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Fußballkarriere nach Stammzelltherapie

19.07.2016

Lucas Melchner ist auf dem Weg zum Profifußballer. Auch eine Bluterkrankung und eine zweimalige Stammzelltherapie am Uniklinikum Würzburg waren für den 15-Jährigen kein Grund, von seinem Ziel abzuweichen.

Der ehemalige MDS-Patient Lucas Melchner und Privatdozent Dr. Matthias Wölfl vor der Stammzelltherapie-Station „Schatzinsel“ der Würzburg Universitäts-Kinderklinik. (Foto: Arnika Hansen/Uniklinikum Würzburg)
Der ehemalige MDS-Patient Lucas Melchner und Privatdozent Dr. Matthias Wölfl vor der Stammzelltherapie-Station „Schatzinsel“ der Würzburg Universitäts-Kinderklinik. (Foto: Arnika Hansen/Uniklinikum Würzburg)

Die Familie Melchner aus Königstein im Landkreis Amberg-Sulzbach ist fußballverrückt. Der ehemalige bayerische Landesligaspieler Manfred Melchner nahm seine Söhne, die Zwillingsbrüder Daniel und Lucas, schon im Alter von drei Monaten mit auf den Platz. Die Begeisterung sprang über: Seit ihrem vierten Lebensjahr sind sie enthusiastische Kicker. Mit so viel Talent und Willen, dass bei beiden eine Profikarriere möglich erscheint. Die Brüder wurden für das Nachwuchsleistungszentrum der Spielvereinigung Greuther Fürth ausgewählt.

Um an diesen Punkt zu gelangen, musste Lucas in den vergangenen Jahren allerdings zwei massive gesundheitliche Krisen überwinden. Das gelang ihm mit viel persönlichem Kampfeswillen, der Unterstützung seiner Familie und der medizinischen Versorgung des Uniklinikums Würzburgs (UKW).

Diagnose: Myelodysplastisches Syndrom

Ende 2009, Lucas ist in der dritten Klasse. Seine Mutter entdeckt an seinen Oberschenkeln und Schultern viele stecknadelkopfgroße Hauteinblutungen. Eine Überprüfung durch die Kinderärztin der Familie ergibt, dass mit Lucas‘ Blutwerten etwas nicht stimmt.

Im heimatnahen Krankenhaus, der Cnopf’schen Kinderklinik in Nürnberg, kommen die Ärzte schnell auf die richtige Diagnose: Myelodysplastisches Syndrom, kurz MDS. Der Begriff umfasst eine Reihe von Erkrankungen des Knochenmarks, bei denen zu wenig funktionstüchtige Blutzellen gebildet werden.

Bezeichnend für das MDS ist ein Mangel an normalen roten Blutkörperchen, bestimmten weißen Blutkörperchen und Blutplättchen im Blut. Während bei gesunden Menschen diese drei Zellarten aus Blutstammzellen im Knochenmark gebildet werden, ist bei MDS-Patienten der Prozess der Blutbildung gestört: Die Stammzellen reifen nicht vollständig aus, die Blutzellen sind funktionsunfähig oder werden nur in zu geringer Zahl gebildet. Zudem besteht das Risiko, dass die Krankheit in eine akute Leukämie übergeht.

Mit jährlich vier bis fünf Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner gehört das MDS zu den häufigsten Krankheiten des Knochenmarks. Bei Kindern tritt es normalerweise selten auf.

Einzige Heilungschance: Stammzelltransplantation

Die einzige Heilungschance für MDS-Patienten ist eine Stammzelltransplantation. Das nächstgelegene medizinische Zentrum, das eine solche Behandlung anbietet, ist für die Melchners das Uniklinikum Erlangen. Dort allerdings ist zum damaligen Zeitpunkt kein Therapieplatz frei. Die Erlanger Experten raten deshalb der Familie, das Stammzelltherapiezentrum der Würzburger Universitäts-Kinderklinik aufzusuchen.

In der von Professor Paul-Gerhardt Schlegel geleiteten, auf Stammzelltransplantation spezialisierten Station „Schatzinsel“ des UKW beginnt im Februar 2010 die Behandlung des neunjährigen Lucas. „Bei der Stammzelltransplantation ersetzen wir das erkrankte Knochenmark durch gesundes“, erläutert Privatdozent Dr. Matthias Wölfl.

Laut dem Oberarzt müssen für eine erfolgreiche Therapie zunächst alle krankhaften Knochenmarkzellen des Patienten abgetötet werden. Das wird durch eine Chemotherapie erreicht. „Im Gegensatz zu anderen Bluterkrankungen, wie zum Beispiel den Leukämien, denen eine langwierige Chemotherapie vorausgeht, konnte bei Lucas die Vorbereitung zur Transplantation mit einem einzigen Chemotherapie-Block abgeschlossen werden“, so Wölfl.

Zwillingsbruder als Stammzellspender

Als passender Stammzellspender wurde Daniel identifiziert, der froh war, seinem kranken Zwillingsbruder helfen zu können. Daniels Blutstammzellen erhält Lucas per Infusion. Da sich keine Abwehrreaktionen der übertragenen Zellen gegen den Organismus des Empfängers oder sonstige Komplikationen zeigen, kann Lucas das Krankenhaus schon nach wenigen Wochen verlassen.

Nach einer Erholungsphase für sein Immunsystem geht er im Mai 2010 wieder zur Schule. Und er kann mit seinem Bruder weiter an seiner Fußballkarriere feilen. Noch im selben Jahr holt Reinhold Hintermaier, der ehemalige österreichische Fußball-Nationalspieler und jetzige Jugendkoordinator des 1. FC Nürnberg, die beiden von ihrem Heimatverein TSV Königstein zum SK Lauf.

Schleichende Abstoßung des Transplantats

Leider zeigt sich 2013 bei den regelmäßigen Nachuntersuchungen am UKW, dass sich Lucas‘ Blutwerte langsam, aber kontinuierlich wieder verschlechtern. „Wir nehmen an, dass es zu einer schleichenden Abstoßung des Stammzelltransplantats kam“, sagt Wölfl. Was genau in Lucas‘ Knochenmark passierte, wie sich wann das Verhältnis von den eigenen zu den Spenderzellen veränderte, ist dem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin zufolge nur schwer nachzuweisen, da sich die Zellen der Zwillingsbrüder genetisch zu ähnlich sind.

Nach einigem Abwägen der Risiken und Chancen entscheiden sich die Melchners und die Ärzte des UKW für eine erneute Stammzelltransplantation mit einem anderen Spender. Glücklicherweise wird über das Zentrale Knochenmarkspende-Register für die Bundesrepublik Deutschland (ZKRD) schnell eine ausreichend passende Spenderin gefunden.

Für Lucas war die Entscheidung zu einer weiteren Therapie nicht einfach: „Ich spielte damals schon in der Bezirksoberliga und wollte das nur ungern unterbrechen. Außerdem wusste ich ja jetzt, welche unangenehmen Zeiten bei einer Stammzelltherapie auf mich zukommen.“

Mit Professor Schlegel vereinbart er, dass er an Pfingsten 2014 noch am Cordial Cup teilnimmt und erst danach wieder zur Behandlung in die Station Schatzinsel einrückt. Der Cordial Cup in den Kitzbühler Alpen ist eines der größten Fußball-Nachwuchsturniere in Europa.

Menschlich wie fachlich perfekt betreut

Die zweite Stammzelltherapie ist für Lucas deutlich belastender als die erste. Zum einen sind für den 13-Jährigen die „äußerlichen Effekte“ emotional schwerer zu ertragen: Er verliert Kopfhaar durch die Chemotherapie, zeigt Hautreaktionen auf die neu transplantierten Spenderzellen und legt aufgrund der notwendigen Kortisontherapie an Gewicht zu. Zum anderen geht es ihm phasenweise auch körperlich richtig schlecht.

„Gerade in dieser Zeit war Professor Schlegel immer für uns da und schaute mindestens dreimal täglich nach Lucas – zwischen früh um sechs und abends um zehn“, so Lucas‘ Mutter Sabine Melchner. Generell bezeichnet sie die Betreuung auf der Station „Schatzinsel“ als perfekt: „Die Ärzte und Pflegekräfte hatten immer ein offenes Ohr für unsere Fragen und Sorgen, bei Bedarf wurden Dinge gerne auch mehrfach erklärt und es durfte auch mal gelacht werden – kurz gesagt: Wir fühlten uns menschlich und fachlich einfach sehr gut aufgehoben.“ Auch Lucas erinnert sich dankbar daran, dass ihn beispielsweise die Krankenschwestern immer wieder aufmunterten und sich auch mal die Zeit für ein Spiel mit ihm nahmen.

Sabine Melchner konnte eine klinikumsnahe, von der Elterninitiative leukämie- und tumorkranker Kinder Würzburg e.V. finanzierte Wohnung nutzen. So stand sie während der gesamten stationären Behandlung von Anfang September bis Ende Oktober 2014 ihrem Sohn täglich zur Seite.

Positive Haltung im Genesungsprozess

An den stationären Aufenthalt schließt sich die Nachsorge in der onkologischen Tagesklinik der Würzburger Universitäts-Kinderklinik an. „Die ersten 100 Tage nach einer Stammzelltransplantation sind eine kritische Zeit, in der wir die Kinder und Jugendlichen engmaschig überwachen“, sagt Wölfl. „Viele unserer jungen Patienten sind in dieser Zeit körperlich und psychisch angeschlagen, manche müssen schon zu kleinen körperlichen Betätigungen, wie Spazierengehen, besonders motiviert werden.“

Nicht so Lucas. „Schon am 60. Tag nach seiner Transplantation fragte er mich, wie viele Sit-ups er denn nun schon wieder machen dürfe“, schmunzelt der Oberarzt. „Das war für uns ein weiterer schöner Ausdruck für seine sehr positive Herangehensweise an seine Erkrankung und Genesung.“

Und weiter geht’s im Mittelfeld!

Mit dieser positiven Haltung, viel Disziplin und Engagement schafft Lucas innerhalb eines halben Jahres nach der Behandlung den Anschluss an den Leistungsfußball. Für die Saison 2016 erhalten er und sein Bruder mehrere Angebote von überregionalen Vereinen.

Sie entscheiden sich für Greuther Fürth, weil dieser Verein vergleichsweise nahe bei ihrem Zuhause liegt. Was für die Gebrüder Melchner aber immer noch eine rund 70 Kilometer weite Anreise per Bahn und S-Bahn bedeutet – und das viermal pro Woche. Hinzu kommen die Spiele an den Wochenenden. „Um bei unserem rund 20-köpfigen Kader in die Startelf zu kommen, muss man bei jedem Training sein Bestes geben“, unterstreicht Lucas, der seine typische Spielposition als „offensives zentrales Mittelfeld“ beschreibt.

Ans Uniklinikum Würzburg kommt Lucas derzeit nur noch vierteljährlich, um die Zellanteile in seinem Blut messen zu lassen. Ansonsten spielt die MDS in seinem Leben keine große Rolle mehr – sein Fokus ist es, Profifußballer zu werden und ein tolles Leben zu führen.

(Quelle: Pressemitteilung des UKW)

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