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Zwischen Komik und Abgrund

13.05.2025

Mit dem skurrilen Possenreißer Pulcinella haben sich Giandomenico Tiepolo und sein Sohn Giambattista immer wieder beschäftigt, wie eine neue Installation im Martin von Wagner Museum zeigt – Sensation inklusive.

Ein Ausschnitt aus Giambattista Tiepolos anarchischem Pulcinellen-Gemälde, das die Galerie Robilant+Voena (London/New York) an das Martin von Wagner Museum ausleiht.
Ein Ausschnitt aus Giambattista Tiepolos anarchischem Pulcinellen-Gemälde, das die Galerie Robilant+Voena (London/New York) an das Martin von Wagner Museum ausleiht. (Bild: Damian Dombrowski)

Seit langem gehört das Würzburger Universitätsmuseum zu den Partnern des Mozartfests. In der Festspielsaison 2025 wird eine Komposition uraufgeführt, mit der Johannes Schöllhorn eine Serie von Zeichnungen von Giandomenico Tiepolo vertont hat. Als dieser Programmpunkt feststand, war auch eine neuerliche Kooperation zwischen Festival und Museum besiegelt.

In den Jahren um 1800 schuf der Sohn Giambattista Tiepolos, auch er ein bedeutender Maler, den graphischen Zyklus „Divertimento per li regazzi“, der ganz und gar um das Treiben des Possenreißers Pulcinella kreist. Der dialektal gefärbte Titel, den Giandomenico seinen 104 Zeichnungen gab, lautet übersetzt: „Zeitvertreib für junge Leute“. Diese Bezeichnung ist pure Ironie – die abgründigen Seiten des „Divertimento“ wurden schon mit Goyas „Caprichos“ verglichen.

Pulcinella-Zeichnungen kommen kaum für eine Ausleihe in Frage

„Sofort haben wir uns auf die Suche nach verfügbaren Blättern aus dieser Serie gemacht“, berichtet Professor Damian Dombrowski, Direktor der Neueren Abteilung des Martin von Wagner Museums: „Doch rasch wurde klar, dass die Pulcinella-Zeichnungen kaum für eine Ausleihe in Frage kommen.“

Sie wurden in den 1920er-Jahren über die ganze Welt zerstreut, viele befinden sich in unbekanntem Privatbesitz. 2019 wechselten bei Christie’s sieben Blatt den Besitzer – für über vier Millionen Pfund! Wenn die Zeichnungen in öffentlichen Sammlungen landeten, so zumeist in amerikanischen Museen. Der Aufwand für eine vorübergehende Ausstellung aus Anlass der Uraufführung stellte sich als zu groß dar.

Eine Präsentation von Rang wird es dennoch geben. Zunächst wurde beim Städel Museum in Frankfurt angefragt, das 2006 eine Zeichnung aus Giandomenicos Zyklus erworben hat – die einzige, die sich heute in einem deutschen Museum befindet. Nach der Zusage für die Ausleihe kamen zwei Radierungen von Giambattista Tiepolo hinzu, die von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden geschickt werden.

Ein Star des New Yorker Kunstmarkts kommt nach Würzburg

Diese druckgraphischen Werke gehören zu den „Scherzi di Fantasia“, wie Giandomenico diese Serie seines Vaters genannt hat. „Mit ihnen möchten wir darlegen, wie das Pulcinella-Thema sich auch schon im Schaffen von Tiepolo senior niedergeschlagen hat“, erläutert Dombrowski die Intention hinter der Installation, die während des Mozartfests in der Gemäldegalerie zu sehen sein wird.

Womit aber auch der Museumsdirektor nicht gerechnet hat: Es gelang, ein Gemälde Giambattista Tiepolos nach Würzburg zu holen: ein sensationeller Coup, denn das Bild ist derzeit ein Star des New Yorker Kunstmarkts. Es zeigt über dreißig Pulcinellen, die mit dem Kochen, Verspeisen und Verdauen ihrer Leibspeise Gnocchi beschäftigt sind. „Ein sehr witziges Bild, vor dem einem aber auch etwas unbehaglich zumute wird“, meint Dombrowski.

Ursprünglich in der neapolitanischen Commedia dell’arte beheimatet, war Pulcinella seit dem 17. Jahrhundert auch in Venedig populär. Buckel und Schmerbauch, die schnabelartige Maske und der konisch zulaufende Hut verleihen ihm diesem Charakter als groteske Gestalt. Er ist gefräßig, einfältig und dreist, aber auch witzig und gesellig. Niemand durchschaut die Handlungen Pulcinellas, seine Unberechenbarkeit ist beunruhigend.

Tiefe Melancholie hinter einer vordergründigen Heiterkeit

In dem Gemälde, das nun in der Installation zu sehen ist, kennzeichnet Giambattista Tiepolo ihn als halb sympathische, halb sinistre Figur. Nicht nur wegen seiner Maßlosigkeit ist Pulcinella ein Außenseiter der Gesellschaft. Das bleibt er auch bei Giandomenico, doch tritt er dort zugleich als multipler Jedermann in Erscheinung.

Beim älteren wie beim jüngeren Tiepolo breitet sich, wenn Pulcinella im Spiel ist, über alle vordergründige Heiterkeit der Hauch einer tiefen Melancholie. „Im Grunde ist Pulcinella die perfekte Verkörperung einer Spaßgesellschaft, der die Grundlage für ihr Tun abhanden kommt“: Dombrowski bezieht sich auf den langsamen Untergang der einstigen Herrlichkeit Venedigs im 18. Jahrhunderts, der 1797 in der traumatischen Vernichtung der politischen Freiheit durch Napoleon seinen Abschluss fand.

Bis dahin wurden in der Lagunenstadt Kunst und Leben als Spiel und Theater zelebriert. „Die Aktualität der Pulcinella-Thematik, mit allen ihren Ambiguitäten, könnte nicht größer sein“, resümiert der Professor für Kunstgeschichte. Aber auch ohne Interesse an der Gegenwartsrelevanz lohnt der Besuch der Installation: Selten waren in einem Würzburger Museum so skurrile Bilder zu sehen.

Ausstellung und Rahmenprogramm

PULCINELLA | Giambattista & Giandomenico Tiepolo zwischen Komik und Abgrund. Installation in der Gemäldegalerie des Martin von Wagner Museums, 25. Mai bis 29. Juni 2025. Öffnungszeiten dienstags bis samstags 13.30 bis 17 Uhr, sonntags im Wechsel mit der Antikensammlung 10 bis 13.30. Soft Opening mit Erläuterungen vor den Werken am Sonntag, 25. Mai um 11 Uhr.

Uraufführung von Johannes Schallhorns „Divertimento per il regazzi“ durch das Trio Catch mit Anmerkungen zu den Pulcinella-Zeichnungen Giandomenico Tiepolos durch Professor Damian Dombrowski am 29. Mai 2025 um 11 Uhr; anschließend Führung durch die Installation. Wegen der Schließung des Toscanasaal findet das Konzert im Würzburger Mozartareal, Hofstraße 11 statt. Kartenbestellung unter info@mozartfest.de, T: (0931) 372336 oder im Kartenbüro im Mozartareal.

Einen Kunst-Musik-Dialog zum Pulcinella-Thema führen am Dienstag, 10. Juni um 18 Uhr Professor Ulrich Konrad und Professor Damian Dombrowski. Bei dem beliebten Format möchten ein Musikwissenschaftler und ein Kunsthistoriker sich gegenseitig beweisen, dass ihre Disziplin der Wahrheit am nächsten kommt. Aus dem improvisierten Schlagabtausch geht in der Regel vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss, aber doch manche unvermutete Einsicht hervor.

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Von Pressestelle JMU

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