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  • Drei Studierende vor der Neuen Uni am Sanderring.

Barrierefrei an Literatur kommen

09.11.2021

Studierenden mit einer Seh- und Lesebeeinträchtigung wird der barrierefreie Zugang zu Literatur an der Uni Würzburg weiter erleichtert. Anlaufpunkt für Betroffene ist die Beratungsstelle KIS.

Ines Matic vom Lehrstuhl für Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen lässt sich Literatur in vergrößerter Bildschirmdarstellung anzeigen.
Ines Matic vom Lehrstuhl für Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen lässt sich Literatur in vergrößerter Bildschirmdarstellung anzeigen. (Bild: Robert Emmerich / Universität Würzburg)

Die Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung (KIS) der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg ist seit kurzem „Befugte Stelle nach dem Urheberrechtsgesetz“. Deutschlandweit gibt es bislang 17 derartige Stellen.

In der Praxis bedeutet das: Studierende mit Seh- und Lesebeeinträchtigungen können sich unter bestimmten Voraussetzungen Literatur digitalisieren lassen und diese dann in die Formate umwandeln, die für sie am geeignetsten sind.

Tatsächlich war der Zugang zu Literatur für Studierende mit einer Seh- oder auch Lesebeeinträchtigung lange Zeit kaum ohne Assistenz möglich. Eine Untersuchung der „World Blind Union“ kam in einer Umfrage zu dem Schluss, dass selbst in reichen Ländern 95 Prozent der Literatur nicht in barrierefreien Formaten zugänglich sind. In ärmeren Regionen sind es 99 Prozent.

Viele Herausforderungen zu bewältigen

Ines Matic, wissenschaftliche Mitarbeiterin am neuen JMU-Lehrstuhl für Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen sowie Allgemeine Heil-, Sonder- und Inklusionspädagogik, hat selbst eine Sehbeeinträchtigung.

Sie kennt die Herausforderungen noch aus ihrer eigenen Studienzeit in Heidelberg: „Ich freute mich immer, wenn Material schon digital vorhanden war. Dann konnte ich mit der digitalen Leselupe am Bildschirm arbeiten.“ Dozentinnen und Dozenten sprach sie an und bat darum, ihr Folien oder Präsentationen direkt digital zur Verfügung zu stellen. Gab es Material nur auf Papier, musste digitalisiert werden, um den Zugang zu wissenschaftlichem Material zu ermöglichen. Meist übernahmen diesen Service an Universitäten bis dato vor Ort eingerichtete Umsetzungsstellen.

Dabei allerdings standen rechtliche Fragen im Raum: Wurde ein urheberrechtlich geschütztes Werk in Großdruck, Blindenpunktschrift, als Hörbuch oder auch als digitale Worddatei zur Verfügung gestellt, musste in jedem Einzelfall die Zustimmung der Rechteinhaber – sprich der Autorinnen oder Autoren und des Verlags – eingeholt werden.

Kompromiss im Vertrag von Marrakesch

Eine Problematik, die auch auf internationaler Ebene gesehen wurde. Mit dem völkerrechtlichen Vertrag von Marrakesch einigte man sich im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) auf einen Kompromiss. Dieser zielt einerseits darauf ab, die Rechte der Urheberinnen und Urheber zu wahren. Andererseits will er weltweit eine bessere Versorgung mit barrierefreier Literatur sicherstellen. 2017 verabschiedete die EU eine entsprechende Richtlinie, am 1. Januar 2019 folgte auf Bundesebene das „Gesetz zur Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie“.

Danach dürfen Menschen mit einer Seh- oder Lesebeeinträchtigung nun offiziell ein Werk, zu dem sie rechtmäßigen Zugang haben, selbst oder durch eine Assistenz zugänglich machen lassen.

Betraut mit der Digitalisierung wird eine so genannte „Befugte Stelle“, wie sie nun auch bei KIS an der Würzburger Universität im Rahmen des Umsetzungsdienstes zur Adaption von Studienmaterialien zu finden ist. Die Erlaubnis der Autorinnen und Autoren oder des Verlags muss nicht eingeholt werden. Um dennoch deren Rechte zu schützen, ist eine Weitergabe der Digitalisate an Dritte nicht erlaubt.

Ärztliches Attest oder Behindertenausweis sind nötig

Wie KIS-Leiterin Sandra Mölter erzählt, kooperiert die „Befugte Stelle“ mit dem Digitalisierungszentrum der Würzburger Universitätsbibliothek. Studierende, die sehbeeinträchtigt oder blind sind, wie auch Studierende mit einer Legasthenie können den Digitalisierungsservice in Anspruch nehmen.

Vorlegen müssen sie dafür ein Attest oder einen Behindertenausweis. Und sie müssen unterschreiben, dass sie die urheberrechtlich geschützten Werke nicht an Dritte weitergeben werden.

Das benötigte Dokument oder Buch wird dann als PDF eingescannt. Anschließend läuft eine Texterkennungssoftware über die Datei, die in ein Word-Dokument umgewandelt wird. Dieses wird dann noch einmal überarbeitet. Fachleute beschreiben zudem bei Bedarf Bilder. Die Studierenden können die Worddatei dann vergrößern, mit Leselupe sichten oder sie mit entsprechenden Programmen in das für sie geeignetste Format umwandeln.

Wie viele Studierende in Würzburg anspruchsberechtigt sind, weiß Sandra Mölter im Detail nicht. Sie verweist aber auf die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Danach sind zwei Prozent der Studierenden in der Bundesrepublik blind oder sehbeeinträchtigt, vier Prozent haben eine Teilleistungsstörung, zu der unter anderem auch die Legasthenie zählt. Bei aktuell rund 27.000 Studierenden an der JMU wären das 540 bzw. 1080 Betroffene.

„Es wird einiges an Arbeit auf KIS zukommen“, sagt Mölter. Gleichzeitig freut sie sich, dass damit die Barrierefreiheit an der Universität Würzburg weiter vorangebracht wird.

Fakten zur KIS

Die „Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung“ (KIS) der Uni Würzburg wurde 2008 gegründet. Sie berät Studierende, die durch eine Behinderung oder Erkrankung dauerhaft im Studium eingeschränkt sind. Im Hilfsmittelpool stellt sie zum Beispiel mobile Funk-Anlagen zur Verfügung, so dass Studierende mit Hörbehinderung die Vorlesungen besser verstehen. Auch in der Vergangenheit bereiteten Hilfskräfte Lehr- und Lernmaterialien auf, so dass Studierende mit Sehbehinderung diese nutzen konnten. Für Kommilitonen mit motorischen Einschränkungen werden in Vorlesungen oder Seminaren Mitschriften angefertigt.

Kontakt

Sandra Mölter, KIS, Universität Würzburg, T +49 931 31-82431, kis@uni-wuerzburg.de

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