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Lehre

Lehramt: Inklusion direkt erleben

28.01.2014

Lehramtsstudierende arbeiten mit Inklusionsklassen einer Würzburger Schule: Das geht in den Seminaren der Lernwerkstatt am Institut für Sonderpädagogik. Erstmals kam dort nun ein dreidimensionales Pascalsches Dreieck zum Einsatz, extra entwickelt für den inklusiven Mathe-Unterricht.

Das dreidimensionale Pascalsche Dreieck – eine Innovation der Lernwerkstatt Sonderpädagogik für den Mathematik-Unterricht in Inklusionsklassen. (Foto: Walter Goschler)

Walter Goschler, Leiter der Lernwerkstatt am Institut für Sonderpädagogik der Uni Würzburg, hat in diesem Semester mit Lehramtsstudierenden zwei Projektseminare realisiert. Immer waren Inklusions- und Tandemklassen der Würzburger Heuchelhof-Grundschule beteiligt – Klassen also, in denen Schüler mit und ohne Behinderungen gemeinsam lernen.

Die inklusive Heuchelhof-Grundschule bietet zwei Tandemklassen von insgesamt nur 18 in ganz Bayern an. In diesen Klassen halten eine Lehrkraft der Regelschule und eine Lehrkraft für Sonderpädagogik gemeinsam den Unterricht. Dadurch können auch Schüler mit einem sehr hohen sonderpädagogischen Förderbedarf aufgenommen werden.

Seminare offen für alle Lehrämter

„Nachdem es mittlerweile üblich ist, dass unsere Seminare von Studierenden der Sonderpädagogik und der Lehrämter Grund- bzw. Hauptschule besucht werden, gab es diesmal ein Novum“, sagt Goschler: „Im Seminar zum mathematischen Verständnis waren jeweils zwei Studierende aus dem Lehramt Realschule und dem Lehramt Gymnasium dabei.“ Sogar ein Elftklässler aus einem Gymnasium nahm teil – im Rahmen des Projekts „Unitag“, das besonders begabten Schülern den Besuch universitärer Lehrveranstaltungen ermöglicht.

Begleitet wurden alle Projekte von der früheren Grundschullehrerin Maria Kauczok: Sie verfügt über langjährige Erfahrungen mit der inklusiven Bildung an der Heuchelhof-Grundschule. Ihren vor kurzem begonnenen beruflichen „Ruhestand“ nutzt sie jetzt, um Projekte der Inklusion zu unterstützen.

Mathematik mit dem Pascalschen Dreieck

Das Pascalsche Dreieck, benannt nach dem französischen Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal (1623-1662), ist eine grafische Darstellung der Binomialkoeffizienten. Die Würzburger Lernwerkstatt hat es zu einer räumlichen Figur weiterentwickelt. „Der Einsatz eines dreidimensionalen Pascalschen Dreiecks für schulische Zwecke war bislang nicht bekannt, man kann es daher als Erfindung der Lernwerkstatt bezeichnen“, so Goschler.

Der Clou daran: Das dreidimensionale Pascalsche Dreieck, zusammengesetzt aus sechseckigen Holzklötzchen, bietet reichhaltige mathematische Lernmöglichkeiten in unterschiedlicher Komplexität. Gerade für den Mathematikunterricht in heterogenen Klassen eröffne es neue Perspektiven, so Goschler. Der Anwendungsbereich reiche von Inhalten des Grundschullehrplans bis zu Anforderungen der Sekundarstufe.

Die Möglichkeiten des Dreiecks hat Goschler mit den Studierenden für die beiden dritten Klassen der Heuchelhof-Grundschule umgesetzt. Die Schüler konnten zuerst den Aufbau des Dreiecks erkunden und nachvollziehen – durch direkte Handlungen am dreidimensionalen Modell und abstrakt auf einem Arbeitsblatt. Danach erforschten sie die Muster der Zahlenmauern, Zeilensummen, Einmaleinsfelder, Dreieckszahlen und Tetraederzahlen. Auch hierfür wurden konkrete, handlungsorientierte Angebote bereitgestellt.

Dabei waren die Inhalte für alle Schüler gleich, liefen aber in völlig unterschiedlichen Zahlenräumen und Abstraktionsniveaus ab. So konnten die einen die Möglichkeiten des Pascalschen Dreiecks in basalen Zahlenräumen erkunden, während andere bis weit über den Zahlenraum der dritten Jahrgangsstufe hinaus rechneten.

Die Sinne erkunden

Im Seminar „Aktiv-entdeckendes Lernen im Sachunterricht“ hatte Goschler mit 22 Studierenden der Lehrämter Grundschule, Hauptschule und Sonderpädagogik ein Sinne-Projekt vorbereitet. Zielgruppe war die inklusive erste Klasse der Heuchelhof-Grundschule.

Eine Gruppe von Studierenden eruierte an der Grundschule zuerst den Lernstand und die Vorerfahrungen der Erstklässler, um für alle Kinder passgenaue Angebote vorbereiten zu können. Daraus entstanden acht Stationen zum Thema „Sinne“. Sie alle waren so aufgebaut, dass die Kinder konkrete, handlungsorientierte Erfahrungen machen konnten, die zum Weiterforschen und zur Dokumentation der Ergebnisse anregen.

Beim Thema „Sehen“ erfuhren die Kinder zum Beispiel, dass die Augen Farben, Größenunterschiede und Bewegungen wahrnehmen können. Sie erlebten die Bedeutung von zwei Augen für die räumliche Wahrnehmung ebenso wie die Täuschbarkeit der Augen: Sie konnten optische Täuschungen kennenlernen und sogar selbst eine solche basteln, basierend auf dem Stroboskopeffekt.

Weitere Stationen befassten sich mit dem Hören, Tasten, Riechen und Schmecken. Dabei waren die Angebote so konzipiert, dass alle Kinder mit ihren verschiedenen Vorerfahrungen und Kompetenzen handlungsfähig waren. Die Inhalte waren für alle Kinder gleich, nur die Darbietungsformen entsprechend der Heterogenität der Erstklässler differenziert. So konnte ein gemeinsames Lernen an den verschiedenen Stationen verwirklicht werden.

Stimmen von Studierenden

Pamina Hickel, Lehramt Sonderpädagogik, Sprachheilpädagogik: „Wenn man die erste Aufgeregtheit am Projekttag überwunden hat, dann macht es einfach nur Spaß zu beobachten, wie die Kinder von Station zu Station an ihren Aufgaben wachsen. Einige hatten richtige ‚Aha-Effekte‘! An meiner Entdeckerstation bei den Zahlenmauern hat ein Junge zu mir gesagt: ‚Ich dachte, ich kann gar kein Mathe. Aber irgendwie kann ich Mathe doch. Das hab ich gar nicht gewusst.‘ Da habe ich mich riesig gefreut.“

Seifeddin Mustafa, Lehramt Realschule, Fach Mathematik: „Dieses Seminar hat das Argument gestärkt, dass Mathematik nicht nur ‚frontal‘, sondern auch handlungsorientiert unterrichtet werden kann. Dieses Ziel sollte jeder Mathelehrer anstreben. Interessant war, dass die Schüler mit ‚Lernschwierigkeiten‘ in der Inklusionsklasse kaum auffielen. Sie konnten alle Aufgaben lösen.“

Sophie Körner, Lehramt Grundschule: „Für mich als angehende Grundschullehrerin war es sehr interessant, mit einer echten Inklusionsklasse zu arbeiten. Da es diese Art von Klassenkonstellationen schon jetzt häufig gibt und sie in naher Zukunft Grundschulalltag sein werden, ist es wichtig, sich von Anfang an mit Differenzierung und speziellen Anforderungen auseinanderzusetzen.“

Nicole Geyer und Marie-Aline Körner, beide Lehramt Gymnasium, Fach Mathematik: „Durch das Seminar war es uns möglich, etwas für Schüler selbst Erarbeitetes auch in der Praxis zu testen, was sich im sonstigen Studium meist als sehr schwer erweist. Wir fanden es gut, dass die Gruppe so heterogen zusammengesetzt war, weil man dadurch auch andere Lehramtsstudiengänge und deren Meinungen kennen lernen konnte. Für uns war es auch spannend und hilfreich, mal Umgang mit Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu haben, da es doch eine andere Situation darstellt und sehr viel Geduld fordert.“

Peter Sprenger, Lehramt Realschule, Fach Mathematik: „Das Seminar war definitiv eine Bereicherung. Da ich als Realschul-Student noch keine so jungen Schüler und noch keine Schüler mit besonderem Förderbedarf unterrichtet habe, war es eine sehr interessante Erfahrung. Man benötigt zwar viel Geduld und Ruhe, aber es ist eine schöne Erfahrung, wenn die Schüler dann etwas verstehen, was ihren Wissenshorizont bisher überstieg.“

Daniela Dietrich, Lehramt Sonderpädagogik, Pädagogik bei Verhaltensstörungen: „Für mich war bei der Planung des Projekts unter anderem der Aspekt wichtig, dass die Angebote so gestaltet werden, dass jede Schülerin und jeder Schüler die Aufgabenstellung bewältigen kann und etwas dazu lernt.“

Zum Schluss…

die Formulierung eines Schülers der dritten Jahrgangsstufe aus einer Tandemklasse der Heuchelhof-Grundschule: „Heute haben wir gemerkt, wo in Mathe unsere Stärken sind.“

Kontakt

Walter Goschler, Lernwerkstatt des Instituts für Sonderpädagogik, T (0931) 31-89118,
walter.goschler@uni-wuerzburg.de

Zur Homepage der Lernwerkstatt

Literaturtipps

Goschler, Walter & Heyne, Thomas (2011): Biologie-Didaktik und sonderpädagogische Förderung – Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung in einem gemeinsamen Unterricht in heterogenen Lerngruppen. In: Ratz, Christoph (Hg.): Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung – Fachorientierung und Inklusion als didaktische Herausforderungen. Oberhausen: Athena-Verlag. S. 191-216.

Goschler, Walter (2012): Lernwerkstätten und Inklusion. In: Breyer, Cornelius & Fohrer, Günther & Goschler, Walter & Heger, Manuela & Kießling, Christina & Ratz, Christoph (Hg.): Sonderpädagogik und Inklusion. Oberhausen: Athena Verlag. S. 227-241.

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