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Ein großes Feld von Fragen

05.02.2019

Michela Summa ist seit diesem Wintersemester Juniorprofessorin für Theoretische Philosophie an der Universität Würzburg. Das Verhältnis von Fiktion und Realität ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte.

Michela Summa vor der Residenz, wo Teile des Instituts für Philosophie untergebracht sind.  (Foto: Daniel Peter)
Michela Summa vor der Residenz, wo Teile des Instituts für Philosophie untergebracht sind. (Bild: Daniel Peter / Universität Würzburg)

„Es tut sowohl Individuen als auch der Gesellschaft gut, das Selbstverständliche zu hinterfragen. Das verbindet sich mit der Fähigkeit, sowohl auf individueller als auch auf sozialer Ebene eine andere Perspektive einzunehmen oder sich mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen. Die neuen Einsichten, die sich auf diese Weise gewinnen lassen, können für das Miteinander, aber auch für Wirtschaft und Politik äußerst fruchtbar sein.“ So antwortet Michela Summa auf die Frage, wofür eine Gesellschaft die Philosophie braucht. Die 38-Jährige ist seit diesem Wintersemester Juniorprofessorin für Theoretische Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Phänomenologie an der Universität Würzburg.

Frühe Begeisterung schon in der Schulzeit

Dass sie Philosophie studieren würde, war Summa schon früh klar. In Italien – Summa stammt aus dem nördlich von Mailand gelegenen Como – wird das Fach ab der dritten Klasse im italienischen Liceo unterrichtet; dabei sei ihre Begeisterung früh entfacht worden. „Mich hat daran besonders fasziniert, wie Philosophen Begriffe klären“, sagt sie. Denn das sei ein typisches Kriterium philosophischen Arbeitens: Nach dem Start mit einer speziellen Frage folge der Versuch, erst einmal die Begriffe zu klären. Daraus ergebe sich dann aber nicht zwangsläufig eine Antwort. Vielmehr sei das Ergebnis in der Regel ein „großes neues Feld von Fragen“.

Fragen zu Zeit und Raum als Erfahrungsstrukturen standen im Zentrum von Michela Summas Doktorarbeit, die sie 2010 an den Universitäten Pavia und Leuven vorgelegt hat. Darin hat sie sich mit Edmund Husserls Raum- und Zeitphilosophie beschäftigt und in einer Auseinandersetzung mit Husserls und Kants transzendentaler Ästhetik eine Theorie der sinnlichen Erfahrung entwickelt. Eine revidierte Fassung der Dissertation ist 2014 mit dem Titel „Spatio-Temporal Intertwining. Husserl’s Transcendental Aesthetic“ bei Springer erschienen und wurde 2016 mit dem Edwin Ballard Prize des Centers for Advanced Research in Phenomenology ausgezeichnet.

Eine Philosophin in der Psychiatrie

Von 2009 bis 2015 war Summa wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Allgemeine Psychiatrie in Heidelberg. Eine Philosophin in der Psychiatrie? „Ich habe dort im Rahmen zweier interdisziplinärer Projekte zum Leibgedächtnis und seinen Störungen einerseits sowie zur Imagination und Perspektivenflexibilität andererseits gearbeitet“, sagt sie. Heidelberg habe eine lange Tradition, was den Austausch von Philosophie und Psychiatrie betrifft, erklärt Summa. Diese reiche zurück bis zu Karl Jaspers, der Anfang des 20. Jahrhunderts dafür den Grundstein gelegt habe.

Für Philosophen gibt es in der Psychiatrie viele Fragen zu untersuchen: Was bedeutet Kranksein? Warum lassen sich psychopathologische Phänomene nicht immer auf biologische Effekte zurückführen? Was macht eine solche Erkrankung mit dem betroffenen Menschen? „Die Phänomenologie bietet für Fragen wie diese eine gute Zugangsweise“, sagt Summa.

Von Heidelberg ging es für Summa anschließend nach Würzburg. Hier war sie von 2015 bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl II (Praktische Philosophie) in Würzburg und hat die Arbeit an ihrer Habilitation aufgenommen. Nach einer Gastprofessur für Phänomenologie und Hermeneutik am Institut für Philosophie in Kassel im Sommersemester 2018 kehrte sie zum Wintersemester 2018/19 an die JMU zurück.

Erfahrungen von Fiktion und Wirklichkeit

„In meinem Habilitationsprojekt beschäftige ich mich mit der Fiktionalität und ihren Grundlagen“, erklärt Summa. Dabei will sie einerseits die Diskontinuität zwischen unserer Erfahrung von Fiktionen und der Erfahrung der Wirklichkeit zeigen. Andererseits analysiert sie verschiedene Formen, in denen Fiktionen Wirklichkeit mitgestalten. Natürlich geht es dabei auch wieder um grundlegende, unser konkretes Leben betreffende Fragen. In diesem Fall könnte eine davon heißen: Was passiert eigentlich, wenn wir einen Roman lesen, einen Spielfilm sehen oder wenn Kinder ein ‚Ich-tue-so-als-ob-Spiel‘ spielen? „Mich interessiert, wie in solchen Fällen das Verhältnis von Realität und Imaginärem aussieht und welche Wechselwirkungen es zwischen diesen Bereichen gibt“, sagt sie.

Ihre Hypothese: Imagination setzt gerade die Fähigkeit voraus, die Wirklichkeit auszuklammern und eine andere Perspektive einzunehmen. Diese andere Perspektive ist aber nicht auf die Welt der Fiktion eingeschränkt, sondern kann auch ein neues Licht auf uns und die Welt, in der wir leben, werfen. Das zeigt sich schon in unserer unmittelbaren emotionalen Betroffenheit und in der Art und Weise, wie Werke der Fiktion die Reflexion auf unser wirkliches Leben fördern. Diese imaginativen Prozesse sind nicht bloß individuelle, sondern soziale Prozesse. Die Sozialität imaginativer Erfahrungen hat auch eine normative Dimension. So gelten zum Beispiel bestimmte Emotionen und Reflexionen als angemessen, andere wiederum als unangemessen.

Ein attraktives Studienfach

Mehr als 400 Studierende sind aktuell an der JMU für Philosophie eingeschrieben – in der Regel in Kombination mit einem weiteren Fach. Eine erstaunlich hohe Zahl für ein Fach, das nicht unmittelbar in einen klar definierten Beruf führt. Was macht nach Ansicht von Michela Summa diese Attraktivität aus? „Man kann sich in der Philosophie mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen, die das eigene Leben betreffen, wie etwa: Was kann ich wissen? Oder: Wie soll ich handeln?“, sagt die Juniorprofessorin. Außerdem eröffne die Philosophie, kombiniert mit einem weiteren Fach, eine spannende Perspektive auf dieses zweite Fach, indem sie zum Nachdenken über dessen Bedeutung anrege.

Was jemand mitbringen soll, der sich für ein Philosophiestudium interessiert? Auf alle Fälle ein Interesse an einer historischen Einbettung und begrifflichen Strukturierung von Problem- und Themenstellungen. Dann natürlich Neugierde, also die Lust daran, Fragen zu stellen. Und die Bereitschaft, nicht auf alle Fragen eine unmittelbare Antwort zu erwarten, sondern damit leben zu können, dass eine Frage mitunter viele neue Fragen eröffnet. Fast noch wichtiger, so Michela Summa, sei allerdings die Fähigkeit, „hinter die eigenen Ideen zurücktreten zu können, sie zu überprüfen und gegebenenfalls die Argumentationsmittel zu erarbeiten, um sie zu verteidigen“. Ein Philosoph müsse aber auch in der Lage sein, seine speziellen Fragen und Motivationen zu hinterfragen – und sich gegebenenfalls von alten Überzeugungen zu verabschieden.

Kontakt

Prof. Dr. Michela Summa, Juniorprofessur für Theoretische Philosophie
T: +49 931 31-82033, michela.summa@uni-wuerzburg.de

 

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