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Eine Überlieferungsgeschichte richtigstellen

17.06.2025

Ein ungefähr 550 Jahre altes hinduistisches Schriftstück aus der Region Kaschmir weist eine Überlieferungsgeschichte auf, die kuriose Wege einschlug. Ihr widmet sich Dr. Jeong-Soo Kim von der Uni Würzburg.

Jeong-Soo Kim arbeitet am Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Würzburg.
Jeong-Soo Kim arbeitet am Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Würzburg. (Bild: Martin Brandstätter / Universität Würzburg)

Der Rigveda gilt als eine der wichtigsten hinduistischen Textsammlungen. Ungefähr 1500 bis 1200 Jahre vor unserer Zeitrechnung entstanden, enthält er insgesamt 1028 Hymnen – zumeist Anbetungen an die Götter. Zur Einordnung: Die Hymnen Homers sind gut ein Drittel kürzer als der Rigveda.

Zunächst mündlich überliefert, entstanden im Laufe der Geschichte mehrere schriftliche Abfassungen – meist in der standardisierten Devanāgarī-Schrift, die seit dem 11. Jahrhundert die vorherrschende Schrift Indiens ist. Dr. Jeong-Soo Kim, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), untersucht jetzt eine dieser Abfassungen: ein Manuskript aus der Region Kaschmir (Pakistan), das 2007 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde. Das Projekt läuft bis Ende April 2027 und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Ziel des Linguisten ist es, das Kaschmir-Manuskript vollständig zu erschließen und mit zwei bekannten Editionen aus der Forschung kritisch zu vergleichen. „Die Überlieferungsgeschichte steht für mich ebenfalls im Fokus, da sie kuriose Wege einschlug“, so Kim.

Fehler und „Varianten“ sammeln und kommentieren

Die Überlieferung des Kaschmir-Manuskriptes wirft einige Fragen auf: 1875 entdeckte der Indologe Georg Bühler die Abschrift und sandte diese nach Oxford zum Indologen Max Müller. Dieser veröffentlichte mithilfe von Theodor Aufrecht eine Edition zur Textsammlung, die das Manuskript aus Kaschmir berücksichtigen sollte. „Zuwider Bühlers Hoffnung beauftragte Müller einen Assistenten, nur die Vālakhilya-Lieder aus dem Kaschmir-Manuskript zu kollationieren – also auf den Inhalt zu prüfen. Diese Arbeit fand nur flüchtig statt“, ist sich der Linguist sicher.

1906 und 1907 hat sich der Indologe Isidor Scheftelowitz zwar ernsthaft mit dem Manuskript beschäftigt, aber seine Auseinandersetzung ist trotz des wissenschaftlichen Verdienstes wie Auflistung und Kommentar seiner „Varianten“ zu Müllers Edition nur bruchstückhaft gelungen: „Seine Sammlung von 'Varianten' und Fehlern ist lückenhaft. Zudem fehlt die Methode, 'Varianten' von Fehlern sauber zu trennen“, so Kim.

Die Aufgabe ist für den JMU-Wissenschaftler klar: „Ich sammle zuerst alle Fehler und ‚Varianten‘ aus dem Kaschmir-Manuskript und versuche auf der Grundlage der Statistik und der vergleichenden Methode ‚Varianten‘ zu bestimmen.“ So ließe sich die Überlieferungsgeschichte überprüfen und kommentiert darstellen.

Das Kaschmir-Manuskript

Der Rigveda aus Kaschmir ist auf Birkenrinde überliefert, die früher oft als Schreibmaterial in Altindien verwendet worden ist. Kim liegt das Manuskript in Form von 419 digitalisierten Fotografien vor, die er vom Bhandarkar Oriental Research Institute (Indien) 2023 erhielt. Die Textsammlung ist in der Śāradā -Schrift verfasst. Unter anderem die Sprache Sanskrit wurde in Nordwestindien überwiegend in Śāradā geschrieben.

Das Kaschmir-Manuskript datiert der Linguist ungefähr auf das Jahr 1470 – gut 100 Jahre früher als Scheftelowitz geschätzt hatte. Dafür sprechen einige Hinweise. Einer davon: „Das in Śāradā -Schrift verfasste Manuskript bietet in gewissen Ligaturen – also Verbindungen zwischen den einzelnen Schriftelementen – andere Lesarten als die Devanāgarī-Tradition. Diese sind sicher als authentisch zu beurteilen“, so der JMU-Wissenschaftler.

Er halte es auch für sehr wahrscheinlich, dass der indische Kommentator Sāyaṇa, der um das 14. Jahrhundert herum gelebt haben soll, an einer Devanānagarī-Vorlage für den Rigveda gearbeitet habe. Die Detektivarbeit mache den Rigveda aus Kaschmir für den Linguisten erst so spannend, „weil das in Śāradā verfasste Manuskript zahlreiche Archaismen der Orthograhie und des Sandhi aufweist“, sagt der Linguist. Mögliche „Varianten“ seien wertvoll für die Veda-Forschung.

Kontakt

Dr. Jeong-Soo Kim, Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft, jeong-soo.kim@uni-wuerzburg.de

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Von Martin Brandstätter

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