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Zwischen Kafka und Künstlicher Intelligenz

13.09.2022

Seit September 2021 leitet Stephanie Catani den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturgeschichte I an der Universität Würzburg. Mit ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen weht ein neuer Wind in der Würzburger Germanistik.

Stephanie Catani verspürt in der Würzburger Germanistik eine echte Aufbruchstimmung. (Bild: Stephanie Catani / Uni Würzburg)
Stephanie Catani verspürt in der Würzburger Germanistik eine echte Aufbruchstimmung. (Bild: Stephanie Catani / Uni Würzburg)

Im März 2017 unternahm der US-Amerikaner Ross Goodwin, ein Google-Informatiker und selbsternannter Kreativtechnologe mit seinem Auto einen Roadtrip von Brooklyn (NY) nach New Orleans (LA). Dabei zeichneten verschiedene Systeme Reize aus der Umgebung auf – Töne, Bilder, Online-Informationen und die Uhrzeit. Ein System unterschiedlicher neuronaler Netze verarbeitete sämtliche Audio-, Bild- und Textsignale zu einem während der Fahrt in Echtzeit ausgedruckten Text. Insgesamt kamen so elf Schriftrollen zusammen, die Goodwin, ohne noch einmal in den Text einzugreifen, 2018 im Pariser Verlag Jean Boîte Éditions veröffentlichte. Unter dem Titel „1 the Road“ war somit der erste vollständig von einem künstlichen neuronalen Netzwerk „verfasste" Roman entstanden.

Das Zusammenspiel aus Künstlicher Intelligenz (KI) und den Künsten ist eines der Themen, mit denen sich Stephanie Catani beschäftigt. Im September 2021 hat sie die Leitung des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturgeschichte I an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg übernommen. Die „Schnittstelle zwischen Literatur, Informatik und Informationstechnik“ prägt Catanis Arbeit und schlägt sich in aktuellen und künftig geplanten Forschungsprojekten, etwa zu generativen, algorithmenbasierten Texten nieder.

Handbuch zu KI und den Künsten

„Seit rund drei Jahren gibt es in diesem Bereich eine sprunghafte Entwicklung. Große KI-Sprachmodelle wie GPT-3, BLOOM oder OPT sind echte Gamechanger“, erklärt Catani. Dabei handelt es sich um Modelle, die mithilfe umfangreicher Korpora trainiert werden und mit minimaler menschlicher Unterstützung Texte erzeugen. Die Literaturwissenschaftlerin betont, dass es ihr nicht um einen ästhetischen Vergleich menschlicher und maschineller Kreativität gehe: „Die Frage ist nicht, ob wir bald Computerprogramme haben, die so gut schreiben wie Goethe. Mir geht es darum, wie eine spezifische Ästhetik von Texten aussieht, die sich solcher Verfahren bedienen.“

Derzeit entsteht an ihrem Lehrstuhl ein interdisziplinäres Handbuch zu unterschiedlichen Künsten wie Literatur, Film, Musik oder bildender Kunst im Zeichen künstlicher Intelligenz, das im kommenden Jahr im De Gruyter Verlag, herausgegeben von Stephanie Catani und Jasmin Pfeiffer, erscheinen wird. Neben Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sind auch Vertreterinnen und Vertreter der Rechtswissenschaften, der Philosophie und der Informatik beteiligt.

Kleist, Hoffmann und die Moderne

Stephanie Catani sieht im interdisziplinären Arbeiten einen zentralen Aspekt ihrer Arbeit in Forschung und Lehre: „Psychotraumatologie und Literatur, Geschichte und Literatur, Ethik und Literatur - überhaupt die Wissensbereiche, an die Literatur stößt, das interessiert mich.“ Eine medienwissenschaftliche Ausweitung der germanistischen Perspektive findet in Auseinandersetzung mit verschiedenen medialen Praktiken und Formaten statt – beispielsweise in Film, Fotografie, digitaler Kunst oder Computerspielen.

Daneben aber verliert Stephanie Catani kanonische Autorinnen und Autoren der Literaturgeschichte nicht aus dem Blick: „Autoren wie Heinrich von Kleist, E. T. A. Hoffmann oder Franz Kafka – und gerade die Literatur der Moderne gehören zu meinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre.“

Zu ihrem ausgeprägten Forschungsinteresse an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur passt ein neuer Aufgabenbereich besonders gut: die Organisation der Würzburger Werkstattgespräche. Zweimal jährlich lädt das Institut für Deutsche Philologie namhafte Autorinnen und Autoren der Gegenwartsliteratur zu Lesungen und Gesprächen mit dem Publikum ein. Nach einer pandemiebedingten Pause von fast drei Jahren startete die Veranstaltungsreihe im Juni neu mit einer Lesung von Ingo Schulze.

Aufbruchstimmung in der Germanistik

Zum Ende ihres ersten Semesters nach der Rückkehr zum Präsenzunterricht zeigt sich Stephanie Catani sehr zufrieden. Sie habe den Eindruck, dass Studierenden wie Dozierenden eine große Freude an den gemeinsamen Veranstaltungen anzumerken sei und die Rückkehr an den Campus von allen als Privileg empfunden werde.  Dazu passe die allgemeine Aufbrauchstimmung, die sie gerade in der Würzburger Germanistik verspüre.

Sie hebt die konstruktive Zusammenarbeit mit Professor Maximilian Bergengruen, der im April den Lehrstuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte II übernommen hat, oder Professorin Regina Toepfer, seit April 2021 Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsche Philologie, Ältere Abteilung, hervor und freut sich auf die Zusammenarbeit: „Nachdem nun alle Vakanzen durch Neubesetzungen beendet sind, ist es ein toller Zeitpunkt für neue Ideen und gemeinsame Projekte.“

Werdegang Stephanie Catanis

Stephanie Catani, geboren und aufgewachsen im Herzen des Ruhrgebiets, studierte Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Italianistik und Hispanistik an den Universitäten Bochum und Sevilla. Von 2001 bis 2004 promovierte sie als Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung NRW und der Friedrich-Ebert-Stiftung zunächst an der Universität Bochum, dann in Würzburg. Nach dem Abschluss eines Verlagsvolontariats arbeitete Catani von 2005 bis 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Bamberg. Dort erfolgte 2014 auch ihre Habilitation zum Thema: „Geschichte im Text. Geschichtsbegriff und Historisierungsverfahren in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“.

Nach einer Gastprofessur an der Universität Augsburg wurde Stephanie Catani 2017 an die Universität des Saarlandes berufen, wo sie bis 2021 den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienwissenschaft sowie die FilmWerkstatt der Fachrichtung Germanistik leitete.

„Meine Zeit an der Universität Bamberg hat mich sehr geprägt und auch an Franken als Region gebunden. Die Entscheidung für Würzburg war also gleichermaßen eine für die Universität wie für die Stadt.“

Kontakt

Prof. Dr. Stephanie Catani, Lehrstuhlinhaberin für Neuere deutsche Literaturgeschichte I, Tel: +49 931 31-88610, stephanie.catani@uni-wuerzburg.de

Von Lutz Ziegler

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