Intern
  • Studierende vor einem Gebäude der Universität Würzburg.
  • none

Was Sterben für die Natur bedeutet

28.10.2022

Welche Rolle spielt Aas in unseren Ökosystemen? Dieser Frage geht ein Team aus der Fakultät für Biologie der Uni Würzburg nach. Es kooperiert dabei mit 13 deutschen Nationalparks.

Ein Luchs am Rehkadaver im Bayerischen Wald. Die Großkatze ist einer der seltensten Bewohner unserer Wälder.
Ein Luchs am Rotwildkadaver im Bayerischen Wald. Die Großkatze ist einer der seltensten Bewohner unserer Wälder. (Bild: Christian von Hoermann)

Der Tod ist Teil des Lebens. In der Natur erfüllen die Überreste verendeter Tiere eine wichtige Rolle in Ökosystemen; sie ernähren etwa unzählige Organismen – von der winzigen Bakterie bis zum großen Beutegreifer. Insekten und einigen anderen Tieren dienen Kadaver sogar als Zuhause für die Aufzucht des Nachwuchses.

Dr. Christian von Hoermann gehört zu einem Team der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, das die Wichtigkeit von Tierkadavern im Kreislauf der Naturprozesse in einer deutschlandweiten Studie nachweisen möchte. Angesiedelt ist das Projekt am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der JMU; dort wird es von Professor Jörg Müller geleitet. Finanzielle Förderung kommt vom Bundesamt für Naturschutz, das die Mittel vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz erhält.

13 von 16 Nationalparks sind schon an Bord

Im Rahmen der auf drei Jahre ausgelegten Untersuchung werden in 13 von 16 deutschen Nationalparks jährlich jeweils acht Rehkadaver an zufälligen Stellen belassen. Zusätzlich werden in drei Nationalparks – Bayerischer Wald, Berchtesgaden und Niedersächsisches Wattenmeer – je zwei sogenannte Luderflächen eingerichtet, die regelmäßig mit totem Rehwild bestückt werden. „Die Bestückung bei diesen Koordinationspartnern basiert auf Daten, die wir bei einem vergleichbaren Projekt aus dem Bayerischen Wald erhoben haben“, erklärt Hoermann, der schon  länger zu der Thematik forscht.

Warum eine Bestückung mit Aas überhaupt nötig ist? Das liegt zum einen am geringen Bestand an großen Beutegreifern – Wolf, Luchs oder Bär – in deutschen Naturlandschaften. Zum anderen entfernt der Mensch gestorbene Tiere aktiv aus der Natur: „Das ist ähnlich wie mit dem Totholz, wo es ja auch lange überall so war. Besucherinnen und Besucher möchten einen ‘aufgeräumten Wald‘. Es gibt Erhebungen, die zeigen, dass totes Holz oder gar tote Tiere uns Menschen an unsere eigene Sterblichkeit erinnern“, berichtet Hoermann.

Weiterhin sei die Meinung verbreitet, dass Kadaver mit Keimen belastet sind, die dem Menschen gefährlich werden könnten. Dieses Risiko sei bei verendeten Wildtieren aber weitaus geringer als bei Nutztieren.

Wer bedient sich am Aas?

Vom seltenen Scheinstutzkäfer über den Seeadler bis zum Luchs konnte an den schon seit 2012 im Nationalpark Bayerischer Wald betriebenen Luderplätzen eine ungeheure Artenvielfalt nachgewiesen werden. Das größte Interesse erzeugen dabei sicherlich die Raubtiere. Die enorme Diversität auf Seite der Insekten ist für die Forschung aber mindestens ebenso spannend.

Mit der Ausweitung auf ganz Deutschland deckt das Projekt nun vom Wattenmeer bis ins Hochgebirge die verschiedensten Lebensräume ab. Es liefert der Wissenschaft dabei auch eine exzellente Möglichkeit zur Beobachtung von Wildtieren.

Ein Ziel ist es, Handlungsempfehlungen geben zu können, wie viel Aas zukünftig belassen oder zugegeben werden sollte, etwa um in Deutschland lange verschwundene Arten wie Bart- oder Gänsegeier wieder erfolgreich anzusiedeln.

Schrittweise Aufklärungsarbeit leisten

„Große Raubtiere und gerade Aasfresser haben in der Öffentlichkeit oft nicht das beste Standing“, ist sich Christian von Hoermann bewusst. Neben der grundsätzlichen Sensibilisierung für das Thema „Sterben in der Natur“ sieht er darin die größte Herausforderung in Sachen Öffentlichkeitsarbeit zum Vorhaben.

Die beteiligten Parks werden daher schrittweise im für sie passenden Rahmen aufklären und sensibilisieren. Ein geschärftes Bewusstsein bei Parkpersonal und Öffentlichkeit soll dazu führen, dass zukünftig nicht mehr jeder gefundene Kadaver entfernt wird.

Der Würzburger Biologe zeigt sich optimistisch:  „Gerade in den jüngeren Generationen gewinnt das Erleben von Natur wieder an Stellenwert. Das gilt natürlich besonders für solche charismatischen Arten wie große Beutegreifer.“

Kontakt

Dr. Christian von Hoermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Zoologie III, Universität Würzburg, Christian.vonHoermann@npv-bw.bayern.de

Weitere Bilder

Von Lutz Ziegler

Zurück