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Forschung zum Lachen und Denken

30.09.2016

Lügner und ihre Lügen stehen im Mittelpunkt einer Studie von Wissenschaftlern aus den Niederlanden und aus Belgien. Daran beteiligt war die Würzburger Psychologin Kristina Suchotzki. Jetzt hat das Team eine unerwartete Auszeichnung für seine Arbeit erhalten: den berühmt-berüchtigten Ig-Nobelpreis.

Kristina Suchotzki
Kristina Suchotzki ist fasziniert von Lügen - natürlich nur aus wissenschaftlicher Sicht. (Foto: Gunnar Bartsch)

Wie entwickelt sich die Fähigkeit zu lügen über die gesamte Lebensspanne hinweg? Und wie häufig lügen eigentlich Menschen am Tag? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Studie, die ein Team von Wissenschaftlern um Evelyne Debey von der Universität in Gent im Jahr 2015 veröffentlicht hat. Mehr als 1.000 Freiwillige im Alter zwischen sechs und 77 Jahren hatten dafür im August 2012 an einer Reihe von Tests teilgenommen und Fragebögen ausgefüllt. Eine der Autorinnen dieser Studie ist Dr. Kristina Suchotzki, seit März 2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologie I der Universität Würzburg.

Auszeichnung für kuriose Forschungsarbeiten

Jetzt wurde diese Studie im Rahmen eines skurrilen Festakts an der Harvard Universität mit dem Ig-Nobelpreis 2016 im Fach Psychologie ausgezeichnet.  „Ignoble“ heißt auf Deutsch unwürdig – was zunächst negativer klingt, als es gemeint ist. Denn in der Regel gehen diese Preise – nun schon zum 26. Mal – an renommierte Wissenschaftler für seriöse, wenn auch kuriose Forschungsarbeiten. Die Preise sollen „das Ungewöhnliche feiern und das Fantasievolle ehren“, wie die Jury schreibt. Sie belohnen Forschung, die „erst zum Lachen und dann zum Denken anregt“. Überreicht wird die Trophäe – in diesem Jahr eine Plastikuhr und zehn Billionen (Zimbabwe-) Dollar – häufig von tatsächlichen Nobelpreisträgern.

Evelyne Debey und ihre Co-Autoren wurden ausgezeichnet „für eine Studie, in der 1.000 Lügner befragt wurden, wie oft sie lügen – und für die Entscheidung, ob man ihren Antworten glauben kann“, so die Begründung der Jury. Dabei hatte die Frage nach der Lügenhäufigkeit gar nicht oberste Priorität für die Psychologinnen. „Das war nicht der Kern unserer Arbeit“, sagt Kristina Suchotzki. Ihnen sei es vielmehr darum gegangen, herauszufinden, wie sich das Lügen im Laufe des Lebens entwickelt – wie gut Menschen lügen können, angefangen bei kleinen Kindern bis zu Senioren.

Lügen ist nicht kinderleicht

Denn eines ist klar: „Die Allgegenwart von Lügen im Alltag lässt nicht den Schluss zu, dass Lügen kinderleicht ist“, schreiben die Autorinnen in ihrer Studie. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass Lügen die kognitiven Fähigkeiten stark beansprucht. Der Grund dafür: Bei der Suche nach einer Antwort legt sich das Gehirn zunächst die wahre Antwort zurecht. Wer also lügen will, muss verhindern, dass er diese Antwort ausspricht – ein Konflikt entsteht, dessen Lösung Energie kostet. „Gerade kleine Kinder schaffen dieses Zurückhalten häufig noch nicht“, sagt Kristina Suchotzki. Außerdem muss die Wahrheit im Arbeitsgedächtnis vorgehalten werden, um auf dieser Basis eine alternative, unwahre Version zu kreieren.

Die Fähigkeit zu lügen muss sich also erst entwickeln. Und im Alter scheint sie möglicherweise aufgrund von Abbauprozessen im Gehirn wieder nachzulassen. Dieses Ergebnis hatten die Wissenschaftler erwartet; bei der Auswertung ihrer Daten fanden sie es bestätigt. Demnach steigen drei zentrale Kriterien während der Kindheit an, erreichen bei Heranwachsenden das Maximum und sinken danach langsam wieder ab: die Fähigkeit zur kognitiven Kontrolle, damit einhergehend die Fähigkeit zum Lügen sowie die Häufigkeit täglicher Lügen.

Zwei Lügen am Tag – aber nicht von allen

Denn das hatte die Studie auch gezeigt: Im Durchschnitt lügen Menschen zwei Mal am Tag. Das ist zumindest der errechnete Durchschnitt aus den gut 1.000 Antworten auf die Frage: „Wie oft haben Sie in den vergangenen 24 Stunden gelogen?“. Tatsächlich existieren große, individuelle Unterschiede, was die Bereitschaft zum Lügen angeht. So gab gut die Hälfte der Teilnehmer an, dass sie in den vergangenen 24 Stunden kein einziges Mal gelogen hatten. Und unter der anderen Hälfte waren gut neun Prozent für mehr als 50 Prozent aller Lügen verantwortlich – mit Spitzenwerten von bis zu 16 Lügen am Tag. Diese „nicht-normale Verteilung“, wie es in der Studie heißt, ließ sich übrigens in allen Altersgruppen nachweisen.

From junior to senior Pinocchio: a cross-sectional lifespan investigation of deception. Evelyne Debey, Maarten De Schryver, Gordon D. Logan, Kristina Suchotzki and Bruno Verschuere (2015) ACTA PSYCHOLOGICA. 160. p.58-68. 10.1016/j.actpsy.2015.06.007

Frau Dr. Suchotzki: Was haben Sie gedacht, als Sie erfahren haben, dass Sie den Ig-Nobelpreis erhalten werden? Im ersten Moment habe  ich mich schon gefragt, ob das ein Kompliment ist oder nicht. Ich kannte diesen Preis nicht und musste ihn erst einmal googeln. Als ich dann lesen konnte, dass es den Preis für Arbeiten gibt, die erst zum Lachen und dann zum Nachdenken anregen, fand ich das toll. Wir haben sehr positive Rückmeldungen bekommen und ich finde es sehr schön, dass unsere Arbeit so ein deutlich größeres Publikum bekommt als es mit der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift möglich ist. Und wer schreibt nicht gerne einen Nobelpreis in seinen Lebenslauf?

Wie waren denn die Reaktionen Ihrer Kollegen? Viele haben sich gefreut und fanden das cool – vor allem die, die den Preis und die damit verbundene sehr witzige und unterhaltsame Preisverleihungszeremonie schon kannten.

Lügner zu fragen, wie häufig sie lügen: Das fand die Jury anscheinend eine kuriose Idee. Das klingt natürlich seltsam. Aber dieser Fragebogen, der im Übrigen gar nicht von uns entwickelt wurde, hat schon sehr interessante Erkenntnisse hervorgebracht. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass es sehr große Unterschiede darin gibt, wie häufig Leute lügen. Natürlich kann man nie hundertprozentig sicher sein, dass das, was Leute in Fragebögen angeben, der Wahrheit entspricht. Aber genau aus diesem Grund wird dieser Fragebogen - so wie bei uns auch - meist nur als ein Element in einer Untersuchung benutzt, und durch andere experimentelle Methoden ergänzt.

Was fasziniert Sie eigentlich am Lügen? Lügen ist ein sehr komplexes Verhalten, mit dem jeder von uns schon mal konfrontiert wurde, und das, wenn es unentdeckt bleibt, in bestimmten Kontexten sehr schwerwiegende Konsequenzen haben kann. Auf der anderen Seite kann Lügen auch zwischenmenschliche Interaktionen erleichtern, wenn man zum Beispiel an so genannte „white lies“, also Lügen aus Höflichkeit oder Nettigkeit denkt. Ich finde gerade diese Komplexität sehr spannend, da sie viele interessante Forschungsansätze ermöglicht. Zum Beispiel, was man alles leisten muss um erfolgreich zu lügen: Man muss sich an die richtige Antwort erinnern, muss diese aber gleichzeitig zurückhalten können. Man muss eine Vorstellung davon haben, was im Kopf des Gegenübers vor sich geht, und dabei gleichzeitig noch versuchen ganz entspannt und ehrlich rüberzukommen.

Das heißt, Sie forschen auch weiterhin an diesem Thema? Ja, auf jeden Fall! Ich habe mich mit diesem Thema schon während meiner Promotion in Belgien beschäftigt und freue mich sehr, dass ich jetzt während meiner Postdocs-Zeit hier in Würzburg damit weiter machen kann. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn es in Zukunft noch mehr Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis geben würde. Denn gerade wenn es um das Thema Lügendetektion geht, finde ich diesen Austausch noch nicht so gut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt

Dr. Kristina Suchotzki, Lehrstuhl für Psychologie I
T: +49 931 31-82861, kristina.suchotzki@uni-wuerzburg.de

Von Gunnar Bartsch

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