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Wie Eliten wachsen

09.11.2021

Ausgrabungen zeigen, dass sich vor gut 4.500 Jahren in den Provinzen Ägyptens eine einflussreiche Elite entwickelte. Nach den Gründen dafür sucht die Französin Dr. Emilie Martinet als Humboldt-Stipendiatin an der Uni Würzburg.

Für zwölf Monate ist Émilie Martinet zu Gast am Lehrstuhl für Ägyptologie der Uni Würzburg. Hier trifft sie auf zwei Teams, die an Projekten aus der gleichen Epoche forschen, für die sie sich interessiert.
Für zwölf Monate ist Émilie Martinet zu Gast am Lehrstuhl für Ägyptologie der Uni Würzburg. Hier trifft sie auf zwei Teams, die an Projekten aus der gleichen Epoche forschen, für die sie sich interessiert. (Bild: Gunnar Bartsch / Universität Würzburg)

Irgendwann ab der Mitte des 3. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung hat die Zahl der Offiziellen – heute würde man vermutlich von königlichen Hofbeamten sprechen – in den Provinzen des altägyptischen Reichs stark zugenommen. Entstanden ist eine Elite, wie es sie dort zuvor nicht gegeben hatte, zumindest nicht in dieser Stärke.

Woher man das weiß? „Ab dieser Zeit finden Archäologen bei ihren Grabungen in den entsprechenden Regionen eine zunehmende Zahl an Gräbern mit Inschriften“, erklärt Dr. Emilie Martinet. Dass diese Gräber Privilegierten gehört haben müssen, liege auf der Hand: Nur eine Minderheit der Bevölkerung hatte die wirtschaftlichen Möglichkeiten, sich ein geschmücktes und beschriftetes Grabmal zu leisten, sagt die Historikerin.

Wörterbuch der Hieroglyphen

Emilie Martinet ist Französin. Zuletzt hat sie an der Universität in Montpellier an einem Wörterbuch der Hieroglyphen gearbeitet und diese ins Französische übertragen. Außerdem hat sie die Ausgrabungsarchive mehrerer archäologischer Stätten von Raymond Weill untersucht, einem französischen Ägyptologen, der 1950 gestorben ist. Einige davon werden demnächst online verfügbar sein, darüber hinaus plant Martinet die Veröffentlichung weiterer Archive.

Seit September ist sie mit einem Stipendium für erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ausgestattet. 18 Monate hat sie nun Zeit, ihrem Forschungsprojekt „Explaining the Processes of the Emergence and Growth of the Provincial Elites in Egypt in the Late Third Millennium BCE” nachzugehen; zwölf davon wird sie an der Universität Würzburg verbringen, sechs an der Universität Köln.

Der Abbau von Bodenschätzen als treibende Kraft

Wieso es vor gut 4.500 Jahren dazu kam, dass sich in den Provinzen des ägyptischen Reichs eine Elite entwickeln konnte, ist nach Martinets Worten noch nicht hinreichend erforscht. Sie hat allerdings eine Theorie: „Jüngste Entdeckungen in Tell Edfu in Oberägypten lassen in Verbindung mit langjährigen Belegen darauf schließen, dass die Entsendung von Bergbauexpeditionen für die Suche nach Kupfer und sehr wahrscheinlich auch nach Gold durch die Monarchie in die östliche Wüste eine Rolle bei der Entstehung und Bereicherung der lokalen Eliten spielte.“ Der Zustrom von Bodenschätzen in die betreffende Provinz steigerte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ermöglichte den Einwohnern den Bau verzierter und beschrifteter Gräber.

Diese Hypothese vertritt Martinet in ihrem Aufsatz "Le processus d'émergence des élites provinciales dotées de monuments inscrits à la lueur des récentes découvertes réalisées à Tell Edfou (Ve-VIe dynasties)“, der in der Revue d' Égyptologie 71 veröffentlicht wurde. Allerdings handelt es sich ihrer Ansicht nach um einen multifaktoriellen Prozess, bei dem auch andere Ursachen berücksichtigt werden müssen. Außerdem könne der Prozess in den einzelnen Provinzen unterschiedlich verlaufen sein.

Diese ökonomischen als auch sozialen Prozesse über einen langen Zeitraum zu rekonstruieren: Das ist das Ziel von Martinets Forschungsprojekt.

Passende Projekte an der Würzburger Ägyptologie

Wieso hat sich Emilie Martinet dazu entschieden, als Forschungsstipendiatin an den Lehrstuhl des Würzburger Ägyptologen Professor Martin A. Stadler zu gehen? „Hier gibt es bereits zwei Teams, die ebenfalls an Projekten arbeiten, die in der gleichen Epoche angesiedelt sind wie meines“, sagt sie.

Da ist zum einen die Privatdozentin Dr. Eva Lange-Athinodorou. Martinet hat sie 2017 auf einem Kongress an der Universität Würzburg kennen gelernt und seitdem den Kontakt gehalten. Lange ist regelmäßig zu Ausgrabungen im Nildelta rund um den Tempel der Göttin Bastet in Bubastis unterwegs und erforscht dort neu entdeckte Tempelbezirke und provinziale Paläste.

Und da ist zum zweiten Dr. Mohamed Ismail Khaled. Er leitet das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Projekt „Archäologie des ägyptischen Staates und seiner Wirtschaft im 3. Jahrtausend v. Chr.“ und ist ebenfalls regelmäßig vor Ort in Ägypten. Sein Interesse konzentriert sich auf eine Pyramidenanlage, die Pharao Sahurê in Abusir hatte errichten lassen – heute wenige Kilometer vor der Stadtgrenze Kairos gelegen.

Als Historikerin gräbt sie nicht selbst aus

Emilie Martinet ist Historikerin, keine Ägyptologin. Und auch wenn sie plant, für andere Projekte Forschungsreisen in Ägypten durchzuführen, konzentriert sich ihr jetziges Forschungsprojekt auf die Recherche in Büchern und Datenbanken. Dabei – und unter Einbeziehung neuester Entdeckungen – versucht sie, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die gut ausgestattete Bibliothek der Würzburger Ägyptologie sei deshalb auch ein Grund für sie gewesen, ihren Forschungsaufenthalt zu einem wesentlichen Teil an der Universität Würzburg zu verbringen.

Und natürlich schätzt sie die Möglichkeit, mit den Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl für Ägyptologie der JMU zusammenzuarbeiten, Ideen auszutauschen und auf der Basis der von ihnen neu entdeckten Funde neue Faktoren zu identifizieren, die für die Entwicklung einer Elite von Bedeutung gewesen sein könnten.

Kontakt

Émilie Martinet, Universität Würzburg, Lehrstuhl für Ägyptologie, emiliemartinet162@gmail.com

Von Gunnar Bartsch

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