English Intern
  • none
  • none

Sozialer Zündstoff auf dem Land

13.11.2025

Die Energiewende ist vor allem im ländlichen Raum untrennbar mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen verbunden. Forscher aus Würzburg und Dänemark fordern deshalb eine neue, ganzheitliche Betrachtung.

none
Der Ausbau erneuerbarer Energien benötigt riesige Flächen; die aber sind ein knappes Gut. Konflikte sind deshalb vorprogrammiert. (Bild: visoot / Adobe Stock / generiert mit KI)

Die Transformation unseres Energiesystems hin zu erneuerbaren Quellen findet sichtbar vor allem im ländlichen Raum statt; schließlich entstehen hier die großen Wind- und Solarparks, die für das Gelingen der Energiewende entscheidend sind. Doch diese Entwicklung ist für die dort lebenden Menschen weit mehr als ein technischer Prozess. Sie trifft auf bestehende Spannungen um Landnutzung, soziale Ungleichheit und politische Entfremdung und wirkt dabei oft als Katalysator, der diese Konflikte verschärft und neu formiert.

Ein aktueller Beitrag hat jetzt diese Prozesse genauer unter die Lupe genommen und mit einer zentralen Forderung verbunden: Anstatt die Energiewende isoliert zu betrachten, sollen die Akteure ein umfassendes Gesamtkonzept für den ländlichen Raum entwickeln. Dieses soll die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner in den Mittelpunkt stellen und darauf abzielen, nicht nur eine nachhaltige Energieversorgung zu sichern, sondern auch eine gerechte Landnutzung, bezahlbares Wohnen, eine gute soziale Infrastruktur sowie zukunftsfähige Lebensgrundlagen zu schaffen.

Verantwortlich für diesen Beitrag sind Professor Matthias Naumann, Inhaber des Lehrstuhls für Humangeographie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), und sein Kollege David Rudolph, Senior Researcher an der Technical University of Denmark (DTU) in Roskilde. In ihrer in der internationalen Fachzeitschrift The Professional Geographer veröffentlichten Arbeit fordern die beiden ein ganzheitliches „Recht auf das Land“.

Der Kampf um die Fläche: Wem gehört das Land?

„Der Ausbau erneuerbarer Energien benötigt riesige Flächen – ein knappes Gut auf dem Land“, sagt Matthias Naumann. Dementsprechend führe die Energiewende zu einem verschärften Wettbewerb um Grund und Boden. Flächen für Windräder und Solaranlagen konkurrieren direkt mit der Landwirtschaft, mit dem Bedarf an bezahlbarem Wohnraum und mit den Vorstellungen der Tourismus-Manager.

Diese Konkurrenz um Land kann zu neuen Ungerechtigkeiten führen. So beschreibt der Beitrag ein Phänomen, bei dem überregionale und globale Investoren im großen Stil Land für Energieprojekte erwerben. „Während dies im Namen des Klimaschutzes geschieht, können lokale Gemeinschaften ins Hintertreffen geraten, wenn traditionelle landwirtschaftliche Nutzungen verdrängt werden oder die lokale Bevölkerung kaum von der Wertschöpfung profitiert“, so die Wissenschaftler.

Zwischen Energiearmut und neuen Chancen

Diese Auseinandersetzungen um Grund und Boden sind jedoch nicht nur materieller Natur – sie haben tiefgreifende soziale Folgen für die Bevölkerung. Dementsprechend kann die Energiewende bestehende soziale Ungleichheiten im ländlichen Raum ebenso mildern wie verschärfen. „Ihr Erfolg misst sich daher nicht nur in Megawatt, sondern auch in sozialer Fairness“, so Matthias Naumann.

Tatsächlich sind die Auswirkungen der Energiewende auf Faktoren wie Armut und Soziale Teilhabe ambivalent. Einerseits eröffnen sich positive Potenziale:

  • Neue Einkommensquellen für Landbesitzer und Kommunen.
  • Lokale Wertschöpfung, wenn Aufträge an regionale Betriebe vergeben werden.
  • Bürgerenergiegenossenschaften, die es den Menschen vor Ort ermöglichen, selbst zu Produzenten zu werden und sich von großen Energiekonzernen unabhängiger zu machen.

Andererseits bestehen erhebliche Risiken:

  • Steigende Energiekosten können einkommensschwache Haushalte überfordern.
  • Besonders in abgelegenen Gebieten, wo Menschen auf das Auto angewiesen sind, verschärft sich durch steigende Spritkosten die Armut.
  • In Regionen, die bisher von fossilen Energien lebten, droht der Verlust von Arbeitsplätzen.

In ihrem Beitrag kommen die beiden Geographen deshalb zu dem Schluss, dass ohne gezielte politische Maßnahmen vor allem strukturschwache Regionen mit wenig Finanzkraft und geringem sozialen Zusammenhalt von den negativen Folgen betroffen sein könnten, während andere profitieren. Diese sozialen Verwerfungen schaffen dann einen Nährboden für politische Instrumentalisierung.

Die Energiewende als politischer Brandbeschleuniger

„Große Transformationsprozesse erzeugen oft Unsicherheit und Ängste in der Bevölkerung“, erklärt David Rudolph. Diese Gemengelage kann zu einem fruchtbaren Boden für politische Polarisierung werden, wie die Analyse der Forscher zeigt.

So greifen rechtspopulistische Bewegungen die Sorgen der ländlichen Bevölkerung gezielt auf und instrumentalisieren die Energiewende für ihre Zwecke. Ihre Rhetorik stelle die Transformation oft als ein von „urbanen Eliten“ aufgezwungenes Projekt dar, das die ländlichen Lebensweisen bedroht. Gleichzeitig werde eine nostalgische Sehnsucht nach den „alten“, fossilen Wirtschaftsformen geschürt.

Diese Konflikte sind laut dem Beitrag weniger eine Reaktion auf einzelne Windräder als vielmehr ein Symptom für tiefgreifende, strukturelle Krisen: das Gefühl, in der globalisierten Wirtschaft „abgehängt“ zu sein, verstärkt durch Infrastrukturabbau und Abwanderung.

Ausblick: Von der Energiewende zum umfassenden "Recht auf das Land"

Die Forscher plädieren daher für eine grundlegend neue Perspektive. Anstatt die Energiewende isoliert zu betrachten, fordern sie ein ganzheitliches „Recht auf das Land“. Dieser Ansatz bündelt und erweitert bestehende Forderungen wie das Recht auf Energie, das Recht auf Wohnen oder das Recht auf Mobilität zu einem umfassenden Gesamtkonzept für den ländlichen Raum und stellt die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner in den Mittelpunkt.

Um dies zu erreichen, müsse die Politik über den Energiesektor hinausschauen und die Transformation mit anderen Bereichen wie der Agrar-, Verkehrs- und Wohnungspolitik intelligent verknüpfen. Wie ein solches umfassendes „Recht auf das Land“ konkret umgesetzt werden kann, um eine gerechte und nachhaltige Zukunft für ländliche Räume zu gestalten, ist nach Ansicht der beiden Wissenschaftler die zentrale Frage für zukünftige Forschung und politisches Handeln.

Originalpublikation

Naumann, M., & Rudolph, D. (2025). From the “Right to Energy” to the “Right to the Countryside” and Back Again: Contextualizing Rural Energy Transitions. The Professional Geographer, 1–8. https://doi.org/10.1080/00330124.2025.2577916

Kontakt

Prof. Dr. Matthias Naumann, Universität Würzburg, Lehrstuhl für Humangeographie,
T: +49 931 31-83237,  matthias.naumann@uni-wuerzburg.de

Von Gunnar Bartsch

Zurück