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Lebenswelten gestalten

26.07.2022

Sterbesettings, biografisches Storytelling und mehr: Aus der Kooperation zweier Würzburger Hochschulen ist eines der ersten deutschsprachigen Bücher zur Design-Anthropologie entstanden.

Aus dem designanthropologischen Buch „Lebenswelten gestalten“.
Aus dem designanthropologischen Buch „Lebenswelten gestalten“. (Bild: Anna Radlbeck)

Wie gestaltet der Mensch die Welt? Damit befasst sich das noch junge Fach Design-Anthropologie. Es bildet sich erst seit etwa zehn Jahren heraus und ist bisher vor allem in den USA und in Skandinavien präsent.

„Insofern ist es uns eine besondere Freude, hier in Würzburg eines der ersten deutschsprachigen Bücher zur Design-Anthropologie vorzulegen!“ Das sagen die Herausgeberinnen des Bandes „Lebenswelten gestalten“, Isabella Kölz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Europäische Ethnologie der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, und Lehrstuhlleiterin Professorin Michaela Fenske.

Die Beiträge in dem neuen Buch behandeln konkrete Aspekte der Design-Anthropologie – zum Beispiel die Gestaltung von Ausstellungen oder von technischen Assistenzsystemen für ältere Menschen, das Aussortieren von Dingen in einer Gesellschaft des Überkonsums, biografisches Storytelling oder Sterbesettings. Andererseits geht es auch um methodische Fragen und philosophische Überlegungen zur Weltgestaltung.

Dinge am Lebensende

Beispiel Sterbesettings: Damit setzen sich der Kultursoziologe Francis Müller und die Modedesignerin Bitten Stetter, beide aus Zürich, in ihrem Beitrag auseinander. In einem ihrer Forschungsprojekte war die Ausgangsfrage, warum der Mensch Geburten, Beerdigungen und viele andere Lebensphasen bewusst gestaltet, nicht aber die Zeit, die unheilbar Kranke in Palliativstationen oder Pflegeheimen vor dem Sterben durchleben.

Vor Ort in solchen Einrichtungen stellten die Forschenden zum Beispiel fest, dass bettlägerige Patientinnen wegen ihrer schlechten körperlichen Verfassung oft nicht an den Nachttisch herankommen und damit auch nicht an Alltagsdinge wie Handspiegel oder Haarbürste. Darum lagern die Frauen diese Gegenstände gern in Reichweite, also in ihren Betten. Für das Pflegepersonal ist das hinderlich, so dass es die Dinge wieder auf oder in den Nachttisch zurücklegte.

Für eine Lösung, die allen gerecht wurde, sorgte dann ein Designobjekt: ein Fahrradkorb, der so am Bettgestell befestigt wird, dass er sich hin und her schieben lässt. Die Patientinnen können dort Dinge ablegen, die ihnen wichtig sind. Die Pflegenden können den Korb verschieben, falls er ihnen im Weg ist.

Europäische Ethnologie trifft Design

Die Welt sehen und beschreiben, wie sie ist. Und dann überlegen, wie sie besser sein könnte. Diese Prozesse kommen zusammen, wenn die Europäische Ethnologie (oder Anthropologie) auf das Kommunikationsdesign trifft.

„Wir aus der Europäischen Ethnologie gehen in Alltagssituationen zu Menschen, sprechen mit ihnen, denken darüber nach und schreiben dann Bücher“, beschreibt Isabella Kölz, die zu einem Thema aus der Design-Anthropologie promoviert, stark vereinfacht ihre Arbeitsweise. Im Design macht man sich Gedanken darüber, wie man Dinge oder Abläufe für Menschen gestalterisch verbessern kann.

Wenn beide Disziplinen zusammenarbeiten, bietet das einen Mehrwert. Ein Beispiel aus dem neuen Buch zeigt das sehr schön: Die Kommunikationsdesignerin Carolyn Kerchof hat zusammen mit Menschen in Altersheimen ein besonderes biografisches Storytelling entwickelt. Sie hörte sich Lebensgeschichten an und gestaltete diese im Anschluss zusammen mit den Erzählenden als Comics oder in anderen Formaten.

„Da kam etwas ganz anderes dabei heraus, als hätte die Europäische Ethnologie die Lebensgeschichten einfach nur aufgeschrieben“, sagt Isabella Kölz. Sie selbst hat im Rahmen ihrer Dissertation die Kooperation mit Grafikerinnen und Grafikern an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt gesucht – und schnell festgestellt, wie fruchtbar das gemeinsame Nachdenken ist.

Das Buch enthält viele Teambeiträge

Aus der Zusammenarbeit entstand eine gemeinsame Lehrveranstaltung, aus der wiederum das Buch „Lebenswelten gestalten“ hervorging. Was die Würzburger Wissenschaftlerin besonders freut: „Für das Buch haben Studierende aus der Europäischen Ethnologie und aus der Gestaltung einen gemeinsamen Beitrag geschrieben. Das war echtes interdisziplinäres Arbeiten! Fast alle Beiträge im Buch wurden von Teams verfasst.“

Die elf Beiträge stammen von 17 Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum, aus zehn unterschiedlichen Disziplinen und aus verschiedenen Generationen. „Es ist uns in der Europäischen Ethnologie ein besonderes Anliegen, die nachwachsenden Generationen früh in die Forschung einzubinden. Diesbezüglich gibt der Band tolle Einblicke“, sagt Michaela Fenske.

Publikation

Isabella Kölz & Michaela Fenske (Hg.): „Lebenswelten gestalten. Neue Felder & Forschungszugänge einer Designanthropologie. Alltag Kultur Wissenschaft 9. Jahrgang 2022“, Verlag Königshausen & Neumann, 284 Seiten, 28 Euro, ISBN 978-3-8260-7716-6

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