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Coronavirus: „Wir brauchen Geduld“

23.03.2020

Ob die drastischen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus wirken, wird sich nicht so schnell zeigen. Virologieprofessor Lars Dölken von der Uni Würzburg mahnt zu Geduld.

Die Ausbreitung des neuen Coronavirus verlangsamen: Das ist das Gebot der Stunde.
Die Ausbreitung des neuen Coronavirus verlangsamen: Das ist das Gebot der Stunde. (Bild: fairywong / iStock.com)

Jeder bekommt die Auswirkungen der Pandemie mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 zu spüren. Schulen, Spielplätze, Gaststätten und viele Geschäfte sind geschlossen; der Staat schränkt die Menschen in ihrer Freiheit ein. Professor Lars Dölken, Leiter des Lehrstuhls für Virologie der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, hält die drastischen Maßnahmen für richtig.

Lars Dölken: Aus virologisch-epidemiologischer Sicht kamen die Maßnahmen in der notwendigen Härte genau zum richtigen Zeitpunkt. Früher hätten sie aller Voraussicht nach zu unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Folgen geführt und wären in der Bevölkerung auf mangelnde Akzeptanz gestoßen. Jetzt hingegen waren sie absolut erforderlich. Die Maßnahmen werden aber erst Ende März ihre Wirkung zeigen, da ja bis vor Kurzem noch viele Menschen auch in Würzburg keinerlei Kontakte zu anderen Personen scheuten und zum Beispiel am Main in Gruppen eng zusammensaßen. Weiter stark steigende Covid-19-Fallzahlen und Todesfälle in den kommenden zwei Wochen bedeuten also keineswegs, dass die Maßnahmen nicht wirken. Sie werden wirken! Wir brauchen aber etwas Geduld.

Was raten Sie den Menschen in dieser Situation?

Lars Dölken: Jeder einzelne muss jetzt nach Kräften mitwirken, um dem Virus Einhalt zu gebieten. Wie sich jeder einzelne in Würzburg und Umgebung verhält, wie effizient wir in der Lage sind, das Virus von unseren sensiblen Personen, von Alten und Kranken, fernzuhalten, und wie gut wir alle uns an die Maßnahmen halten – all das wird bestimmen, wie viele Tote wir in einem Jahr zu beklagen haben. Die allermeisten von uns werden bei einer Infektion mit dem Coronavirus nur leichte Symptome zeigen. Daher ist es von größter Bedeutung, dass jeder grippale Infekt, der in den kommenden Wochen auftritt, ernstgenommen wird und die Betroffenen alles tun, um eine Übertragung auf andere Personen zu vermeiden. Dabei spielt es keine Rolle, ob es das Coronavirus oder ein anderes Virus ist.

Man hört immer mal wieder, dass die ganzen Maßnahmen sowieso nichts bringen, weil die Pandemie wieder hochkochen wird, sobald die Maßnahmen zurückgefahren werden.

Lars Dölken: Das stimmt so keineswegs. In zwei bis drei Wochen werden wichtige Studien über potentiell gegen Covid-19 wirksame Medikamente abgeschlossen sein. Die Kombination von Chloroquin, einem altbekannten Malariamittel, und Azithromycin scheint wirksam gegen das Virus zu sein. Ebenfalls sehr vielversprechend sieht es mit Remdesivir aus. Dieses Medikament wurde ursprünglich gegen Ebola entwickelt und wirkt auch gegen die beiden Coronaviren, die für die SARS- und MERS-Epidemien verantwortlich waren. Die Chancen stehen also sehr gut, dass wir in drei bis sechs Wochen nicht mehr völlig machtlos gegen das Virus sein werden. Die Zeit bis dahin gilt es zu überbrücken. In der Folge könnten die staatlichen Kontrollmaßnahmen Schritt für Schritt zurückgefahren werden, um nach und nach eine kontrollierte Verbreitung des Virus in der Bevölkerung zu erlauben. 95 Prozent aller Infizierten erkranken nicht allzu schwer. Sie alle brauchen keine Therapie und sollten auch keine bekommen, um das Risiko von resistenten Viren minimal zu halten. Dann bekommen wir das Virus unter Kontrolle und verhindern weitere Tote.

Wie sieht es mit einer Impfung aus?

Lars Dölken: Ab Herbst werden wohl erste Impfstoffe – wenn auch noch nicht in ausreichender Menge für alle – verfügbar sein. Dann wird auch klar sein, wann es Impfstoff für alle geben wird. Die Entwicklung mehrerer Impfstoffe gegen das Virus wird zurzeit mit hohem finanziellem Einsatz vorangetrieben. Auf der Basis von virologischen und immunologischen Daten können wir davon ausgehen, dass die Impfstoffe auch wirksam sein werden.

Der jährlich neu entwickelte Grippeimpfstoff verhindert nicht alle Infektionen. Warum sollte das bei einem Covid-19-Impfstoff anders sein?

Lars Dölken: Die Impfung gegen Influenza verhindert in der Tat je nach Jahr im Durchschnitt nur etwa 60 Prozent aller Infektionen. Dies liegt daran, dass sehr viele unterschiedliche Influenzaviren im Umlauf sind. Und es ist schwer vorauszusagen, welche genau das sein werden. Darum werden nicht alle durch den Impfstoff abgedeckt. Bei Covid-19 wissen wir aber ganz genau, vor welchem Virus wir schützen wollen. Die Impfstoffe werden bei den allermeisten Personen sehr gut wirksam sein. Mit der umfassenden Impfung der Bevölkerung wird sich dann eine Herdenimmunität ausbilden, die den Schutz der wenigen, nicht erfolgreich geimpften Personen erhöht.

Und das Virus wird auf Nimmerwiedersehen verschwinden?

Lars Dölken: Das Virus selbst werden wir wohl nicht wieder loswerden; wir müssen langfristig mit ihm planen. In den kommenden drei bis vier Jahren werden sich gut zwei Drittel aller Menschen weltweit entweder mit dem Virus infizieren oder durch eine Impfung gegen das Virus immunisiert sein. Professor Christian Drosten von der Berliner Charité hat das in seinen täglichen Podcasts beim NDR sehr gut beschrieben. Diese Podcasts kann ich als wissenschaftlich solide und sehr gut allgemeinverständliche Ressource nur wärmstens empfehlen!

Wie lange die Immunität gegen das Virus im Durchschnitt voll wirksam bleibt, werden wir sehen. Wahrscheinlich muss es alle drei, fünf oder zehn Jahre eine Auffrischungsimpfung geben. Aller Voraussicht nach werden zukünftige Infektionen dann deutlich schwächer verlaufen und nicht wieder zu derartigen gesellschaftlichen Verwerfungen führen, wie wir sie jetzt haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Lars Dölken: Die nächsten zwei bis drei Wochen werden entscheidend sein. Mit der stetig steigenden Zahl von getesteten Personen bei gleichzeitigen massiven staatlich verordneten Quarantänemaßnahmen werden wir in Kürze wissen, wie die Situation in Würzburg und Umgebung wirklich aussieht. Je länger wir die Kontrolle behalten, desto mehr Ressourcen fließen in unsere Kliniken und Gesundheitsämter, desto besser sind wir aufgestellt. Damit sinkt die Gefahr von „italienischen Verhältnissen“ weiter. Wie sich jeder von uns verhält, wird sich direkt auf die Covid-19-Situation in Würzburg auswirken. Hier sind wir alle gefordert.

Zur Person

Professor Lars Dölken, Jahrgang 1977, leitet seit 2015 den Lehrstuhl für Virologie der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Für seine Forschung wurde er unter anderem 2017 mit einem Preis des Europäischen Forschungsrats ausgezeichnet: Dieser ERC Consolidator Grant ist mit zwei Millionen Euro dotiert.

Von Robert Emmerich

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