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Aus dem Elfenbeinturm in die Sozialen Medien

02.08.2022

Sechs neue und innovative Ideen für die Lehre unterstützt die Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ an der Universität Würzburg. Eine davon will Geschichtsthemen in die Sozialen Medien bringen.

Ein kleiner Gallier, der dem großen Cäsar Widerstand leistet? Das ist ein Mythos – oder etwa nicht? Dieser Frage geht Benjamin Hasselhorn in seinem neuesten Video nach und beweist damit, dass historische Themen auch in Sozialen Medien mit Erfolg aufgegriffen werden können.
Ein kleiner Gallier, der dem großen Cäsar Widerstand leistet? Das ist ein Mythos – oder etwa nicht? Dieser Frage geht Benjamin Hasselhorn in seinem neuesten Video nach und beweist damit, dass historische Themen auch in Sozialen Medien mit Erfolg aufgegriffen werden können. (Bild: Screenshot: Pressestelle Uni Würzburg)

Von „Erinnerungskitsch“ schreibt die taz, eine „nahezu naive Inszenierung einer jungen Studentin“ diagnostiziert Uebermedien, und Jan Böhmermann kritisiert in seiner Sendung die Vermischung von Realität und Fiktion und den Einsatz erfundener „Fakten“. Die Kritik richtet sich an ein Projekt, das SWR und BR am 4. Mai 2021 gestartet haben: den Instagram-Kanal „@ichbinsophiescholl“. In täglichen Posts wollten die Macher dort die letzten zehn Monate im Leben von Sophie Scholl nachzeichnen und so Geschichte für ein junges Publikum greifbar machen.

Darf man das: historische Themen für ein Publikum in den Sozialen Medien aufbereiten? Oder ist es nicht eher so, dass ein adäquates Bild historischer Zusammenhänge im Twitterformat nicht zu haben ist, wie Verteidiger eines genuin wissenschaftlichen Anliegens gerne behaupten?

Soziale Medien prägen die Vorstellungen Jugendlicher

„Wieso eigentlich nicht?“, stellt Dr. Dr. Benjamin Hasselhorn die Gegenfrage. Der Historiker ist davon überzeugt, dass die Vorstellungs- und Wissenswelten heutiger Heranwachsender massiv von Massenmedien, insbesondere von den Sozialen Medien, geprägt sind. „Wäre es dann nicht eine wichtige und lohnende Aufgabe der Geschichtswissenschaft, Forschungsergebnisse und Forschungsmethoden auch auf den zur Simplifizierung neigenden Medien stark zu machen?“, fragt er.

Hasselhorn ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit den Hohenzollern nach 1918 und mit historischen Mythen. In seinem Lehrangebot behandelt er Themen wie beispielsweise die Geschichte des britischen Kolonialismus, Winston Churchills Rolle in der europäischen Geschichte oder – Geschichte auf YouTube.

Ein YouTube-Kanal zu historischen Mythen

Hasselhorn beschränkt sich dabei nicht auf eine wissenschaftliche Analyse bestehender Angebote. Er liefert selbst Content: „Mythistory“ heißt sein YouTube-Kanal, auf dem er verschiedene Aspekte der Entstehung und Wirkung von historischen Mythen behandelt. Gut 2.500-mal wurden beispielsweise seine Videos zu Martin Luthers Thesenanschlag oder zur Weihnachtsgeschichte bislang angesehen. Kein Wunder, dass Hasselhorn der Idee, geschichtliche Themen in den Sozialen Medien aufzugreifen, aufgeschlossen gegenübersteht.

Seine Vorstellung davon kann Hasselhorn jetzt mit Unterstützung der Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ in die Tat umsetzen. „Freiraum“ heißt ein zentrales Programm der Stiftung, in dessen Rahmen Hochschulen neue Ideen für die Lehre entwickeln und erproben können. Hasselhorn war mit seinem Antrag für das Projekt „Wege aus dem Elfenbeinturm - Geschichtswissenschaft in den Sozialen Medien“ erfolgreich. Unterstützt mit knapp 160.000 Euro kann er seine Ideen in den kommenden zwei Semestern umsetzen.

Studierende erstellen Geschichts-Kurzfilme

„Mir geht es in erster Linie darum, einen Beitrag dazu zu leisten, Methoden und Forschungsergebnisse der Geschichtswissenschaft stärker und konstruktiver als bisher mit der außerakademischen Geschichtskultur zu verbinden“, beschreibt der Historiker das Ziel seines Vorhabens. Dazu will er mit drei Mitarbeitern und mit seinen Studierenden unter anderem Formate entwickeln, die in der Lehre und Weiterbildung zum Einsatz kommen können, Inhalte für Soziale Medien produzieren und die dafür notwendigen Kompetenzen vermitteln.

Konkret bedeutet dies: Bereits im aktuellen Sommersemester bietet Hasselhorn eine Lehrveranstaltung an, in deren Rahmen verschiedene YouTube-Wissensformate kritisch betrachtet sowie eigene studentische Geschichts-Kurzfilme konzipiert und umgesetzt werden. Ab September soll dann ein Projektteam Kriterien entwickeln und Formate erproben, um relevante Forschungsinhalte einfach und unterhaltsam, aber zugleich differenziert und wissenschaftlich fundiert auf YouTube, Facebook, Twitter, Instagram und Tiktok zu präsentieren und wissenschaftlich zu begleiten.

Ein Schulungskonzept für die Wissenschaftskommunikation

Für das Wintersemester 2022/23 und das Sommersemester 2023 plant Hasselhorn weitere Lehrveranstaltungen, die je ein bis zwei Social-Media-Kanäle in den Blick nehmen. Die Studierenden sollen dann spezielle Angebote systematisch analysieren, sich mit externen Experten austauschen, ein eigenes historisches Thema auswählen und aufbereiten und so auf dem jeweiligen Kanal ihre Vorstellung von Wissenschaftskommunikation gestalten.

Im Rahmen einer Tagung sollen die Ergebnisse öffentlich präsentiert und diskutiert sowie anschließend in einem wissenschaftlichen Aufsatzband dokumentiert werden. Parallel dazu will der Historiker mit seinen Mitarbeitern ein Schulungskonzept für öffentliche Wissenschaftskommunikation erarbeiten, das sowohl in die einschlägigen Studienmodule als auch in die hochschuldidaktische Weiterbildung integriert werden kann.

Einfache Botschaften brauchen ein Korrektiv

Ob sich Geschichte und Geschichtswissenschaft in den Sozialen Medien engagieren sollten, ist für Benjamin Hasselhorn definitiv keine Frage. Angesichts einer zunehmenden Relevanz geschichtswissenschaftlicher Forschung ist er davon überzeugt: „Eine immer komplexere, dabei aber schnelllebige und einfache Botschaften bevorzugende Alltagswelt bedarf eines Korrektivs in Gestalt einer differenzierten und zugleich einprägsamen Wissenschaftskommunikation.“

Wie schwierig eine „gelingende Wissenschaftskommunikation“ sein kann, hat nach Hasselhorns Ansicht die Corona-Pandemie sehr deutlich gezeigt. „Viele Menschen haben in den vergangenen Jahren erwartet, dass ihnen die Wissenschaft genau sagt, womit sie es bei dieser Pandemie zu tun bekommen und welche Maßnahmen zu ergreifen sind“, sagt er. Diese Erwartung könne eine seriöse Wissenschaft jedoch nicht erfüllen: Ihre Ergebnisse sind immer vorläufig, immer umstritten und immer nur so lange gültig, bis neue Erkenntnisse vorliegen.

Vor diesem Hintergrund verfolge er mit dem Projekt auch das Anliegen, Wissenschaft in den Sozialen Medien so zu präsentieren, dass nicht eine vermeintliche „Wahrheit“ verkündet, sondern ein differenzierter und multiperspektivischer Wissensstand dargestellt wird.

Kontakt

Dr. Dr. Benjamin Hasselhorn, Lehrstuhl für Neueste Geschichte, T: +49 931 31-80922, benjamin.hasselhorn@uni-wuerzburg.de

Benjamin Hasselhorns YouTube-Kanal

Von Gunnar Bartsch

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