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100 Jahre Institut für Geschichte der Medizin

25.10.2022

Das Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg feierte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Es gehört zu den ältesten medizinhistorischen Instituten der Welt.

Ein restaurierter Trepan aus der Würzburger medizinhistorischen Instrumentensammlung. Trepane dienten dem Durchbohren des Schädelknochens.
Ein restaurierter Trepan aus der Würzburger medizinhistorischen Instrumentensammlung. Trepane dienten dem Durchbohren des Schädelknochens. (Bild: Institut für Geschichte der Medizin / Universität Würzburg)

Schon seit dem frühen 19. Jahrhundert gab es an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg Lehraufträge für Medizingeschichte und auch Kliniker und Pathologen hielten medizinhistorische Vorlesungen, darunter der berühmte Rudolf Virchow. 1921 bekam die Medizingeschichte schließlich ihr eigenes Institut – das Institut für Geschichte der Medizin an der JMU. Es ist das zweitälteste Institut seiner Art in Deutschland.

Eigentlich wäre somit schon 2021 das 100-jährige Jubiläum zu feiern gewesen. Doch dann kam Covid. So konnte die Jubiläumsfeier erst im Sommer 2022 im Toscanasaal der Würzburger Residenz nachgeholt werden.

Der Weg zum Institut

Seit 1896 nahm der Augenarzt und außerordentliche Professor Friedrich Christian Helfreich einen Lehrauftrag für Medizingeschichte an der JMU wahr. Als seine Emeritierung nahte, machte er sich dafür stark, einen bekannten Medizinhistoriker nach Würzburg zu holen. Sein Bemühen war von Erfolg gekrönt: Die JMU konnte Georg Sticker gewinnen.

„Sticker war ein anerkannter Mediziner und Pestforscher, der sich auch intensiv mit der Seuchengeschichte beschäftigt hatte“, erklärt Professor Michael Stolberg, der heutige Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin. „Obwohl er dafür seine gut gehende Praxis aufgeben musste, war er bereit, nach Würzburg zu kommen. Allerdings nur unter einer Voraussetzung: dass er ein richtiges Institut bekam. Und sein Wunsch wurde erfüllt.“

1921 wurde das Institut unter Stickers Leitung offiziell gegründet. Er konnte Räume im Pathologischen Institut auf dem Areal des neu erbauten Luitpoldkrankenhauses, des heutigen Universitätsklinikums, beziehen. In den folgenden Jahren baute er eine kleine Bibliothek auf und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze zu medizingeschichtlichen Themen. Bis nach einem guten Jahrzehnt intensiver Forschung und Lehre mit dem nationalsozialistischen Regime die große Zäsur kam. Sticker sah sich gezwungen, 1934 um seine Emeritierung nachzusuchen. Stattdessen sollte ein Institut für Rassekunde eingerichtet werden. Anfangs bestand das medizinhistorische Institut noch auf dem Papier weiter, doch 1938 verschwand es auch aus dem Vorlesungsverzeichnis.

Wiederaufbau nach 1945

In den folgenden Jahren sicherte der Anatomie-Professor Curt Elze die medizinische Lehre. „Elze durfte nach dem Zweiten Weltkrieg als einer der wenigen unbescholtenen Professoren im Amt bleiben. Und es gelang ihm, mit Robert Herrlinger wieder einen ausgewiesenen Medizinhistoriker nach Würzburg zu holen.“ Unter dessen Leitung bekam Würzburg wieder ein richtiges Institut für Medizingeschichte. Es war in bescheidenen Räumlichkeiten in einem heute längst abgerissenen Häuschen hinter dem Institut für Anatomie in der Koellikerstraße untergebracht.

Nach Herrlingers Weggang 1962 übernahmen für ein Jahrzehnt wieder Kliniker die Lehre. Doch seit 1972 stehen wieder ordentliche Professoren dem Institut vor, zunächst der Altgermanist Gundolf Keil und seit 2004 der heutige Leiter Michael Stolberg. 1993 konnte das Institut in die frühere Privatklinik des ehemaligen Ordinarius für HNO an der JMU, Professor Horst Ludwig Wullstein, und seiner Frau Sabina Wullstein am Oberen Neubergweg umziehen. Insbesondere für die immer größer werdende Bibliothek des Instituts war das ein wahrer Segen.

Drei große Forschungsschwerpunkte

Die Forschung am Institut für Geschichte der Medizin konzentriert sich heute vor allem auf die vormoderne Medizin. Es ist auf diesem Gebiet eine der weltweit führenden Einrichtungen.

Drei große Themenbereiche stehen im Mittelpunkt. Einer davon ist die Geschichte der Palliativmedizin und des Umgangs mit Sterbenden. „Das ist eine Fragestellung, die auch heute noch von großer Aktualität ist“, so Stolberg. „Wir haben als Erste die lange Geschichte der Palliativmedizin erforscht. Die Idee einer ‚cura palliativa‘, wie man sie früher nannte, war nämlich keineswegs eine Erfindung der 1960er-Jahre. Sie geht auf das Mittelalter zurück.“

Ein zweiter Forschungsschwerpunkt ist die Anatomie- und Körpergeschichte, mit Projekten zur Geschichte der Beleibtheit und ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung, aber auch zur anatomischen Ausbildung in der Renaissance.

Ein dritter Schwerpunkt liegt auf der Geschichte der Ärzte und der medizinischen Konzepte: In einem großen Akademien-Projekt werden seit 2009 systematisch frühneuzeitliche ärztliche Korrespondenzen erfasst. Gut 55.000 Briefe verzeichnet die Datenbank des Projekts bislang.

„Korrespondenzen“, erläutert Stolberg, „waren im 16. und 17. Jahrhundert das zentrale Medium der wissenschaftlichen Publikation. Die Ärzte diskutierten hier neue Theorien und Entdeckungen.“ Ein kürzlich begonnenes DFG-Projekt zur „Wittenberger Medizin“ stützt sich unter anderem auf Ärztebriefe, um den Einfluss der Reformation auf die Medizin zu erforschen. Die Briefe eröffnen aber auch wichtige Aufschlüsse über die damalige medizinische Praxis, das Verhältnis zu Patienten und Kollegen, den häuslichen Alltag der Ärzte und anderes mehr.

Ein Fach mit bleibender Bedeutung

Auf die Frage nach Sinn und Nutzen der Medizingeschichte gibt Professor Stolberg eine klare und entschiedene Antwort: „Geschichte ist Identität. Alles, was heute die Medizin ausmacht, ist historisch gewachsen – sei es die Arzt-Patienten-Beziehung, der Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden oder unsere westliche Vorstellung von Wahrheit und Wissenschaftlichkeit. Wer die heutige Medizin verstehen und ihre Fortschritte angemessen einordnen will, muss ihre Geschichte kennen.“

Etwas Anderes kommt laut Stolberg hinzu: „Es gibt eine kleine, aber durchaus beachtliche Gruppe von Medizinstudierenden, die geisteswissenschaftlich interessiert sind und diese Art von Reflexionsmöglichkeit brauchen. Die holen wir in unseren Seminaren ab.“

Historisches Erbe: die Instrumentensammlung

Das Institut für Geschichte der Medizin verfügt heute auch über ein beachtliches materielles Erbe. Die Bibliothek zählt zu den größten medizinhistorischen Sammlungen Europas. Von herausragendem Wert ist zudem die Sammlung historischer medizinischer Instrumente, vor allem aus der Chirurgie und Geburtshilfe. Sie geht teilweise auf die Zeit vor 1800 zurück und wurde im 19. Jahrhundert noch regelmäßig in der chirurgischen Lehre eingesetzt. Sie war ein Magnet für auswärtige Besucher, bis sie schließlich Jahrzehnte lang in diversen Schachteln verschwand.

Heute sind einzelne, restaurierte Instrumente in einer Vitrinenausstellung im Institut zu sehen. Die Instrumente werden auch regelmäßig in der Lehre eingesetzt: Die Studierenden bekommen die Aufgabe, die Geschichte und den Gebrauch eines konkreten Instruments zu erforschen. „Die Instrumente machen die Medizingeschichte ganz buchstäblich greifbar“, erklärt Stolberg.

Um die historische Sammlung für die nächsten Jahrzehnte zu sichern und auch weitere Instrumente zu restaurieren, wurde kürzlich aus dem Institut heraus ein Förderverein gegründet. Jeder, der das medizinhistorische Erbe in Würzburg unterstützen möchte, ist hier als Mitglied willkommen.

Weblinks

Zum Institut für Medizingeschichte an der JMU

Zum Förderverein Medizinhistorische Sammlungen Würzburg e.V.

Kontakt

Prof. Dr. Dr. Michael Stolberg, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin, Universität Würzburg, T +49 931 31-83093, michael.stolberg@uni-wuerzburg.de

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