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Wochenbett-Depression bei Vätern

03.09.2019

Sarah Kittel-Schneider ist Professorin für Entwicklungspsychiatrie. Sie erforscht affektive Erkrankungen beim Übertritt zum Erwachsenenalter und psychische Krankheiten von Eltern in Schwangerschaft und Stillzeit.

Sarah Kittel-Schneider ist neue Professorin für Entwicklungspsychiatrie in Würzburg.
Sarah Kittel-Schneider ist neue Professorin für Entwicklungspsychiatrie in Würzburg. (Bild: Mario Weber / Uniklinikum Würzburg)

Seit Juli 2019 gibt es an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Uniklinikums Würzburg eine neue W2-Professur zum Thema Entwicklungspsychiatrie. Besetzt wurde sie mit Professorin Sarah Kittel-Schneider, die zusätzlich auch zur Stellvertretenden Direktorin der Klinik ernannt wurde.

In den fünf Jahren davor arbeitete die Ärztin an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Universitätsklinikums in Frankfurt am Main, zuletzt als stellvertretende Direktorin. Die Berufung war für Kittel-Schneider eine Rückkehr, denn ein Großteil ihrer bisherigen Karriere fand in Würzburg statt. Auf das Studium der Humanmedizin an der Julius-Maximilians-Universität folgte ab 2008 hier auch die Facharztausbildung für Psychiatrie und Psychotherapie.

„Seit dem Beginn meiner Doktorarbeit war ich fasziniert von biologischer und translationaler Psychiatrie“, erzählt die neue Professorin. Dabei bildete sich ein Schwerpunkt bei den neurobiologischen Grundlagen von ADHS bei Erwachsenen und der bipolaren Störung heraus.

Im Jahr 2014 folgte die Ärztin ihrem früheren Doktorvater und Arbeitsgruppenleiter Professor Andreas Reif nach Frankfurt. Dort habilitierte sie sich 2018 mit einem Thema über Biomarker der bipolaren Störung und der adulten ADHS. 2017 erhielt sie den Jules-Angst-Preis der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen, 2019 folgte der Nachwuchspreis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie.

Forschen an der Übertrittsphase zum Erwachsenenalter

Zukünftig will Sarah Kittel-Schneider sich der Transitionspsychiatrie widmen – seelischen Problemen in der Zeit des Übertritts von der Jugend zum Erwachsenenalter. Hier geht es vor allem um die Wechselwirkungen verschiedener Risikofaktoren, wie genetischer Veranlagung mit Umwelt- und Entwicklungsfaktoren.

„Wir wollen Wege finden, Risikopatienten und Risikopersonen zu identifizieren, um sie früher behandeln oder sogar Präventionsmaßnahmen für sie ergreifen zu können“, schildert die Professorin. „Dazu können wir zum Beispiel in Zellkulturen nachmodellieren, ob und wie Umwelteinflüsse wie Nikotin und Paracetamol während der Schwangerschaft oder Sauerstoffmangel unter der Geburt schädigend sind.“ Da es nach jetzigem Wissen keinen einzelnen, entscheidenden Risikomarker gibt, wird sich die Risikobeurteilung nach ihrer Einschätzung wahrscheinlich auf ein ganzes Set aus Befunden stützen.

Zu ihren klinischen Vorhaben in der Transitionspsychiatrie zählt die Etablierung einer stationären Schwerpunktbehandlung von Adoleszenten und jungen Erwachsenen sowie einer Früherkennungs- und Transitionsambulanz. Beispielweise ist nach ihren Worten ADHS bei jungen Erwachsenen immer noch unterbehandelt. „Viele Patienten gehen uns mit 18 Jahren in der Behandlung verloren, weshalb wir eine noch bessere Vernetzung mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie anstreben. Die bestehende Sprechstunde dazu wollen wir weiter ausbauen“, kündigt die Professorin an.

Offene Fragen rund um Schwangerschaft und Stillzeit

Die zweite Hauptlinie ihrer Professur beschäftigt sich mit psychischen Erkrankungen von Eltern in der Schwangerschaft und Stillzeit. „Beispielsweise herrscht bei der Behandlung von Frauen mit ADHS oder bipolarer Störung, die einen Kinderwunsch haben oder bereits schwanger sind, noch große Unsicherheit. Welche Auswirkungen haben Psychopharmaka auf das Ungeborene? Wie finden sich die Wirkstoffe in der Muttermilch wieder? Hier ist so vieles unklar, dass noch keine Richt- oder Leitlinien existieren,“ erläutert Kittel-Schneider. Nach ihren Angaben gibt es in der Wissenschaft deutschlandweit nur eine Handvoll Personen, die sich bislang mit diesem Thema beschäftigen.

„Zudem wollen wir besser verstehen, welche Auswirkungen psychische Erkrankungen und deren Therapie bei Eltern auf die Entwicklung der Kinder haben – und das möglichst über einen langen Zeitraum“, betont die Forscherin. „Die wenigen Studien, die es hierzu gibt, gehen maximal bis ins Grundschulalter. Aus ihnen können wir ableiten, dass die Therapie der Mutter den Kindern offenbar nicht schadet. Aber wie sieht es aus, wenn die Kinder 20 Jahre alt sind? Und wie muss die Therapie aussehen, damit die Kinder eine positive Entwicklung nehmen?“ Deshalb sei eines ihrer großen Ziele, Familien 20 bis 30 Jahre lang wissenschaftlich zu begleiten. „Jung genug dafür bin ich noch“, schmunzelt die Ärztin.

Bei den von affektiven Erkrankungen betroffenen Müttern ist bekannt, dass das Risiko, innerhalb der ersten vier bis sechs Wochen nach der Entbindung wieder krank zu werden, besonders hoch ist. „Hier müssen wir Lösungen finden, in dieser Zeit möglichst nahe an den Frauen dranzubleiben“, sagt die Professorin. Die in Würzburg bestehenden Angebote einer Sprechstunde und einer Mutter-Kind-Tagesklinik sollen um weitere teilstationäre und stationäre Plätze sowie zusätzliche therapeutische Angebote ausgebaut werden.

Wochenbettdepression bei Vätern

Ein weiteres, vergleichsweise neues Forschungsthema sind die Wochenbettdepressionen bei Vätern. „Schätzungsweise fünf Prozent aller Männer entwickeln nach der Geburt ihres Kindes eine behandlungsbedürftige Depression“, sagt Kittel-Schneider. Ihre diesbezüglich in Frankfurt begonnenen Forschungen zum System Familie stießen auch in Publikumsmedien auf hohes Interesse.

Um den betroffenen Männern und damit indirekt auch den Müttern und Kindern weiterzuhelfen, ist geplant, eine spezielle Vätersprechstunde einzurichten. „Möglicherweise in Form eines Stammtischs, denn Stuhlkreise werden von dieser Zielgruppe eher abgelehnt“, weiß die Professorin.

Gute Aussichten für Kooperationen

Neben der Zusammenarbeit mit Kollegen im Zentrum für psychische Gesundheit sucht die neue Professorin auch die Kooperation mit weiteren Disziplinen, etwa der Gynäkologie und Pädiatrie, dem Institut für Klinische Neurobiologie sowie dem Fraunhofer-Institut und dem Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin. Die beiden Letzteren können durch ihre Arbeit mit Stammzellen relevante Partner sein.

„Ich bin hier in Würzburg allseits sehr herzlich willkommen geheißen worden und – wie erhofft – auf eine sehr offene, kooperationsbereite Atmosphäre gestoßen“, freut sich Sarah Kittel-Schneider über den Neustart an ihrer alten Wirkungsstätte.

Von Universitätsklinikum Würzburg

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