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  • Drei Studierende vor der Neuen Uni am Sanderring.

Harmonie modellieren

07.03.2023

Fabian Moss kombiniert Musikwissenschaft, Data Science und Digital Humanities. Seit Dezember 2022 hat er die Juniorprofessor für Digitale Musikphilologie und Musiktheorie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg inne.

Neben Computermodellen arbeitet Fabian Moss selbstverständlich auch mit Büchern für seine Forschung.
Neben Computermodellen arbeitet Fabian Moss selbstverständlich auch mit Büchern für seine Forschung. (Bild: Gunnar Bartsch / Universität Würzburg)

Wer wissen will, womit sich ein Professor für digitale Musikphilologie beschäftigt, kommt um ein paar Zahlen nicht herum. Beispielsweise hat Ludwig van Beethoven 16 Streichquartette mit insgesamt 70 Sätzen komponiert – je nach Interpretation sind das zusammengenommen etwa acht Stunden Musik. In diesen 16 Stücken finden sich rund 30.000 Akkorde, die in fast 2.000 verschiedenen Varianten vorliegen. Diese Akkorde sind nicht zufällig verteilt, sondern bilden bestimmte Abfolgen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als andere Kombinationen. „Die Reihenfolge ist also wichtig. Es ist nicht möglich, die Komposition beispielsweise rückwärts zu hören“, sagt Fabian C. Moss.

Musik und ihre Struktur verstehen

Moss ist seit dem 1. Dezember 2022 Juniorprofessor für Digitale Musikphilologie und Musiktheorie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). In seiner Forschung versucht er, konzeptionelle und methodische Ansätze aus den Geistes- und Naturwissenschaften zu kombinieren und Musik und ihre Struktur aus einer interdisziplinären Perspektive heraus zu verstehen.

Moss kombiniert dafür Mathematik, Informatik und Musiktheorie. In seiner Forschung will er digitale Methoden und Ansätze in der Musikwissenschaft etablieren, indem er Musik in digitale Daten überträgt und diese mit Hilfe spezieller Computermodelle analysiert. Eine typische Forschungsfrage könnte dann lauten: „Lässt sich musikalischer Stil messen? Wenn ja, wie?“ Erkennt also das Programm, ob es klassische Musik, Jazz oder Pop „hört“? Weiß es, dass es mit einer Sonate von Franz Schubert zu tun hat und nicht mit einer von Clara Schumann? Die übergeordnete Frage lautet in diesem Fall: „Worin liegen die Besonderheiten dieser Stücke? Was sind gemeinsame Charakteristika?“, sagt der Musikwissenschaftler.

Eine digitale Geschichte der Harmonie

Wobei Moss selbst sich weniger auf den Stil einzelner Komponistinnen und Komponisten konzentriert. Er interessiert sich schon seit einiger Zeit für das Thema Harmonik und will deshalb auch in den kommenden Jahren an einer, wie er sagt, „digitalen Geschichte der Harmonie“ weiterschreiben, in der es weniger um Analysen einzelner Stücke, sondern vielmehr um weitgespannte Bögen geht, die sich aus großen Datensätzen herauslesen lassen.

Logisch, dass für diese „Big-Data“-Analysen Computer und Algorithmen eine zentrale Rolle spielen. Moss sucht gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen nach Wegen, Harmonie digital zu erfassen und zu repräsentieren – „Wir holen die Informatik mit ins Boot“, sagt er. Die traditionelle Musikwissenschaft und -theorie sei dabei natürlich immer eng eingebunden und bilde ein unverzichtbares Korrektiv.

Algorithmen sind auch von zentraler Bedeutung in einem Forschungsgebiet, das er sich aktuell neu erarbeitet: die sogenannte „kulturelle Evolution“. Dabei geht es darum, Modelle aus der Evolutionsbiologie auf kulturelle Domänen zu übertragen; im Mittelpunkt steht die Frage, ob und inwieweit sich kulturelle Transmissionsprozesse mit Computermodellen darstellen lassen.

 „Die Popularität bestimmter Komponisten liegt ja nur zu einem Teil an der Qualität ihrer Werke“, sagt Moss. Für diese Popularität seien auch äußere, etwa kulturelle und soziale Einflüsse mitverantwortlich, nach denen der Musikwissenschaftler sucht. Worum es in diesem Bereich nicht geht: Welche Art von Musik im kommenden Jahrzehnt die Charts dominiert, welcher Song der nächste Hit wird. „In die Zukunft schauen können wir nur begrenzt, und ich finde das auch nicht besonders interessant“, sagt Moss.

JMU: Ein guter Ort für digitale Philologie

Die JMU sei ein sehr guter Ort für seine Forschung, findet der Musikwissenschaftler. Erstens, weil die Universität bereits seit vielen Jahren ein renommierter Akteur im Bereich der Computerphilologie ist. Zweitens, weil am Institut für Musikforschung aktuell zwei große digitale Editionsprojekte laufen. Und drittens, weil Moss in das Zentrum für Philologie und Digitalität „Kallimachos“ (ZPD) eingebunden ist – einer zentralen wissenschaftlichen Einrichtung der JMU, die einen Bogen zwischen den Geisteswissenschaften, der Informatik sowie den Digital Humanities schlägt. I

m ZPD-Neubau hat Moss die Möglichkeit, sich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Informatik und den Geisteswissenschaften ungezwungen – quasi über den Flur hinweg – auszutauschen und mit ihnen neue Ideen zu entwickeln. „Ich freue mich sehr auf die künftige Zusammenarbeit mit Studierenden und Kolleginnen und Kollegen, auch aus anderen Fachbereichen.“

Andere Formen des Arbeitens in der Lehre

„Andere Formen des Arbeitens lernen“: Unter dieser Überschrift könnten Fabian Moss‘ Vorstellungen für sein Lehrangebot stehen. „Ich habe selbst häufig im Team gearbeitet und dabei viel von Kolleginnen und Kollegen gelernt“, sagt er. Diese Erfahrung will er auch seinen Studierenden ermöglichen – beispielsweise indem diese ihre Hausarbeiten nicht einfach schreiben, bei ihm abliefern und dann auf die Note warten. Moss schaltet eine Art „Peer-Review-Prozess“ dazwischen. Dabei lesen zunächst andere Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer die Arbeit und geben dann eine Rückmeldung. Der Autor oder die Autorin haben anschließend die Chance, an ihrem Text weiterzuarbeiten und diesen zu verbessern, bevor sie ihn endgültig abgeben.

Kann er eigentlich noch in ein Konzert gehen und die Musik genießen? Oder fängt sein Gehirn zwangsläufig mit der Analyse an? Fabian Moss erkennt darin keinen Widerspruch: „Es bereichert mein Musikerleben, wenn ich verstehe, was passiert“, sagt er. Als Pianist und ehemaliges Mitglied eines Vokalensembles hat er zwar seine Vorlieben, insgesamt sei sein Musikgeschmack aber breit aufgestellt. Schließlich habe jede Art von Musik etwas Interessantes.

Zur Person

Fabian Moss (36) hat an der Universität zu Köln Mathematik und Erziehungswissenschaft für das Lehramt studiert. Zusätzlich absolvierte er an der Hochschule für Musik und Tanz Köln ein Studium für das Lehramt im Fach Musik mit dem Schwerpunkt auf Klavier sowie das Studium der Musikwissenschaft mit einem Master als Abschluss. Für seine Promotion, die er im Dezember 2019 abschloss, wechselte er an die Technische Universität Dresden und, zusammen mit seinem Doktorvater, an die École Polytechnique Fédérale de Lausanne.

Weitere Stationen seiner akademischen Laufbahn waren die École Polytechnique Fédérale de Lausanne als Postdoc in Digital Musicology und die Universität Amsterdam als Research Fellow in Cultural Analytics. Seit Dezember 2022 ist er Juniorprofessor für Digitale Musikphilologie und Musiktheorie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Kontakt

Prof. Dr. Fabian Moss, Juniorprofessur für Digitale Musikphilologie und Musiktheorie, T: +49 931 31-83693, fabian.moss@uni-wuerzburg.de

https://fabian-moss.de/

Von Gunnar Bartsch

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