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Auf Sprachreise in die Vergangenheit

31.10.2023

Jakob Halfmann ist neu am Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft. In einem neuen Projekt forscht er an den Wurzeln einer Jahrtausende alten Sprachfamilie, für die es erst seit gut 100 Jahren schriftliche Quellen gibt.

Das Tal von Ktivi (Kantiwā) in Zentral-Nuristan.
Das Tal von Ktivi (Kantiwā) in Zentral-Nuristan. (Bild: Sviatoslav Kaverin)

Für einen historisch interessierten Sprachwissenschaftler sind die Nuristan-Sprachen – eine Gruppe von vier bis sechs eng miteinander verwandten Sprachen – ein faszinierendes Forschungsobjekt. Eine von ihnen, das Prasun, wird von nur sehr wenigen tausend Menschen in einem einzigen Tal in Nuristan, einer Provinz Afghanistans, gesprochen, und für die größte Sprache finden sich auch nur geschätzt 80.000 bis 90.000 Menschen, die sie beherrschen.

Aus Sicht der Wissenschaft sind diese Sprachen jedoch unter einem anderen Aspekt interessant: „Sie werden zum indoiranischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie gerechnet, nehmen aber innerhalb dieses Zweiges eine historische Sonderstellung ein“, erklärt Halfmann. Viel spricht aus Sicht der Wissenschaft dafür, dass diese Sprachen eine dritte unabhängige Untergruppe bilden – neben den indoarischen und den iranischen Sprachen.

Unklare Verwandtschaftsverhältnisse

Diese unklaren Verwandtschaftsverhältnisse zu anderen Sprachen sind es, weshalb Wissenschaftler wie Jakob Halfmann sich für Nuristan-Sprachen interessieren. Die Forschung an dieser Sprachfamilie ist allerdings nicht ganz einfach: „Für das Nuristanische kennen wir verlässliche schriftliche Belege erst seit dem 20. Jahrhundert. Das erschwert die Einschätzung der genauen Verwandtschaftsverhältnisse erheblich“, sagt Jakob Halfmann.

Halfmann hat in Leipzig, Tokio und Köln Linguistik sowie Sprachen & Kulturen der Islamischen Welt studiert. 2023 hat er an der Universität zu Köln seine Promotion abgeschlossen. Auch darin hat er sich mit einer nuristanischen Sprache beschäftigt – der sogenannten Katë-Sprache. Vor Kurzem ist Halfmann an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) gewechselt. Am Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft von Professor Daniel Kölligan arbeitet er im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Walter-Benjamin-Programm geförderten Projekts an einem etymologischen Wörterbuch des nominalen Wortschatzes der Nuristan-Sprachen.

Eine isolierte Region im Osten Afghanistans

Nuristan liegt im Osten Afghanistans, an der Grenze zu Pakistan. Die Provinz ist geprägt von engen Tälern und hohen Gipfeln, was ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Bevölkerung dort über viele Jahrhunderte von anderen afghanischen Gruppen isoliert war und so ihre einzigartige Identität, Kultur und Sprache behalten konnte. Lange Zeit wurde die Region als Kafiristan, übersetzt: Land der Ungläubigen, bezeichnet. Erst im späten 19. Jahrhundert konnte der Islam auch in diesem Gebiet Fuß fassen. Nuristan-Sprachen werden allerdings nicht nur dort, sondern auch in einigen angrenzenden Regionen Afghanistans und Pakistans gesprochen.

Das nachzuweisen ist allerdings wegen der fehlenden Quellen über einen so langen Zeitraum schwierig. Um die historische Sonderstellung der Nuristan-Sprachen besser zu verstehen, sei daher eine umfassende Untersuchung ihrer Übereinstimmungen und Unterschiede zu den anderen beiden Sprachzweigen notwendig. Ganz abgesehen davon, dass diese Sprachen bislang den einzigen indogermanischen Sprachzweig dieser Zeittiefe darstellen, für den noch kein etymologisches Wörterbuch vorliegt. Das zu ändern, hat sich Jakob Halfmann vorgenommen.

Schwierige Forschung vor Ort

Für seine Doktorarbeit ist Halfmann nach Pakistan gereist, um dort Kontakt zu Nuristan-Sprechern zu bekommen. Das sei allerdings schwierig gewesen, da ihm von Seiten der pakistanischen Behörden der Zugang in die entsprechenden Regionen untersagt worden war. Und an eine Reise nach Afghanistan sei zu dem damaligen Zeitpunkt aufgrund der politischen Konstellation überhaupt nicht zu denken gewesen. Jetzt – nach Abzug der US-amerikanischen und europäischen Streitkräfte – scheint es wieder möglich zu sein, das Land zu betreten – „als Mann geht das wohl“, sagt Halfmann. Trotzdem plane er zunächst keine Reise in die Region. Weil sein jetziges Forschungsprojekt historisch ausgerichtet ist, brauche er fürs Erste keine weiteren Daten von heute lebenden Sprecherinnen und Sprechern.

Eine Reise entlang des Sprachwandels

Wie geht ein Sprachwissenschaftler vor, wenn er die Entwicklung einer Sprache rekonstruieren will, ohne auf schriftliche Zeugnisse zurückgreifen zu können – und das über ein paar Jahrtausende? „Ich vergleiche dafür, vereinfacht gesagt, Laute und Formen eines bestimmten Wortes, das beispielsweise in vier Nuristan-Sprachen in unterschiedlichen Ausprägungen vorkommt“, erklärt Jakob Halfmann. Durch den Vergleich mit verwandten Sprachen und mit dem Wissen über die Regeln des Sprachwandels ließe sich in der Regel ein gemeinsamer Vorläufer rekonstruieren.

„Dann ist man einen bedeutenden Schritt in der Zeit zurückgegangen und kann auf diese Weise den Anschluss an, in diesem Fall, alte indoiranische Sprachen herstellen“. Der Zeitraum, den er dabei überbrücken muss, ist allerdings groß: Indizien deuten darauf hin, dass die Nuristan-Sprachen seit dem zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung eine eigenständige Entwicklung durchlaufen.

Auf zwei Jahre ist Jakob Halfmanns Forschungsprojekt angelegt. Die etymologischen Daten, die er dabei sammelt, werden in einem speziellen Format, dem TEI-Format, angelegt, das maschinenlesbar ist und sich gut zur Weiterverarbeitung eignet. Sie stellen damit nicht nur die ideale Basis für ein gedrucktes Wörterbuch, sondern bieten auch die Möglichkeit, ohne großen zusätzlichen Aufwand ein Online-Wörterbuch zu generieren.

Sprachen sind etwas sehr Konkretes

Reichen zwei Jahre, um dieses Ziel zu erreichen? Im Prinzip ja, sagt der Sprachwissenschaftler. Allerdings nur, weil er sich auf die Nomina konzentriert. Damit sind im weiteren Sinne alle deklinierbaren Wörter gemeint, also beispielsweise Substantive oder Adjektive.

Wieso interessiert sich ein jetzt 28-Jähriger für Jahrtausende alte Wurzeln von Sprachen, die heute kaum noch gesprochen werden? „Wenn ich untersuche, wie Menschen beispielsweise vor 1.000 Jahren gesprochen haben, ist das etwas sehr Konkretes. Ich kann auf diese Weise in viele historische Welten eintauchen, die sonst nicht zugänglich sind“, sagt Jakob Halfmann. Die historische Sprachwissenschaft ermögliche einen tiefen Blick in die Menschheits- und Kulturgeschichte und erweitere das Verständnis darüber, wie Kulturen miteinander zusammenhängen.

Kontakt

Jakob Halfmann, Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft, jakob.halfmann@uni-wuerzburg.de  

Mehr Informationen zu dem Forschungsprojekt

Von Gunnar Bartsch

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