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Juristische Zeitreise

14.02.2023

Unter der Leitung der Würzburger Professorin Anja Amend-Traut ist Ende 2022 eine Datenbank online gegangen, die die Recherche nach historischen Prozessakten erleichtert.

Ausschnitt eines Kupferstiches von 1750. Gezeigt ist eine Audienz am Reichskammergericht in Wetzlar.
Ausschnitt eines Kupferstiches von 1750. Gezeigt ist eine Audienz am Reichskammergericht in Wetzlar. (Bild: wikimedia)

Nicht nur in den Rechtswissenschaften sind Prozessakten gefragte Quellen. Historisches Material kann in verschiedenen Zweigen der Geschichtsforschung Aufschluss über Personen, Orte und Vorkommnisse liefern. Informationen zu über 40.000 solcher Akten sind seit Anfang Dezember 2022 im Rahmen des Forschungsprojekts „Datenbank Höchstgerichtbarkeit“ online abrufbar. Professorin Anja Amend-Traut, an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Bürgerliches Recht, leitet das Projekt.

Die Akten stammen vom Reichskammergericht, einem der beiden höchsten Gerichte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Letzteres bestand von 1495 bis 1806.

Ein echtes Langzeitprojekt

Bereits ab 1976 wurden in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt die Akten zu über 70.000 am Reichskammergericht verhandelten Fällen inventarisiert. Diese Aufgabe hatten die meisten der rund 50 Archive in Deutschland und im Ausland übernommen, auf die das Aktenmaterial heute verteilt ist. Mittlerweile liegen mehr als 120 Bände vor.

Etwa 20 Jahre später begann der Bochumer Rechtshistoriker Professor Bernd Schildt, die Bände in einer Datenbank zugänglich zu machen. Damit waren erstmals Informationen zu einzelnen Verfahren erhältlich, ohne die weit verteilten Archive selbst aufsuchen zu müssen. Vor allem jedoch ist der Mehrwert der Datenbank in den mit ihr möglichen Suchanfragen zu sehen. Denn mit den einzelnen Inventarbänden können nur Recherchen für den jeweiligen Archivbestand vorgenommen werden. Übergreifende Suchanfragen sind dagegen nur mit größtem Aufwand zu betreiben, da es kein Gesamtregister gibt und kaum eine Bibliothek sämtliche Bände im Bestand hat. Durch die Zusammenfassung sämtlicher Einträge der Inventarbände waren nun beliebig kombinierbare Suchanfragen möglich.

„In dieser Form war die Datenbank allerdings nur als Download verfügbar. Bei dem enormen Umfang, der ja immer weiter anstieg, war das aber irgendwann nicht mehr praktikabel“, erinnert sich Amend-Traut. An sie hat Schildt das Mammutvorhaben 2014 übergeben: „Ich kannte die Datenbank vorher als Nutzerin. Aufgrund unseres ähnlichen Forschungsgebiets kam Bernd Schildt wegen der Nachfolge auf mich zu. Er ist aber, gerade mit seiner technischen Expertise, im Hintergrund weiterhin beteiligt.“

Nun folgte der Schritt vom Access-Format zur jederzeit online aufrufbaren Variante. Ein digitales Zuhause dafür fand die Datenbank nach längerer Suche schließlich beim Zentrum für Informationsmodellierung (ZIM) an der Universität Graz: „Die dortige Informatik bietet die perfekte Schnittstelle zu den Geschichtswissenschaften“, zeigt sich Amend-Traut glücklich.

Erweiterungen sind in Planung

Nächstes Ziel sei natürlich die vollständige Aufnahme der Inventarbände des Reichskammergerichts. Weiterhin sollen Prozessakten anderer Gerichte eingepflegt werden. Die juristische Landschaft im Heiligen Römischen Reich zeichnete sich nämlich durch eine ungewöhnliche Pluralität aus. Neben dem Reichskammergericht existierte noch der Reichshofrat. Beide Gerichte fungierten unter anderem als letztinstanzliche Spruchkörper: „Sie standen zwar in einer gewissen Konkurrenz zueinander, erkannten ihre jeweilige Autorität aber gegenseitig an“, so Amend-Traut.

Bei der Entscheidung der Untertanen, welches Gericht man anrief, spielten verschiedene Faktoren eine Rolle, zum einen räumliche – der Reichshofrat hatte seinen Sitz in Wien, das Reichskammergericht zunächst in Speyer, später in Wetzlar.

Doch auch juristisches Kalkül war zu beachten: „Die jüdische Klientel etwa tendierte wohl eher zum Reichshofrat. Sie stand nämlich, zumindest offiziell, unter dem besonderen Schutz des Kaisers – und er war oberster Gerichtsherr des Reichshofrats. Für diesen konnte er, im Gegensatz zu den Richtern am Reichskammergericht, die Hofräte allein und ohne Einmischung etwa der Reichsstände besetzen“, erklärt die Rechtshistorikerin.

Auch Akten aus dem Wismarer Tribunal, einem Mitte des 17. Jahrhunderts gegründeten Gericht für schwedische Reichslehen im Reich, sollen in fernerer Zukunft Teil der Datenbank werden.

Anja Amend-Traut blickt noch weiter voraus: „Es wäre technisch auch denkbar, Digitalisate der Prozessakten in die Datenbank einzuspeisen. Das würde aber eine Digitalisierung der einzelnen Verfahrensakten durch die Archive voraussetzen und das wird mit Rücksicht auf die damit verbundenen Kosten wohl eher Zukunftsmusik sein.“

Wofür sich die Datenbank nutzen lässt

Die Datenbank ist für verschiedene historische Teilbereiche interessant und erleichtert die Recherche nach Dokumenten enorm. Der besondere Mehrwert liege dabei in der Kombinationsmöglichkeit verschiedener Suchbegriffe über alle integrierten Inventarbände. So sind Informationen über Personen, Orte, Verfahrensgegenstände, Verfahrensarten, Hoheitsträger, Unterinstanzen und vieles mehr erhältlich. Um den praktischen Nutzen zu demonstrieren, führt Anja Amend-Traut ein aktuelles Beispiel aus den Rechtswissenschaften an: Schuldenmoratorien in Krisenzeiten.

„Ein solcher Schuldnerschutz, der zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie viel Aufmerksamkeit bekam, ist natürlich keine neue Erfindung. So etwas gab es etwa schon zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. Wenn man sich die Strukturelemente der historischen Moratorien ansieht und mit den modernen Instrumentarien abgleicht, erkennt man sehr deutliche Parallelen. Dieser Blick in die Vergangenheit lohnt sich häufig, da viele privatrechtliche Institute auf das römische Recht zurückgehen und damit auch Instrumentarium des Reichskammergerichts und des Reichshofrats waren.“

Dank an zahlreiche Unterstützende

Für die technische Umsetzung der ursprünglichen Datenbank gelte Michael Leuschner besonderer Dank, ebenso Christian Steiner vom Zentrum für Informationsmodellierung der Universität Graz für deren jetzt erfolgte Konvertierung.

Weiterhin wäre die Weiterführung des Projekts in Form der Datenkonvertierung ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e.V., der Schulze-Fielitz-Stiftung Berlin, der Wilhelm H. Ruchti-Stiftung, der Edgar Michael Wenz-Stiftung nicht möglich gewesen – auch bei diesen bedanken sich Anja Amend-Traut und Bernd Schildt herzlich.

Weblinks

Datenbank Höchstgerichtbarkeit.

Kontakt

Prof. Dr. Anja Amend-Traut, Lehrstuhlinhaberin für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Bürgerliches Recht, Tel.: +49 931 31-82320, anja.amend-traut@uni-wuerzburg.de

Von Lutz Ziegler

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