Intern
  • Drei Studierende vor der Neuen Uni am Sanderring.

40 Jahre Kinder- und Jugendpsychiatrie

16.10.2018

Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen bekommen keine Behandlung, obwohl es genug Fachärzte gibt. Darauf wies der Festredner bei der Feier zum 40-jährigen Bestehen der Kinder- und Jugendpsychiatrie hin.

Redner und Gäste der Feier zum 40. Jubiläum der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie
Redner und Gäste der Feier zum 40. Jubiläum der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie. In der Mitte Klinikleiter Marcel Romanos mit Bayerns Wissenschaftsministerin Marion Kiechle. (Foto: Tom Bauer)

In Deutschland soll jedes vierte bis fünfte Kind von Symptomen einer psychischen Störung betroffen sein. Da die Erkrankungen in vielen Fällen chronisch verlaufen, haben sie erhebliche psychosoziale und sozioökonomische Auswirkungen.

Im Umgang mit diesen Herausforderungen war der 1. September 1978 in Bayern ein Schlüsseldatum. Damals wurden unter der Leitung von Professor Gerhardt Nissen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) der erste Lehrstuhl und die erste universitäre Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie im Freistaat gegründet.

Fest mit über 250 Gästen

Am 5. Oktober 2018 feierten die Würzburger Universitätsmedizin und die bayerische Staatsregierung das 40-jährige Jubiläum mit einem Symposium und einem Staatsempfang. Dabei kamen über 250 Gäste auf dem Medizincampus zusammen. Grußworte sprachen Georg Ertl, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), JMU-Präsident Alfred Forchel, die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm und die Bayerische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Marion Kiechle.

Im Anschluss zeigte Professor Andreas Warnke, der nach Gerhardt Nissen von 1992 bis 2012 die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP) leitete, in seinem Vortrag deren Entwicklung auf.

Entwicklung der Klinik

Die Klinik hat sich von einer anfangs provisorischen Station mit 18 Betten in der damaligen Universitäts-Kinderklinik am Röntgenring bis heute erheblich weiterentwickelt. „In der klinischen Kooperation mit dem Bezirk Unterfranken und der Diakonie Würzburg versorgt die Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie heute mit 61 stationären und 14 tagesklinischen Plätzen jedes Jahr rund 1.200 Patienten stationär und teilstationär. Rund 2.500 junge Menschen werden jährlich ambulant behandelt“, so der emeritierte Lehrstuhlinhaber Warnke.

Lehrstätte für viele Fächer

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist in der Lehre und Ausbildung vielseitig aktiv, unter anderem in Medizin, Psychologie und Sonderpädagogik sowie im Masterstudiengang „Translational Neuroscience“ und in der Fachpflegeausbildung.

„Weiterhin tragen wir durch die Ausbildung vieler Fachgruppen sowie mit einem vielfältigen Angebot an Fortbildungen und Tagungen zu einer besseren Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen in Unterfranken und überregional bei“, sagte Warnke. In Unterfranken seien mehr als 30 Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in niedergelassenen Praxen tätig; die meisten von ihnen haben ihre Facharztqualifikationen am UKW erworben.

Impulse für den Kinderschutz

Festredner Professor Jörg Fegert vom Universitätsklinikum Ulm machte deutlich, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie wesentliche Impulse für die Verbesserung des Kinderschutzes liefert: „Die Kliniken leisten täglich Hilfe in Notlagen und Krisen. Mittlerweile ist fast flächendeckend eine Versorgung auf höchstem Niveau gewährleistet, zumal sich die Zahl der Fachärztinnen und Fachärzte in den letzten zehn Jahren etwa verdoppelt hat.“

Das Fach sei ein Scharnier zwischen unterschiedlichen Systemen: zwischen Kinderheilkunde und Schulsystem, Jugendhilfe und Gerichten sowie zwischen Psychiatrie und Psychologie. „Nur in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bündelt sich das Wissen um die psychische, kognitive, sprachliche, körperliche, emotionale und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“, betonte der Direktor der Ulmer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie.

Fakten aus dem Festvortrag

  • Mindestens sechs Prozent aller Kinder unter 18 Jahren in Deutschland sind behandlungsbedürftig psychisch krank und erfüllen entsprechende Diagnosekriterien.
  • Die Hälfte der behandlungsbedürftigen Kinder bekommt auch heute keine Behandlung, trotz allgemein guter Versorgungslage.
  • In Europa sind 18 Millionen Kinder von sexuellem Missbrauch betroffen, weitere 44 Millionen Kinder von körperlicher Misshandlung. 55 Millionen Kinder werden Opfer von psychischer Misshandlung. 90% aller Misshandlungsfälle werden nicht wahrgenommen.

Forschung für die Menschen

Professor Marcel Romanos, der aktuelle Leiter der Würzburger KJPPP, berichtete von den umfangreichen Forschungsaktivitäten an seiner Klinik: „Ziel dabei war es immer, den Kindern besser helfen oder Erkrankungen gar präventiv verhindern zu können.“

Das Spektrum reicht von der molekularen Grundlagenforschung über internationale Registerstudien zur Arzneimittelsicherheit bis hin zu translationalen Therapiestudien in Forschungsverbünden und Netzwerken. Beispielsweise hatte die Klinik wesentlichen Anteil an den weltweit größten Psychotherapiestudien zu ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Und das 2018 in Würzburg gegründete Interdisziplinäre Zentrum für Angsterkrankungen bündele klinisches und wissenschaftliches Fachwissen auf international führendem Niveau.

Zukunft der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Trotzdem gebe es noch immer enorme Wissenslücken, so Romanos. Um das zu ändern, sei eine nachhaltige strukturelle Förderung nötig, die es ermöglicht, über Jahre und Jahrzehnte Forschungsfragen kontinuierlich zu verfolgen und die Ergebnisse konsequent für die betroffenen Kinder nutzbar zu machen.

Die Ankündigung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Deutsche Zentren für psychische Gesundheit sowie für Kindergesundheit einzurichten, bietet laut Romanos eine einmalige Chance: Forschungsstrukturen zu schaffen, die wesentlich dazu beitragen können, die psychische Gesundheit in der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Das Interdisziplinäre Zentrum für Angstforschung sie hierfür ein unverzichtbarer Bestandteil.

Von Pressemitteilung des UKW

Zurück