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  • Drei Studierende vor der Neuen Uni am Sanderring.

Versöhnung ist der Maßstab für den Erfolg

01.12.2020

Viele Staaten weltweit haben in den vergangenen Jahrzehnten den Wechsel von einer Diktatur hin zur Demokratie vollzogen. Mit welchen Mitteln sie ihre Geschichte aufarbeiten, untersucht ein Forschungsprojekt an der Uni Würzburg.

Mit seiner differenzierten Erinnerungslandschaft – im Bild das Holocaust-Mahnmal in Berlin – ist Deutschland ein weltweit viel beachtetes Modell.
Mit seiner differenzierten Erinnerungslandschaft – im Bild das Holocaust-Mahnmal in Berlin – ist Deutschland ein weltweit viel beachtetes Modell. (Bild: Nico_Campo / iStockphoto.com)

Das Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors” in Berlin, das an den Schrecken der NS-Herrschaft erinnert. Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die über die politische Verfolgung in der DDR informiert. Die Gedenkstätte in Buchenwald mit ihrer Doppelfunktion als Erinnerungsort an das dort von den Nationalsozialisten betriebene Konzentrationslager sowie an das Speziallager, das die Sowjets dort von 1945 bis 1950 errichtet hatten.

„Deutschland ist mit seiner Geschichte zweier Diktaturen und seiner intensiven Auseinandersetzung mit dieser Geschichte ein weltweit viel beachtetes Modell einer differenzierten Erinnerungslandschaft“, sagt Peter Hoeres, Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seit 1990 auch mit der DDR gelte als Kernstück demokratischer Identität der Bundesrepublik, so der Historiker.

750.000 Euro vom Bund

Ob dieser Umgang mit der Vergangenheit auch auf andere Länder übertragbar ist, welche Instrumente der Erinnerungskultur diese Länder einsetzen und wie nachhaltig ihre Methoden sind: Das untersucht Hoeres in einem neuen Forschungsprojekt, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in den kommenden vier Jahren mit rund 750.000 Euro finanziert wird. Für die Durchführung verantwortlich ist Dr. Hubertus Knabe, langjähriger Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Im Fokus stehen dabei stehen Länder aus Lateinamerika, Afrika und Asien, wie beispielsweise Chile, Südafrika oder Kambodscha.

„Ich interessiere mich schon seit Langem für Erinnerungskulturen und das Thema ‚Vergangenheitsbewältigung‘“, sagt Peter Hoeres. Aus diesem Grund habe er das Forschungsprojekt auf den Weg gebracht. Der Historiker vertritt darin die geschichtswissenschaftliche Seite. Aus der Praxis kommt Hubertus Knabe dazu, der die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen als eine Art „Leuchtturm der Erinnerung“ aufgebaut hat, wie Hoeres sagt. Unterstützt werden die beiden von Experten vor Ort – Wissenschaftlern, Akteuren, Menschenrechtsaktivisten –, die Berichte und Spezialstudien zur Situation in den jeweiligen Regionen liefern.

Die Übergangsphase ist entscheidend

Vom Zusammenbruch des Ostblocks bis zum Arabischen Frühling: In den vergangenen Jahrzehnten sind weltweit zahlreiche Diktaturen zu mehr oder weniger gut funktionierenden Demokratien transformiert worden. Der Periode des Übergangs komme dabei eine besondere Bedeutung zu, so die Wissenschaftler. Hier entscheide sich oftmals, ob sich ein demokratisches System langfristig etablieren kann oder nicht. „In dieser Phase geht es nicht nur darum, ein funktionierendes Mehrparteiensystem zu schaffen, freie Wahlen zu ermöglichen, rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren und die Wahrnehmung politischer Grundrechte zu garantieren. Ebenso wichtig ist es, eine Zivilgesellschaft zu entwickeln, die diese Strukturen langfristig trägt“, sagt Hoeres.

Um in dieser Phase einen Rückfall in alte diktatorische Muster zu verhindern, sei die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit unerlässlich. Ohne einen gesellschaftlichen Prozess der Auseinandersetzung, Wahrheitsfindung und Aufklärung über die überwundene Diktatur werde es schwierig mit dem friedlichen Übergang in bessere Zeiten. Am Ende müssen die Geschehnisse im kulturellen Gedächtnis eines Landes verankert sein, und die Opfer müssen zumindest eine symbolische Anerkennung ihres Leids erfahren haben.

Kritik von allen Seiten

Schon jetzt – wenige Monate nach dem Start des Forschungsprojekts – finden sich auf der Projekt-Homepage zahlreiche Beispiele für diese kritische Aufarbeitung der Vergangenheit. So erinnern beispielsweise in Kambodscha die Killing Fields an das Terror-Regime der Roten Khmer. Was einst ein Massengrab für bis zu 20.000 Opfer war, ist heute eine Gedenkstätte, das sich offiziell „Zentrum für Völkermordverbrechen“ nennt. Zeugnis von den grausamen Vorgängen legen dort vor allem die mehr als 5000 Schädel ab, die in einem Turm in 17 Etagen aufgebahrt sind. In Santiago de Chile erinnert das Museum der Erinnerung und Menschenrechte an die Folterung Oppositioneller während der Pinochet-Diktatur. An der Stirnwand einer über drei Etagen reichenden Ausstellungshalle hängen tausende Fotos von Opfern diese Regimes.

Dort zeigt sich aber auch, wie konfliktbeladen solche Formen der Erinnerung sein können: In Chile warfen konservative Kreise dem Museum vor, die Ursachen für den Militärputsch auszublenden und die „Militanz der Linken“ als dessen Auslöser zu verschweigen. Opferverbände wiederum kritisierten, dass auch an Angehörige der Sicherheitskräfte erinnert werde, die während der Kämpfe ums Leben kamen. Und die Angehörigen eines indigenen Volks protestierten, weil die Verletzung ihrer Menschenrechte in dem Museum keine Rolle spielte.

Ein schwieriger Balance-Akt

„Erinnerung ist immer ein heikler Akt“, sagt Peter Hoeres. Das kenne jeder im Prinzip aus seiner privaten Erfahrung. Wenn nach einem Streit eine Seite ihre Vorwürfe beständig wiederhole, kehre nie Frieden ein. Deshalb sei Versöhnung zentrales Element und eigentliches Ziel dieses Prozesses der Aufarbeitung. Bis dahin ist allerdings ein schwieriger Balance-Akt zu absolvieren: Die einen wollen erinnern, die anderen vergessen. Die einen wollen erlittenes Unrecht ansprechen, die anderen wollen am liebsten alle Vorwürfe ad acta legen. Opfer sehnen sich nach Genugtuung oder gar Rache, Täter wünschen sich die Chance zum Neuanfang. „Beide Aspekte müssen in eine Balance gebracht werden“, sagt Hoeres. Dafür, wie man dabei das rechte Maß findet, gebe es leider keine Formel. Aber die Geschichte zeige immer wieder, dass beide Aspekte zu einer gelungenen Versöhnung dazu gehören, so der Historiker.

Im Rahmen des Projektes wollen Hoeres und Knabe nun erstmals die Aufarbeitungsprozesse in einer Vielzahl von Ländern in vergleichender Perspektive untersuchen. Wurden die Verantwortlichen für die zurückliegenden Verbrechen bestraft? Kam es zu einem Austausch der Eliten? Wurden die Opfer der Diktatur juristisch rehabilitiert und materiell entschädigt? Gibt es Stätten oder Rituale öffentlicher Erinnerung? Und wie wird die Diktatur in Schulen und Museen, in Kunst, Film und Literatur behandelt? All diesen – und vielen weiteren Fragen – wollen sie dabei nachgehen.

Ziel ist es, die dabei angewandten Instrumente der Vergangenheitsbewältigung zu identifizieren und auf Erfolg oder Misserfolg zu überprüfen. Wie aber definiert man Erfolg, wenn es um Fragen der Aufarbeitung geht? Die Antwort ist einfach: „Ein friedlicher Übergang. Das ist das Hauptziel in diesem Transformationsprozess“, so Peter Hoeres. Und als Erfolg zähle in diesem Fall, wenn es gelungen ist, eine informierte, befriedete und integrierte Gesellschaft zu etablieren. Oder, mit anderen Worten: Wenn eine Versöhnung tatsächlich erreicht werden konnte.

Kontakt

Prof. Dr. Peter Hoeres, Lehrstuhl für Neueste Geschichte, T: +49 931 31-80464, peter.hoeres@uni-wuerzburg.de

Homepage des Forschungsprojekts

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