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  • Drei Studierende vor der Neuen Uni am Sanderring.

Mit Bildung Antisemitismus vorbeugen

16.07.2019

"Antisemitismus - Antisemitismuskritische Bildung – Herausforderungen für Universität und Gesellschaft": Unter dieser Überschrift stand eine Podiumsdiskussion an der Uni Würzburg. Das Thema stieß auf großes Interesse.

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion, in der Bildmitte Moderatorin Ilanit Spinner vom Bayerischen Rundfunk.
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion, in der Bildmitte Moderatorin Ilanit Spinner vom Bayerischen Rundfunk. (Bild: Jörg Fuchs / Universität Würzburg)

Antisemitische Straftaten haben in Deutschland eine traurige Konjunktur: Um 20 Prozent, auf rund 1.800 angezeigte Delikte, stieg die Zahl von 2017 bis 2018 – bei einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter Fälle. Bildungseinrichtungen dürfen vor diesen Entwicklungen die Augen nicht verschließen. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) wurden deshalb am 9. Juli 2019 Ansätze diskutiert, wie sich Antisemitismuskritik in die Hochschullehre integrieren lasse, beispielsweise in der universitären Lehrerinnen- und Lehrerausbildung.

Vor dem vollbesetzten Hörsaal I der alten Universität stellten sich der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, Dr. Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus sowie Dr. Marcus Funck von der Fakultät für Geistes- und Bildungswissenschaften der TU Berlin der Diskussion und den Fragen der Besucherinnen und Besucher. Die unterschiedlichen Perspektiven von Politik, Wissenschaft und auch unmittelbar Betroffenen führten zu zahlreichen Vorschlägen, mit diesem Problem umzugehen.

Praxis des „Nicht-Zulassens“

„Weltoffenheit darf in Forschung und Lehre keine Floskel sein“, formulierte die Vizepräsidentin der Julius-Maximilians-Universität, Professorin Barbara Sponholz, den Anspruch, den die Universität Würzburg als Bildungseinrichtung vertrete. „Zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern müssen geeignete Mittel an die Hand geben werden, um auf gesellschaftliche Problemstellungen reagieren zu können.“ Dazu sollen Angebote, die über Antisemitismus und Rassismus informieren, erweitert werden.

Professor Andreas Dörpinghaus, der an der JMU den Lehrstuhl für Systematische Bildungswissenschaft innehat, forderte die Stärkung kritischer Bildungsprozesse und eine konsequente Praxis des „Nicht-Zulassens“ von Antisemitismus und Rassismus in Bildung und Gesellschaft. Das Ziel aller Pädagogik sei, dass Auschwitz sich nicht wiederhole. „Dabei“, so betonte Dörpinghaus, „darf die junge Generation mit dem historischen Erbe des Holocausts und seiner Folgen nicht alleine gelassen werden.“

Empathische Vermittlungsarbeit statt statistischer Betrachtungen

Die Wandlungsprozesse des Antisemitismus beschrieb Dr. Felix Klein: „Mit dem Ende der NS-Zeit ist der Antisemitismus nicht untergegangen. Heute speist er sich aus unterschiedlichen Quellen, wie Halbwissen, und kommt nicht länger nur aus der rechten Ecke“, betonte er. „Daher müssen wir gesamtgesellschaftliche Bildungsprozesse etablieren. Nur wer Antisemitismus erkennt, kann diesen gezielt bekämpfen.“ Das gelte für alle öffentlichen Institutionen, wie Schulen, Universitäten und auch Strafverfolgungsbehörden wie Polizei und Staatsanwaltschaften.

„Einzelaktionen, wie der einmalige Besuch einer Gedenkstätte während der Schulzeit, greifen im Kampf gegen Antisemitismus zu kurz“, unterstrich Dr. Josef Schuster, „Auch bloße Betrachtungen von Statistiken lassen einen eher abstumpfen.“ In seinen Augen sei die engagierte und vor allem empathische Vermittlungsarbeit von Lehrerinnen und Lehrer hilfreicher. Hier könne die Lehrerbildung Akzente setzten.

Gesellschaftlichen Bildungsprozesse sollten aber nicht verordnet sein: „Wir haben Begegnungsmöglichkeiten geschaffen, die Kindern und Jugendlichen die Facetten des jüdischen Lebens in Deutschland auf Augenhöhe und ohne Druck vermitteln.“

Diese Auffassung stützte auch Dr. Ludwig Spaenle: „Wir sollten die lange und vielfältige jüdische Geschichte in Deutschland deutlicher darstellen und Erinnerungsarbeit auf allen Ebenen stärken – das reicht von Bildungsinstitutionen über Vereine, private Initiativen und bürgerschaftliches Engagement.“ Der Zustand des jüdischen Lebens in Deutschland sei ein Ausweis des zivilisatorischen Zustandes unseres Landes, unterstrich er.

 Antisemitismus an Universitäten

„Antisemitismus ist an den Universitäten in Deutschland bislang ein vergleichbar untergeordnetes  Phänomen“, erläuterte Dr. Marcus Funck. Das liege seiner Auffassung nach an der langen und umfangreichen Bildungsbiografie von Studierenden.

Gleichzeitig warnte er aber: „Wenn wir auf antisemitische Vorfälle nur noch reagieren können, dann ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen.“ Erfreulicherweise gebe es aber in der deutschen Bildungslandschaft immer mehr Initiativen, dem Problem frühzeitig und langfristig zu begegnen.

Einigkeit und Differenzen

Differenzen in der Betrachtungs- und Definitionsweise traten beim Thema „Israelkritik“ zutage: Während gesellschaftliche und politische Perspektiven die Grenzen der Kritik am Staat Israel mit Begriffen wie „De-Legitimierung“ und „Dämonisierung“ verbinden, äußerten sich Vertreter aus wissenschaftlicher Perspektive zurückhaltender: „Diesen eher allgemeinen Begriffen fehlt die definitorische Schärfe“, erläuterte Marcus Funck, „sodass wir sie in wissenschaftlichen Kontexten nur eingeschränkt nutzen können“.

Einig waren sich alle Teilnehmer, dass schulische und universitäre Bildung nicht nur dem Wissenserwerb dienen dürfe, sondern auch zu konkretem und couragiertem Handeln befähigen müsse.

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Von Jörg Fuchs

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