English Intern
  • Würzburg sagt Nein zu Gewalt gegen Frauen
  • Eine Studentin fährt auf ihrem Roller zur Uni.

Gezeichnete Vielfalt – geballte Forschung

25.11.2025

Im Martin von Wagner Museum sind vier Monate lang italienische Zeichnungen aus der Sammlung seines Namensgebers zu sehen. Dahinter steht ein internationales Forschungsprojekt.

none
Die mutmaßlich früheste Darstellung des Künstlerruhms in der italienischen Renaissance: Federico Zuccari, Entwurf für die Decke seines Florentiner Wohnhauses, um 1575–79. (Bild: André Mischke)

Martin von Wagner (1777–1858) war alles Mögliche: Maler, Bildhauer, Kunstagent, Kunsthistoriker – und Sammler. Von den rund 8.000 Zeichnungen, die er am Ende seines Lebens der Universität seiner Heimatstadt Würzburg vermacht hat, bewahrt das Martin von Wagner Museum trotz Kriegsverlusten immer noch über 5.000.

2.104 davon stammen von italienischen Zeichnern aus Renaissance, Barock und Klassizismus. Eine Auswahl von 77 Blättern wird jetzt in der „Kleinen Galerie“ des Museums präsentiert, unter dem Titel „IDEE UND LINIE | Italienische Zeichnungen aus der Sammlung Martin von Wagners“. Die Sonderausstellung ist im Grunde genommen die Nebenblüte eines viel größeren Unternehmens. Dafür gewährt sie aber Einblicke in ein großangelegtes Erschließungsprojekt.

Eine Darstellung der Vielfalt der italienischen Zeichenkunst

Schon vor Jahren hat Professor Eckhard Leuschner, der an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte innehat, ein Team aus 23 Fachgelehrten aus Deutschland, Italien, Frankreich, England und den USA zusammengestellt. Sie sollten einen Katalog von rund 140 Zeichnungen des Martin von Wagner Museums aus allen relevanten Kunstlandschaften Italiens erarbeiten. „Das Hauptziel war eine ausgeglichene Darstellung der Vielfalt an Stilen, Schulen, Techniken und Funktionen, von denen die italienische Zeichenkunst über vier Jahrhunderte hinweg geprägt war“, so Leuschner.

Doch die Absicht, die mit der wissenschaftlichen Erschließung der Blätter verfolgt wurde, ging noch darüber hinaus. Die Sammlung Martin von Wagners enthält – auch wenn Namen wie Barocci, Bernini oder Tiepolo nicht fehlen – nur eine begrenzte Anzahl von Werken führender italienischer Meister; etwa drei Viertel der Zeichnungen stammen von weniger bekannten Künstlern.

Doch genau diese bisher nur wenig oder gar nicht beachteten Blätter standen im Mittelpunkt der Erschließungsarbeit. Leuschner erkennt darin den besonderen wissenschaftlichen Wert des Katalogs: „Zum ersten Mal wird einiges Material zugänglich, das kaum je einen Platz in Übersichtswerken zur italienischen Zeichnung finden würde.“ Schöner Nebeneffekt: Das Museum freut sich über zahlreiche Neuzuschreibungen von bisher anonymen Werken.

Zweibändige Publikation zur Ausstellung

Dieses Forschungsgebiet ist seit jeher angelsächsisch dominiert. Die pünktlich zur Ausstellung vorgelegte, zweibändige Publikation zu den italienischen Zeichnungen ist deshalb in englischer Sprache erschienen. Der Titel „An Artist’s Choice“ verweist auf den Sammler Martin von Wagner. Ihm ist beispielsweise die relativ große Zahl an Zeichnungen aus den Marken zu verdanken; erstmals überhaupt wurde in einem Museum der Versuch unternommen, eine „scuola marchegiana“ zu konturieren, aus der stilistischen Kohärenz dieser Blätter also eine eigenständige Gruppe abzuleiten.

Der erste Band enthält den Katalog der bearbeiteten Zeichnungen sowie fünf Essays, die bestimmte Aspekte oder Werkgruppen der italienischen Zeichnungen Martin von Wagners vertiefen. Eigentlich sollten es sechs werden, denn als Einführung war eine Darstellung zu Wagner als Sammler geplant. Am Ende wurde daraus ein eigener Band mit 250 Seiten, verfasst von der Nachwuchswissenschaftlerin Carolin Goll.

„Diese Studie schöpft durchgehend aus neuen Quellen; dadurch ist sie ein fundamentaler Beitrag zur Frühgeschichte unseres Hauses“, freut sich Damian Dombrowski, Direktor der Neueren Abteilung des Martin von Wagner Museums und Professor am Würzburger Institut für Kunstgeschichte: „Warum Wagner sich überhaupt für die Alma Julia als Destination seiner Sammlung entschieden hat, war bislang gar nicht bekannt. Seine originellen Überlegungen pro oder contra Universität sind überaus vergnüglich zu lesen.“

Finanzkräftige Unterstützung durch zwei Stiftungen

Die Publikation ist prächtig ausgestattet – unter anderem mit über 600 Abbildungen –, war dadurch aber auch ein sehr kostspieliges Unterfangen. Umso wichtiger war es, finanzkräftige Partner als Unterstützer des Projekts zu gewinnen. Dies war zum einen die Ernst von Siemens Kunststiftung, die gerade erst den Ankauf eines Monumentalgemäldes von Wagners Lehrer Heinrich Friedrich Füger ermöglicht hat.

Der Generalsekretär der Stiftung, Dr. Martin Hoernes, nennt die Gründe für die Förderung: Die Ausstellung „zeigt die eindrucksvolle Vielfältigkeit von Zeichnungen aus den großen italienischen Zentren und erlaubt eine Begegnung mit der künstlerischen Kraft von Renaissance und Barock. Neben der Förderung des neuesten Erwerbs des Martin von Wagner Museums, Fügers Thetis vor Zeus, ist es der Ernst von Siemens ein besonderes Anliegen, der Öffentlichkeit die Sammlung des Mannes näher zu bringen, dessen Namen das Museum trägt.“

Zum anderen stellte die Wellhöfer-Stiftung für das forschende Museum erhebliche Mittel für die Ausstellung bereit. Sie wurde 2023 gegründet und am Martin von Wagner Museum angesiedelt – auf Initiative von Dr. Herbert Wellhöfer, der damit zum bedeutendsten Mäzen des Museums wurde. Mit den jährlichen Ausschüttungen der Stiftung werden Dissertationen durch Stipendien gefördert und Forschungsprojekte realisiert. Dieses ist das bisher umfangreichste.

Ausstellung wandert nach Italien

Neben Dombrowski und Leuschner ist Dr. Luca Baroni der dritte Herausgeber von „An Artist’s Choice“. Der italienische Zeichnungsforscher leitet die „Rete Museale Marche Nord“, einen Zusammenschluss mehrerer Museen in den italienischen Marken. In dieser Eigenschaft hat Baroni dafür gesorgt, dass die Ausstellung im kommenden Sommer nach Italien wandert.

Die Würzburger Zeichnungen werden im Herzogspalast von Urbino zu sehen sein, der Heimat von Raffael und Federico Barocci – was wiederum zu Wagners Vorliebe für Künstler aus den Marken passt. In den viel größeren Räumen können weitaus mehr Blätter gezeigt werden als im Martin von Wagner Museum. Vor allem ist an diesem Ort internationale Beachtung garantiert, denn Urbino war eines der wichtigsten Zentren der Renaissance.

Vorerst aber können die Zeichnungen im Martin von Wagner Museum besucht und studiert werden. Während der Katalog in „An Artist’s Choice“ nach Kunstlandschaften geordnet ist, wurden die in „Idee und Linie“ präsentierten Zeichnungen nach thematischen Gesichtspunkten gegliedert. Die Kapitel heißen beispielsweise „Natur und Bewegung“, „Akt und Anatomie“ oder „Kopf und Gesicht“. Innerhalb dieser und anderer Themenstellungen treten die Unterschiede zwischen Stilen und Epochen umso prägnanter hervor.

Zusammengenommen ergeben die Zeichnungen das, was die Kunst Italiens seit jeher besonders auszeichnet: die Mannigfaltigkeit der künstlerischen Handschriften, der zeichnerischen Techniken, der individuellen Temperamente. Nichts wiederholt sich, nichts begnügt sich mit der Norm; und dennoch fügt sich alle Abweichung und Variation zu einem harmonischen Bild zusammen – einem Begriff von „disegno“, der seit der Renaissance bis zum Klassizismus an der Wurzel des italienischen Kunstschaffens ist. Wer die Ausstellung „IDEE UND LINIE“ durchstreift, dürfte besser verstehen, warum Italien in der frühen Neuzeit die künstlerische Lehrmeisterin Europas war.

Die Ausstellung

Sonderausstellung „IDEE UND LINIE | Italienische Zeichnungen aus der Sammlung Martin von Wagners“, bis 22. März 2026 in der „Kleinen Galerie“ des Martin von Wagner Museum, Südflügel der Würzburger Residenz, 2. Stock. Der Eintritt beträgt 5 Euro (ermäßigt 3 Euro).

Ein Kurzführer (44 Seiten, 78 farbige Abbildungen) dokumentiert sämtliche Zeichnungen der Ausstellung, begleitet von knappen Texten.

Die Publikation „An Artist’s Choice“ | Italian Drawings from the Collection of Martin von Wagner, herausgegeben von Eckhard Leuschner, Damian Dombrowski und Luca Baroni (2 Bände, 780 Seiten, 604 Abbildungen) ist im Harrassowitz Verlag Wiesbaden erschienen und kostet 98 Euro.

Weitere Bilder

Von Martin von Wagner Museum

Zurück