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Logistische Herkulesaufgaben

22.11.2021

Die Frage nach den Ursachen des Artensterbens stellt die Wissenschaft vor komplexe Aufgaben. Dr. Sarah Redlich vom Biozentrum über die Herausforderung, ein Studiendesign zu erstellen.

Intensiv landwirtschaftlich genutzte Versuchsfläche in einem warmen Klima mit einer Malaise-Falle (im Hintergrund) zur Erfassung von Fluginsekten und einer Wildbienennisthilfe (im Vordergrund) zur Erfassung von Pflanzen-Bestäuber-Parasiten-Netzwerken. Die Holzstücke am Fuß der Nisthilfe dienen der Bestimmung der Zersetzungsrate von Holz.
Intensiv landwirtschaftlich genutzte Versuchsfläche in einem warmen Klima mit einer Malaise-Falle (im Hintergrund) zur Erfassung von Fluginsekten und einer Wildbienennisthilfe (im Vordergrund) zur Erfassung von Pflanzen-Bestäuber-Parasiten-Netzwerken. Die Holzstücke am Fuß der Nisthilfe dienen der Bestimmung der Zersetzungsrate von Holz. (Bild: Sarah Redlich / Universität Würzburg)

Weltweit bemühen sich Forschungsgruppen, die Ursache für den Artenschwund aufzuspüren. Wobei klar ist: Die eine Ursache gibt es nicht. Hinter dem Rückgang der Artenvielfalt steckt ein komplexes Ursachenbündel.

Darum ist die Forschung auf diesem Feld enorm aufwändig. Das zeigt Dr. Sarah Redlich vom Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) am Beispiel des Verbundprojekts LandKlif, das die Auswirkungen von Klimawandel und Landnutzung auf die Artenvielfalt untersucht.

Bevor Forschende mit dem Forschen beginnen, müssen sie sich einen Plan zurechtlegen. „Studiendesign“ nennt sich das in der Fachsprache. Sarah Redlich war wesentlich daran beteiligt, das ausgefeilte Studiendesign des Verbundprojektes LandKlif (Teil des bayerischen Klimaforschungsnetzwerkes bayklif) zu entwickeln. Das Design wird in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Methods in Ecology and Evolution präsentiert.

179 Studienflächen in ganz Bayern

Im Fokus stand die Frage: Welchen Einfluss haben die Klimaerwärmung und die Landnutzung auf den Rückgang von Pflanzen und Tieren, darunter Fluginsekten, aber auch auf deren ökologische Leistungen wie Bestäubung und Schädlingskontrolle? Durch das Studiendesign konnten 179 geeignete Wald-, Acker-, Grünland- und Siedlungsflächen über ganz Bayern verteilt als Untersuchungsstandorte ausgewählt werden.

„Wir alle wissen, dass wir etwas unternehmen müssen, bevor es zu spät ist. Schließlich nimmt der Artenschwund immer bedenklichere Züge an“, sagt Sarah Redlich. Wichtig allerdings sei, ganz genau zu wissen, welche Maßnahmen bezogen auf welche Ziele an welcher Stelle sinnvoll sind – „sonst nützen die besten Projekte nichts.“

Beim Design einer Studie muss Vieles beachtet werden

Um Fehlinterpretationen von Beobachtungen zu vermeiden, bastelten die Forscherinnen und Forscher um Sarah Redlich und Projektleiter Professor Ingolf Steffan-Dewenter viele Wochen an ihrem Studiendesign, bevor die eigentlichen LandKlif-Untersuchungen im April 2019 begannen.

„Wir suchten beispielsweise sowohl naturnahe Landschaften als auch intensiv genutzte Agrarlandschaften und Siedlungsgebiete mit unterschiedlichem Klima“, erläutert die JMU-Biologin. Dadurch kann zwischen dem Einfluss von Landnutzung und Klima unterschieden werden.

Mögliche Flächen wie Felder oder Wälder müssen im Vorfeld sehr genau analysiert werden, um bei der Untersuchung des Artenschwunds falsche Schlüsse zu vermeiden.

„Man kann zum Beispiel nicht einfach Felder mit und ohne Blühstreifen miteinander vergleichen, um zu erfahren, inwieweit der Blühstreifen die Vielfalt an Insekten beeinflusst“, erläutert Sarah Redlich. Wichtig sei es zu wissen, ob sich Naturschutzgebiete in direkter Nähe der Felder befinden, oder ob manche der Felder ökologisch bewirtschaftet werden. Denn all das können bedeutende Einflussfaktoren sein: „Wir versuchten, bei der Suche nach passenden Studienstandorten genau solche versteckten Faktoren herauszufiltern.“

Die Größe des Feldes oder Waldes, der Abstand zu anderen Lebensräumen, die Beschaffenheit der Fläche, auf der die Datenaufnahmen und Experimente durchgeführt wurden, aber auch die Verteilung unterschiedlicher Lebensräume in einem Landschaftsausschnitt: All das wurde im Design berücksichtigt.

Studiendesign startet am Computer

Obwohl Feldforschende ihre Ideen und Fragen durch Beobachtung der Natur entwickeln, beginnt die Planung und das Design einer Feldstudie häufig im Büro. „Auch bei uns fand die Erstauswahl der Studienstandorte am Computer statt“, erzählt Sarah Redlich. Dabei halfen Geoinformationssysteme zur Analyse räumlicher Daten.

Am Ende der computergestützten Auswahl führte jedoch kein Weg daran vorbei, sämtliche 179 Standorte in Augenschein zu nehmen. Das erledigten zehn Promovierende verschiedener bayerischer Universitäten.

„Sie mussten vor Ort zum Beispiel prüfen, ob die Standorte gut erreichbar sind und nicht zu nah an einem fließenden Gewässer liegen“, erläutert die Biologin. Außerdem mussten sie die Grundstücksbesitzer jeder Fläche ausmachen und deren Einverständnis einholen. Dieser Teil des Studiendesigns und die folgende Feldforschung seien „logistische Herkulesaufgaben“ gewesen.

Doch die Arbeit hat sich gelohnt: Die Ergebnisse einer ersten Studie wurden hochrangig publiziert und werden weltweit stark beachtet. (JMU-Pressemitteilung) Weitere Studien sind in Vorbereitung.

Landwirtschaft und Flächenversiegelung als bedeutende Treiber

Um dem Rückgang von Tieren und Pflanzen etwas entgegenzusetzen, kann laut Sarah Redlich schon jetzt viel getan werden – auch wenn die Forschung noch immer nicht vollständig versteht, wodurch der Schwund an Biomasse und Vielfalt genau beeinflusst wird.

Der JMU-Biologin zufolge ist inzwischen klar, dass die intensive Landwirtschaft und die Versiegelung von Flächen bedeutende Treiber dieser alarmierenden Entwicklung sind. Denn dadurch schrumpfen die Lebensräume von Tieren und Pflanzen.

Um Lebensräume zu schaffen, sollten mehr Blühflächen angelegt und extensive Bewirtschaftungsmethoden genutzt werden. Auch wäre es in Städten sinnvoll, Fassaden zu begrünen. Von großer Bedeutung sei es weiter, isolierte Lebensräume miteinander zu vernetzen und die Umweltverschmutzung durch synthetische Pflanzenschutzmittel und Industrieabfälle zu verringern.

Auch der Klimawandel setzt der Artenvielfalt zu. Ob und welche Wechselwirkungen es zwischen der Landnutzung und dem Klima gibt und welche Auswirkungen dies auf die Artenvielfalt in Bayern hat, werden die noch ausstehenden Ergebnisse der Feldforschung zeigen.

Abschließend betont Ingolf Steffan-Dewenter: „Unser Untersuchungsdesign ist skalenübergreifend, repräsentativ für Landschaftsräume in ganz Bayern und es ermöglicht die kombinierte Analyse von Klima und Landnutzung. Damit legen wir eine wichtige Grundlage für ein kausales Verständnis des Artenschwundes und ein nach wie vor fehlendes standardisiertes Biodiversität-Monitoring in Bayern“.

Publikation

Disentangling effects of climate and land use on biodiversity and ecosystem services – a multi-scale experimental design. Redlich S., Zhang J., Benjamin C., Singh Dhillon M., Englmeier J., Ewald J., Fricke U., Ganuza C., Haensel M., Hovestadt T., Kollmann J., Koellner T., Kübert-Flock C., Kunstmann H., Menzel A., Moning C., Peters W., Riebl R., Rummler T., Rojas-Botero S., Tobisch C., Uhler J., Uphus L., Müller J., Steffan-Dewenter I. Methods in Ecology and Evolution 2021. https://doi.org/10.1111/2041-210X.13759

Weblinks

LandKlif: https://www.landklif.biozentrum.uni-wuerzburg.de/

Bayerisches Netzwerk für Klimaforschung: https://www.bayklif.de/

Kontakt

Dr. Sarah Redlich, Biozentrum der Universität Würzburg, T +49 931 31-82129, sarah.redlich@uni-wuerzburg.de

Weitere Bilder

Von Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit

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