Intern
  • 6 Studierende geniessen das Studentenleben in Würzburg im Sommer.
  • Drei Studierende tragen T-Shirts mit einem Aufdruck der Universität Würzburg.

Wie soll man heute erinnern?

07.12.2021

Studierende aus Würzburg und Florida haben eine Online-Ausstellung zu Fragen der Gedenkkultur entwickelt. Unterstützt wurde das Projekt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst.

Das Deportationsdenkmal „DenkOrt" vor dem Würzburger Hauptbahnhof. Auch über dessen Entstehung informiert das Projekt „Monuments & Memory“ in Form eines Podcasts.
Das Deportationsdenkmal „DenkOrt" vor dem Würzburger Hauptbahnhof. Auch über dessen Entstehung informiert das Projekt „Monuments & Memory“ in Form eines Podcasts. (Bild: Pressestelle Uni Würzburg)

Nach den Novemberpogromen schwand auch das letzte Quäntchen Hoffnung. „Die Eltern von Eva Steinberger Clair hatten sich danach nicht mehr nach Hause getraut“, erzählt Tobias Debold. Der Lehrer, der in Würzburg berufsbegleitend Englisch studiert, drehte drei Kurzfilme, in denen es um die heute hochbetagte Eva Steinberger Clair und ihre unterfränkische Familie geht. Sie wuchs als Kind in Würzburg auf und lebt seit langem in den USA. Die Filme entstanden im Rahmen des Seminars „Monuments & Memory“ an der Universität Würzburg.

Die fatale Mischung aus dumpf übernommenem Pauschalurteil und blindem Hass trieb tausende Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit aus Deutschland. Anderen misslang die Flucht. Sie wurden brutal ermordet. Wie ist es heute möglich, sich an solche unvorstellbar grauenvollen Geschehnisse zu erinnern? Mit dieser Frage befassten sich Dozierende und Studierende aus Würzburg und Florida im Sommersemester 2021. Eingebettet war die Lehrveranstaltung im DAAD-Projekt „WueGlobal – Writing, Learning, Digital Connection“ der Uni Würzburg, das von Professorin MaryAnn Snyder-Körber geleitet wird. Alle entstandenen Arbeiten sind über die Homepage des universitären Schreibzentrums abrufbar.

Ausstellungseröffnung mit einer Zeitzeugin

Bisher waren die Rückmeldungen zu den multimedialen Projekten der Studierenden durchweg positiv – was das Seminarteam sehr freut und den gewählten Ansatz bestätigt. „Besonders ergreifend war bei unserer Ausstellungseröffnung, dass Eva Steinberger Clair zugeschaltet war und von ihren Kindheitserinnerungen berichten konnte“, sagt Dr. Petra Zaus, die das DAAD-Projekt koordiniert. Die heute 90-jährige Jüdin wird niemals vergessen, wie die Gestapo in die elterliche Wohnung drang und alles durchwühlte. Auch das wird in den Kurzfilmen geschildert. „Sogar die Kinderbetten wurden danach durchsucht, ob sich der Vater darin versteckt hat“, so Petra Zaus.

Dass noch immer so viele Menschen rechts denken, obwohl es nach wie vor Zeitzeugen des Dritten Reichs gibt, macht David Schiepek fassungslos. „Der Holocaust wird außerdem immer öfter relativiert, und das ist in meinen Augen noch gefährlicher, als dass man ihn völlig vergisst“, sagt der Lehramtsstudent, der an „Monuments & Memory“ teilnahm. Der 20-Jährige ist fest davon überzeugt, dass es neue Formate des Erinnerns braucht. Er selbst erstellte zu diesem Thema während des Seminars einen Podcast. Der basiert auf Interviews mit dem Historiker Christian Höschler von den Arolsen Archives sowie Tobias Ebbrecht-Hartmann von der Hebrew University of Jerusalem.

Ein Podcast zum Deportationsdenkmal

Schon der Gedanke an das, was von 1933 bis 1945 passierte, ist schrecklich. Und doch bleibt es überaus notwendig, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen, ist auch Lehramtsstudentin Veronika Banach überzeugt. Sie beschäftigte sich in einem Podcast mit der Entstehungsgeschichte des interaktiven Deportationsdenkmals „DenkOrt“. Dazu interviewte sie Rotraud Ries, Leiterin des Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte in Unterfranken, sowie Benita Stolz, Vorsitzende des Vereins „DenkOrt“. Gefragt wurden die beiden Interviewpartnerinnen von der Studentin auch, ob sie das Gefühl haben, dass sich das Erinnern an den Holocaust verändert hat.

Jede Art von Rassismus muss ein absolutes No-Go bleiben. Diese Überzeugung teilen alle Projektbeteiligten. Wie wenig rassismuskritisch die amerikanische Gesellschaft in Teilen noch immer ist, erfuhren die Würzburger Studierenden von der afro-amerikanischen Dozentin Edwidge Crevecoeur Bryant aus Florida. „Sie muss jeden Tag auf ihrem Weg zur Hochschule ein Denkmal zur Verehrung eines ‚Helden‘ der Südstaaten aus dem Bürgerkrieg in den USA passieren“, berichtet Tobias Debold. Dieser Moment im Seminar, als die Dozentin hiervon erzählte, sei für ihn äußerst berührend gewesen. Völlig unverständlich ist für den Würzburger, dass die Statue nicht beseitigt werden kann.

Anspruchsvolle Organisation des Seminars

Er wollte, so Tobias Debold, unbedingt an dem Seminar teilnehmen. Und sei sehr froh gewesen, dass dies auch tatsächlich geklappt hatte. Der 51-Jährige schätzte es besonders, dass die Seminarteilnehmer vollkommen frei in der Wahl ihrer Projekte waren. Glücklich sei er gewesen, dass er in seinem Kommilitonen Timothy Holden einen Mitstreiter für seine Filmidee fand.

Möglich wurde das Seminar durch Mittel des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Ziel war es, eine transnationale Kooperation zu ermöglichen, obwohl es zum dritten Mal kein Austauschsemester geben konnte. Höchst anspruchsvoll war die Organisation dieses und weiterer länderübergreifender Seminare gewesen.

Gruppengefühl trotz großer Distanz

Wer für irgendein Projekt einen Mitstreiter in Übersee sucht, muss die unterschiedlichen Zeitzonen berücksichtigen. Auch die Vorlesungsphase in den USA deckt sich nicht ganz mit jener in Bayern. Dennoch gelang es an vielen Wochen, dass die Studierenden aus Würzburg und Florida via Zoom miteinander arbeiten konnten. „Wir haben es geschafft, auf digitalem Wege Gruppengefühl herzustellen“, sagt Petra Zaus. Dies gelang durch einen intensiven Austausch in Foren: „Außerdem haben wir, wann immer das technisch möglich war, die Webcam angeschaltet.“

Studieren wird dann spannend, wenn es sich nicht nur zwischen Unibibliothek und Hörsaal abspielt. Durch „Monuments & Memory“ lernten die Studierenden interessante Menschen außerhalb der Hochschule kennen. Seinen besonderen Reiz erhielt das Seminar außerdem durch mediendidaktische Fortbildungen. Etwa zur Frage, wie man Podcasts produziert.

Die Verantwortlichen

Von Professorenseite waren aus Würzburg MaryAnn Snyder-Körber von den American Cultural Studies sowie der Geschichtswissenschaftler Helmut Flachenecker beteiligt. Von den Flagler-Colleges in St. Augustine und Tallahassee nahmen vier Professoren teil.

Online-Ausstellung zur Erinnerungskultur

Mehr zum Projekt „WueGlobal“

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