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Die Not ist noch groß

29.09.2020

Wie ist der Unterricht an unterfränkischen Grund- und Mittelschulen während des Lockdowns gelaufen? Dieser Frage sind Mathedidaktiker der Universität Würzburg nachgegangen. Ihre Ergebnisse zeigen ein gemischtes Bild.

Wochenlang blieben Bayerns Klassenzimmer wegen der Corona-Pandemie leer. Die Alternative - Homeschooling - war, gelinde gesagt, verbesserungsfähig.
Wochenlang blieben Bayerns Klassenzimmer wegen der Corona-Pandemie leer. Die Alternative - Homeschooling - war, gelinde gesagt, verbesserungsfähig. (Bild: Gunnar Bartsch / Universität Würzburg)

„Freitag, 13. März, 8.02 Uhr: Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, sperrt der Freistaat alle Schulen zu. Die Regelung gilt vom kommenden Montag an. Alle Einrichtungen bleiben bis zu den Osterferien geschlossen. Fünf Wochen lang wird kein Kind in Bayern eine Schule besuchen können.“ So war es Mitte März in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Bei den fünf Wochen ist es dann nicht geblieben: Zwar durften Abiturientinnen und Abiturienten ab dem 27. April als Erste wieder in den Unterricht. Die letzten Grundschulklassen kehrten allerdings erst nach den Pfingstferien Mitte Juni in den sogenannten „Präsenzunterricht“ zurück. Von Normalität konnte dabei noch keine Rede sein: Der Unterricht fand in kleineren Gruppen statt. Während die eine Gruppe in die Schule durfte, erhielt die andere Gruppe Aufgaben für zu Hause.

„Homeschooling“ war das Schlagwort der Stunde. Wer bis zu dem Zeitpunkt noch nichts vom „digitalen Lehren und Lernen“ gehört hatte, konnte in kurzer Zeit zum Experten werden. Kein Wunder, dass sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Lehrstuhl für die Didaktik der Mathematik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) dafür interessieren, wie Schule in dieser Zeit funktioniert hat. Nicht zuletzt, weil das Thema „Digitalisierung“ auch dort seit geraumer Zeit einen Schwerpunkt bildet. So war die JMU beispielsweise in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung des Bundesbildungsministeriums mit dem Schwerpunkt „Digitalisierung in der Lehrerbildung“ mit ihrem Antrag erfolgreich und wird jetzt vom BMBF gefördert. Einer der Antragsteller war Professor Hans-Stefan Siller, Inhaber des Lehrstuhls für Mathematikdidaktik.

Herr Prof. Siller: Wie kam es dazu, dass Ihr Lehrstuhl diese Umfrage an unterfränkischen Grund- und Hauptschulen gestartet hat? Meine Mitarbeiterin Katharina Weber forscht zurzeit bei uns am Lehrstuhl an ihrer Doktorarbeit zum Thema „Digitalisierung in der Grundschule“. Als es in Bayern zum Lockdown kam, hat sie die Chance ergriffen und diese Umfrage gestartet.

Und wie sehen die Ergebnisse aus? Frau Weber hat Fragebögen an Eltern und Lehrkräfte verschickt, um zu erfahren, wie diese Unterricht erlebt haben, als die Schulen geschlossen waren. Der Rücklauf seitens der Eltern war sehr gut; bei den Lehrkräften reicht es für ein Stimmungsbild. Zusammengefasst lautet das Fazit: Die Aussagen decken sich mit dem allgemeinen Stimmungsbild und den häufig geäußerten Erfahrungen: Es gibt noch jede Menge Optimierungsbedarf.

Das gilt für alle Schulen gleichermaßen? Nein. Alles in allem zeigen die Umfrageergebnisse, dass die Kommunikation zwischen Schülern und Lehrkräften an den Mittelschulen besser funktioniert hat als an Grundschulen. Aber natürlich ist die Spannbreite groß: Sie reicht bei den Elternaussagen von „Wir mussten nie irgendwelche Arbeitsblätter abgeben“ über „Ich habe selbst alles korrigiert“ bis zu „Es gab jederzeit Rückmeldung von der Lehrkraft“. Und das spiegelt sich auch im Engagement einzelner Lehrkräfte wider. Da finden sich einzelne, die sagten, sie seien für Eltern und Schüler per E-Mail nicht erreichbar. Andere sind regelmäßig persönlich bei den Familien vorbeigefahren, haben Lösungsblätter abgeholt und neue Übungsaufgaben abgegeben.

Sie sind Experte für die Didaktik der Mathematik. Wie beurteilen Sie die Qualität des Unterrichts, der in dieser Zeit – in welcher Form auch immer – stattgefunden hat? Insgesamt hat sich in dieser Zeit gezeigt, dass das System noch nicht so elaboriert ist, wie man es sich wünschen würde. Es gab und gibt viele Probleme im kommunikativen Bereich. Im Mathematikunterricht stand die Bearbeitung von (klassischen kalküllastigen Rechen-) Aufgaben sehr im Zentrum der Arbeit – vielleicht zu sehr. Da kann man natürlich den Kindern Aufgaben als PDF per Mail schicken, diese bearbeiten das ausgedruckte Arbeitsblatt und schicken ihre Lösungen abfotografiert per Mail oder auf Papier per Post zurück. Man könnte aber die Aufgabe gleich digital in einer digitalen Lernumgebung bearbeiten, überprüfen und gezielt Hinweise zur Fehlerbehebung geben. Ein wesentlicher Teil der Mathematik sind neben dem Lösen von Aufgaben beispielsweise auch die Kommunikation über Lösungsstrategien sowie die Begründung des gewählten Vorgehens. Dieser Aspekt kam deutlich zu kurz. Die bayerische Lernplattform Mebis könnte eine Plattform für solche Lernumgebungen in Zeiten des Homeoffice sein. Leider ist Mebis gleich zu Beginn des Lockdowns erst einmal zusammengebrochen. Da wurde viel Vertrauen verspielt. Aber prinzipiell ist Mebis nicht verkehrt. Es muss nur konsequent von der ersten bis zur letzten Klasse eingesetzt werden.

Hätten die Schulen auf diese Situation besser vorbereitet sein können? Natürlich war niemand auf eine Situation, wie wir sie im Frühjahr erleben mussten, vorbereitet. Aber prinzipiell sollten Grundschulen zumindest was die technische Implementierung angeht, weiter vorne sein. Angeleitetes selbstständiges Lernen mit digitalen Medien sollte inzwischen Stand der Dinge sein, sodass förderndes Feedback an die Lernenden gegeben wird. Häufig fehlt es dafür jedoch an der technischen Ausstattung und an den notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das soll kein Vorwurf an die Lehrkräfte sein – die haben wahrlich genug zu tun. Was fehlt, sind umfassende Konzepte seitens der Didaktik sowie Digitalisierungskonzepte, die auch wissenschaftlichen Kriterien genügen. Tatsächlich sind viele Lehrkräfte schon seit Längerem auf einem guten Weg. Sie und ihre Schüler brauchen dabei aber Unterstützung, zum Beispiel, wenn es um die Bedienung digitaler Endgeräte geht.

Ob das die Eltern so gerne sehen, die ihre Kinder ja vielleicht so lange wie möglich vom Smartphone und dem Tablet fernhalten wollen? Man sollte heute nicht mehr Smartphones und Tablets in der Schule verbieten – auch nicht in der Grundschule. Wichtiger wäre es, den Kinder zu zeigen, wie man diese konstruktiv einsetzt. Schülerinnen und Schüler sollen die positiven Seiten dieser Geräte kennen lernen.

Macht das den Unterricht besser? Natürlich gilt immer: Die Qualität des Unterrichts verbessert sich nicht automatisch mit dem Einsatz von Geräten, sondern nur mit der Qualität des Unterrichtens. Da sind die entsprechenden Fortbildungen gefragt, und da muss mehr passieren. Außerdem ist es ja nicht so, dass das Thema Digitalisierung erst jetzt aufgekommen ist. Das ist schon seit Langem virulent. Corona hat es nur dramatisch beschleunigt. Und ein Lockdown ist immer eine Sondersituation.

Jetzt läuft der Unterricht an Bayerns Schulen zwar wieder. Aber immer noch müssen einzelne Klassen oder ganze Schulen zurück in Quarantäne. Sind die Schulen nach den Erfahrungen aus dem vergangenen Frühjahr besser auf diese Situation vorbereitet? Schwer zu sagen. Man weiß jetzt, dass es viele Möglichkeiten gibt, diese Situation angemessen zu überbrücken – angefangen von Videos der Lehrkräfte bis zum Unterricht mit Avataren. Aber damit verbunden ist immer auch die Frage, ob das bei den Kindern überhaupt ankommt. Wenn mehrere Kinder in einer Familie zu Hause bleiben müssen: Gibt es genügend Rechner für sie? Und sind diese Geräte technisch auf einem Stand, der es möglich macht, die notwendigen Programme laufen zu lassen? Reicht die Bandbreite des Internets für Video-Konferenzen? Da herrschen in vielen Familien sicherlich immer noch Defizite. Und da ist dann die Schulverwaltung gefragt, die für Abhilfe sorgen muss, wenn es irgendwo klemmt.

Gibt es denn aus Ihrer Sicht auch etwas Positives, das die Corona-Pandemie an den Schulen bewirkt hat? Positiv ist zu bemerken, dass sich jetzt viele Schulen auf den Weg gemacht haben, vieles ist in Bewegung geraten, und auch die Politik interessiert sich für das Thema. Man sucht den Schulterschluss zwischen Schulen, Wissenschaft und Wirtschaft und will etwas voranbringen. Was ich ebenfalls gut finde: Man hat als Reaktion auf den Lockdown damit angefangen, den Lehrplan auf seine Inhalte hin zu überprüfen. Wenn man jetzt die Frage stellt: „Was brauche ich im täglichen Leben und worauf kann ich eventuell verzichten“, finde ich das begrüßenswert. Schließlich sollte sich Schule zuallererst auf die wichtigen Themen fokussieren.

Sicherlich beobachten Sie das Geschehen auch weiterhin aufmerksam. Ja. Momentan finde es spannend zu sehen, wie inkonsequent man mit den Vorgaben umgeht. Eigentlich schreibt der Rahmen-Hygieneplan des Kultusministeriums vor, dass ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Infizierten pro 100.000 Einwohnern alle Schülerinnen und Schüler Masken im Unterricht tragen. Zudem müssten viele Klassen geteilt werden und der Unterricht wieder im Wechsel aus Distanz- und Präsenzphasen stattfinden. Das passiert aber nirgends. Meiner Meinung nach zeigt das, wie groß die Not ist und dass es immer noch zu wenige digitale Angebote für Schülerinnen und Schüler gibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt

Prof. Dr. Hans-Stefan Siller, Lehrstuhl für Mathematik V (Didaktik der Mathematik), T: +49 931 31-89867, hans-stefan.siller@mathematik.uni-wuerzburg.de

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