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Geschichte trifft Chemie

14.01.2020

Wie spannend Forschung zwischen Geschichte und Chemie sein kann, erlebten Schülerinnen und Schüler des Würzburger Röntgen-Gymnasiums im „Keilschrift-Labor“ an der Universität Würzburg.

Im „Keilschrift-Labor“ zeigt Michele Cammarosano den Sechstklässlern, wie man mit Keilen aus Schilfrohr auf selbstgeformten Wachstafeln schreiben kann.
Im „Keilschrift-Labor“ zeigt Michele Cammarosano den Sechstklässlern, wie man mit Keilen aus Schilfrohr auf selbstgeformten Wachstafeln schreiben kann. (Bild: Miro Sevestre / Uni Würzburg)

In der Würzburger Residenz haben die Sechstklässler des Röntgen-Gymnasiums nicht nur Geschichte nachvollzogen und Keilschrift-Schreiben gelernt, sie haben auch die Erforschung historischer Wachstafeln aktiv im Chemie-Labor nachvollziehen können.

Von der Wachstafel zum Tablet

Das „Keilschrift-Labor“ für Schulklassen ist am Lehrstuhl für Altorientalistik und in der Didaktik der Chemie der Universität Würzburg aus dem Forschungsvorhaben „WoW! Writing On Wax“ entstanden. Dieses mehrjährige Vorhaben beschäftigte sich interdisziplinär mit Schreibtechniken, die über Jahrtausende hinweg auf Wachs angewandt wurden. Analog diente als roter Faden für das Schülerlabor die Entstehung der Schrift im Alten Orient und die Verwendung von Wachs als Schriftträger.

Die Erfindung der Keilschrift im vierten Jahrtausend vor Christus war eine der bedeutendsten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte – zusammen mit den ägyptischen Hieroglyphen bildete sie die Grundlage für die Entwicklung der phönizischen, hebräischen und griechischen Alphabete. Geschrieben wurde auf Ton, aber auch auf Wachs.

Was war – und ist bis heute – der Mehrwert einer Wachstafel für das Schreiben? Im Grunde das Gleiche, was später zu Papier und Bleistift führte und heute zum Tablet-Computer: Man braucht für diesen Schriftträger zum einen keine klecksende Tinte, zum anderen kann man den Text jederzeit wieder löschen und verändern. Solche Flexibilität ist immer dann nötig, wenn häufiges Korrigieren oder Hinzufügen von Text erforderlich ist. Bei Wachstafeln wird dies dadurch erreicht, dass die Zeichen mittels eines Schreibgriffels in eine Bienenwachs-basierte Schicht („Wachspaste“) eingeritzt (oder im Falle von Keilschrift eingedrückt) werden. Die beschriftete Oberfläche kann bei Bedarf radiert und anschließend sofort neu beschriftet werden.

Wow! Writing on Wax

Über die Schriftpraxis der historischen Wachstafeln informieren zahlreiche Textquellen und archäologische Funde. Die bei Keilschrift-Wachstafeln angewandte Zusammensetzung der Pasten hingegen war bis dato nahezu unerforscht. Im Rahmen des Projektes „WoW! Writing On Wax“ wurden daher Kooperationen, unter anderem mit dem Vorderasiatischen Museum in Berlin und dem Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der TH Köln, eingegangen.

Die neuen Erkenntnisse über das Schreiben auf Wachs sollten aber nicht nur der Fachwissenschaft, sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Anliegen von Dr. Michele Cammarosano (Altorientalistik), Dr. Katja Weirauch und Erik Schumann (Didaktik der Chemie) war hierbei insbesondere, dass die Schülerinnen und Schüler selbst zu aktiven Forschern werden und die Gedanken des Projekts möglichst eigentätig nachvollziehen konnten. Sie sollten Einblick in die Geschichte der Schrift erhalten, die Grundlagen der Keilschrift erlernen und den Werkstoff Wachs im Hinblick auf seine Beschreibbarkeit erkunden.

Daher wurde ein fächerübergreifendes „Keilschrift-Labor“ entwickelt, das Inhalte des Lehrplans Geschichte und Natur und Technik abdeckt. Langfristig soll es in ein mobil einsetzbares, experimentell ausgerichtetes Schülerlabor für Schulen und Museen münden. Die Materialien und das Lehrer-Handbuch dazu können in Form einer Box ausgeliehen werden, deren Finanzierung unter anderem vom Universitätsbund Würzburg unterstützt wird.

In Keilschrift schreiben

Für den Workshop durfte neben den Räumen des Lehrstuhls für Altorientalistik auch eine ganz besondere Kulisse von den Lernenden genutzt werden, nämlich der Studiensaal der Antikensammlung im Martin von Wagner Museum.

Der Vormittag begann für die Schulklasse mit einem Erkundungsspiel, in dem sie verschiedene Persönlichkeiten wie Könige oder Dichterinnen, Händler oder Schreiber des Alten Orients kennenlernten. Vom Leben dieser Menschen weiß man heute einiges, weil es eine Schrift gab, um wichtige Dinge festzuhalten: die Keilschrift. Die Schriftzeichen bestehen hier aus winzigen pyramidenförmigen Vertiefungen, welche man beim Eindrücken einer eckigen Griffelspitze in den feuchten Ton erzeugt. Man kann sie heute noch lesen oder selbst schreiben – auch wenn es erst einmal ungewohnt aussieht.

Auf selbstgeformten Tontafeln konnten die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe von Schreibgriffeln aus Schilfrohr erste Grundlagen des Keilschrift-Schreibens erlernen und ihren Namen mit babylonischen Schriftzeichen im Ton hinterlassen.

Alltägliche Schreibunterlage im Alten Orient war neben der Tafel aus Ton auch die Tafel aus Wachs. Während für mittelalterliche Wachstafeln Rezepturen bekannt sind, sind für Keilschrift-Tafeln keine überliefert.

Welche Konsistenz muss eine solche Wachstafel haben? Die Menschen schrieben Keilschrift bei Hitze in gleißender Sonne ebenso wie in einem kühlen, dunklen Keller bei Fackellicht. Nutzte man verschiedene Wachsmischungen für verschiedene Situationen? Dieser Forschungsfrage durfte die Schulklasse selbst nachgehen und sie – analog zum Vorgehen der Forscherinnen und Forscher – experimentell beantworten.

Ausgestattet mit Laborkitteln und Schutzbrillen ging es ins Chemie-Labor, in dem sie von Studierenden des Lehramts betreut wurden. Nun konnten die Schülerinnen und Schüler Wachstafeln nach drei verschiedenen Rezepten gießen und mit einem Bewertungsbogen empirisch auf Beschreibbarkeit mit Keilschrift testen.

Im Einsatz für die Wissenschaft

Überlegungen eines realen Forschungsvorhabens nachzuvollziehen, eigentätig eine wissenschaftliche Fragestellung auf experimentellem Weg beantworten und den eigenen Namen in Keilschrift schreiben – dies waren die Ziele des Schülerworkshops, den auch Lehramtsstudent Erik Schumann im Rahmen seiner Zulassungsarbeit für das Erste Staatsexamen mit konzipiert hat.

„In diesem Projekt sind zwei Fächer super miteinander verknüpft, die nicht unterschiedlicher sein könnten: In Geschichte arbeitet man mit historischen Quellen, in Chemie mit modernsten Laborgeräten“. Die Vorbereitung des Schülerlabors sei für den künftigen Chemielehrer „ein tolles Training gewesen, das man vor dem Referendariat schon mal probiert haben sollte. Aufwändig in der Vorbereitung, aber sehr lohnend!“

Am Ende des erfolgreichen Workshops überreichte das Uni-Team der Schulklasse für ihren Einsatz zugunsten der Wissenschaft ein Päckchen mit einer Geheimbotschaft für den nächsten Schultag – natürlich in Keilschrift.

Website und Kontakt

Website www.osf.io/urpuf/wiki/home/
Dr. Michele Cammarosano, Lehrstuhl für Altorientalistik, +49 931 31-89694, michele.cammarosano@uni-wuerzburg.de
Dr. Katja Weirauch, Didaktik der Chemie, +49 931 31-83353, katja.weirauch@uni-wuerzburg.de

Von Annette Popp

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