Intern
  • Drei Studierende vor der Neuen Uni am Sanderring.

Antijüdischen Klischees auf der Spur

23.11.2021

Studierende haben in einem Seminar Klischees über das Judentum hinterfragt. Ihre Ergebnisse teilen sie über eine App mit der Öffentlichkeit.

Auf digitaler Schnitzeljagd in Würzburg – es geht um Klischees über das Judentum.
Auf digitaler Schnitzeljagd in Würzburg – es geht um Klischees über das Judentum. (Bild: Robert Emmerich / Universität Würzburg)

Die Pharisäer – waren das nicht diese heuchlerischen Juden, die in der Bibel vorkommen? Oder der Spruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“: Zeigt der nicht ganz klar, dass das Judentum den Rachegedanken gutheißt?

Durch solche Bilder im Kopf können, ob bewusst oder unbewusst, leicht antijüdische Klischees entstehen. Denn diese Bilder sind falsch.

Wie falsch, das haben Theologie-Studierende der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) in einem Seminar erarbeitet. Ihre Ergebnisse haben sie zu Bounds verarbeitet – einer Mischung aus Stationenlernen und digitaler Schnitzeljagd. Die Bounds lassen sich mit der kostenfreien App Actionbound spielen, bei einem Spaziergang durch Würzburg oder auch zuhause auf dem Sofa.

Pharisäer waren keine Heuchler

Ein Bound erklärt, wer die Pharisäer wirklich waren. Dass ihre Brandmarkung als Heuchler einer langen antijüdischen Tradition folgt. Und dass sie eine viel positivere Darstellung verdienen.

Zur Zeit Jesu waren die Pharisäer eine der führenden jüdischen Religionsgruppen. Besonders wichtig war ihnen die Tora, also die ersten fünf Bücher der Bibel. Sie integrierten viele religiöse Bräuche aus der Tora in ihren Alltag, was sie vielleicht etwas frommer wirken ließ als andere. Sie mochten es, über unterschiedliche Standpunkte zu diskutieren. Sie forderten zur Nächsten- und zur Feindesliebe auf, schon bevor Jesus und seine Anhänger das taten.

Das klingt durchweg sympathisch. Warum also das heutige negative Bild der Pharisäer? Das entwickelte sich ab dem Jahr 70 nach Christus: Die christlichen Gruppen dieser Zeit befanden sich in Auseinandersetzung mit und manchmal auch in Konkurrenz zu den verschiedenen jüdischen Gruppen. Sie wollten sich abgrenzen und scheuten nicht davor zurück, andere negativ darzustellen. Und das wirkt bis heute: Der Ausdruck „Pharisäer“ wird noch immer im Sinne von „Heuchler“ verwendet.

Bounds zu vier Themen

Vier Bounds haben die Würzburger Studierenden entwickelt. Sie hinterfragen darin nicht nur Klischees über die Pharisäer, sondern auch über die Speisegebote des Judentums, die Beschneidung und den Spruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Betreuerin des Seminars war Barbara Schmitz, Leiterin des JMU-Lehrstuhls für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen. „Die Studierenden sollten sich wissenschaftlich mit der antijüdischen Tradition des Christentums auseinandersetzen. In dieser Tradition gibt es viele Punkte, die über die Jahrhunderte nicht offen antijüdisch, sondern sehr subtil mitgelaufen sind,“ so die Professorin.

Eine weitere Aufgabe der Studierenden war es, ihre Ergebnisse nachhaltig aufzubereiten. In einem Format, das sich leicht und spielerisch weitergeben lässt. Die Wahl fiel auf Actionbound. Bei der medial-technischen Umsetzung standen ihnen Dr. Dietmar Kretz von der Domschule Würzburg und Oliver Ripperger zur Seite, Leiter der Medienzentrale des Bistums Würzburg und Referent für medienpädagogische Fortbildungen.

Videos, Audios, Quizfragen

Die Bounds richten sich primär an ältere Jugendliche und junge Erwachsene. Sie sind aber auch für ältere Erwachsene absolut spielenswert: Schritt für Schritt lernt man, Vorurteile und Stereotype zu dekonstruieren. Und das ist durchaus kurzweilig: Die Bounds arbeiten mit Videos, Audios und Quizfragen. Sie verhelfen zu einem neuen Blick auf jüdische Themen, von denen man vielleicht nur eine vage oder sogar falsche Idee hatte.

Studentin Lea Brenner hat an dem Bound über die Pharisäer mitgearbeitet. „Biblische Texte und das Judentum haben mich schon immer interessiert“, sagt sie. Darum freute sie sich besonders über das Seminarangebot ihrer Professorin – zumal sie selber auch schon gemerkt hatte, dass die „antijüdischen Schwingungen“ des Neuen Testaments noch heute in den Köpfen präsent sein können.

Auge um Auge …

Eine andere Motivation hatte Student Markus Wissel: „Mich hat die praktische Aufgabe gereizt, das erarbeitete Wissen in eine leicht zugängliche Form umzusetzen. Im Seminar ist mir auch bewusstgeworden, wie unterschwellig Klischees sein können.“

Der Student war an dem Bound beteiligt, der sich um den Spruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ dreht. Darin erfährt man, dass es bei dieser Aussage nicht um Rache geht, sondern um die Umsetzung von Recht und Gerechtigkeit. Nicht darum, jemandem etwas mit gleicher Münze heimzuzahlen. Sondern darum, jemanden angemessen zu entschädigen: Wurde zum Beispiel ein Zahn eingeschlagen, soll der Täter dem Opfer eine Summe bezahlen, die den Wert des Zahnes ausgleicht.

Rechtsprechung also. Der Bound überrascht auch mit der Information, dass schon die altjüdische Tradition fünf Arten von Ersatzzahlungen beschreibt, wie sie auch heute noch gängig sind, darunter Schadenersatz, Schmerzenzgeld und Übernahme von Heilkosten.

Hoher Arbeitseinsatz, gutes Endprodukt

Die Seminarleitung hat für die Leistung der Studierenden viel Lob übrig. „Das war doppelte Arbeit“, sagt Barbara Schmitz. „Das Thema musste nicht nur aufgearbeitet, sondern auch noch technisch umgesetzt werden. Die Studierenden haben das mit großer Motivation und hohem Arbeitseinsatz geschafft.“

Co-Seminarleiter Oliver Ripperger ergänzt: „Der zeitliche Aufwand war für die Studierenden anfangs schwer abzuschätzen. Sie alle waren sehr fleißig, um zu einem guten Endprodukt zu kommen.“

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Die Idee zu dem Seminar entstand in einer Runde, in der sich verschiedene Würzburger Institutionen trafen, um ihre Aktivitäten zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zu koordinieren. Dieser Runde gehörten an: die Jüdische Gemeinde, die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität, das Bistum, die Evangelische Kirche und der Bezirk Unterfranken.

QR-Codes führen zu den Bounds

Wer die Bounds spielen möchte: Hier sind die QR-Codes; bitte erst daraufklicken und dann mit der kostenfreien App Actionbound scannen.

Weitere Bilder

Von Robert Emmerich

Zurück