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  • Drei Studierende vor der Neuen Uni am Sanderring.

Durch Gewalt zur stabilen Ordnung

15.05.2018

Vor 400 Jahren hat der Dreißigjährige Krieg begonnen. Welche Lehren sich aus diesem Krieg für heutige Konflikte ziehen lassen und wo dieser Versuch an seine Grenzen stößt, erklärt die Würzburger Historikerin Anuschka Tischer im Interview.

Anuschka Tischer, Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere Geschichte. (Foto: Daniel Peter)

Auch wenn es danach noch einige Zeit gedauert hat, bis die ersten Heere aufeinander geprallt sind, gilt der 23. Mai 1618 doch als offizieller Beginn des Dreißigjährigen Kriegs. Der „Prager Fenstersturz“, bei dem Vertreter der böhmischen Stände zwei Kommissare des Kaisers und deren Sekretär aus einem Fenster der Prager Burg warfen, markierte den Beginn einer Auseinandersetzung, die sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem europäischen Konflikt ungekannten Ausmaßes entwickeln sollte.

Die Historikerin Anuschka Tischer hat an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg den Lehrstuhl für Neuere Geschichte inne. Auf einer internationalen Tagung in Würzburg ist sie vor kurzem gemeinsam mit einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen der grundlegenden Frage nachgegangen, inwieweit die vielfältigen Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts Ergebnis einer Dynamik waren, die durch den Dreißigjährigen Krieg wesentlich vorangetrieben wurde. Anlass genug also für ein Interview mit der Expertin.

Frau Professor Tischer: Warum sollte man sich heute noch für einen Krieg interessieren, der gut 400 Jahren zurückliegt? Unter anderem, weil der Dreißigjährige Krieg ein gutes Beispiel für die regelmäßige Aktualisierung eines historischen Themas ist. Das heißt: Er ist in verschiedenen Epochen immer wieder unter aktuellen Fragestellungen aufgegriffen worden.

Welche Fragen werden denn heute an ihn gestellt? Aktuell ist die Frage in der Diskussion, inwieweit der Dreißigjährige Krieg und seine Überführung in den Frieden ein Beispiel für aktuelle Konflikte sein könnte. Diese Diskussion fing bereits in den 1990er-Jahren an, als das alte Staatensystem zusammengebrochen ist. Man sucht nach Möglichkeiten, Erklärungsmodelle aus der Geschichte zu adaptieren.

Der Westfälische Frieden soll als Musterlösung für die Konflikte beispielsweise in Afghanistan oder Syrien dienen? Ja, das ist die Hoffnung. Ganz konkret gab es ein Projekt, das der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier angeregt hatte. Daran beteiligt waren Historiker, unter anderem auch ich, Politologen, Völkerrechtsexperten und Vertreter anderer Fachgebiete, die zunächst viele Hintergrundgespräche mit Akteuren aus dem Nahen Osten und solchen, die in die Prozesse dort eingebunden sind, geführt haben.

Und die Historiker sollten am Beispiel des Westfälischen Friedens den Weg zu einer Konfliktlösung aufzeigen? Es ging selbstverständlich nicht um die Entwicklung einer Folie, die sich eins zu eins übertragen lässt, sondern darum, Anregungen zu geben. Wir haben versucht aufzuzeigen, welche Wege man in historischen Konflikten eingeschlagen und welche Friedensinstrumentarien man entwickelt hat. Der Dreißigjährige Krieg ist natürlich ein ganz anderer Krieg als die heutigen Auseinandersetzungen. Aber wenn es um die Frage geht, wie man solch einen völlig verwickelten Krieg wieder in einen Frieden überführen kann, was dabei geht und was vermutlich nicht, können wir doch einige Beispiele als Grundlage liefern.

Sehen Sie sich als Historikerin denn in der Pflicht, Lösungen für heutige Probleme zu liefern? Mir sind die aktuellen Probleme natürlich nicht egal. Aber ich bin auch der Meinung, dass man Geschichte nicht funktionell auf die Gegenwart hin betrachten darf. Geschichte ist zunächst einmal etwas, was in einer bestimmten Zeit stattgefunden hat. Das Gefühl für diese Differenz zu wecken, halte ich für eine wichtige Aufgabe des Historikers.

Aber Sie behalten die Gegenwart schon auch im Blick? Ja, denn es ist meiner Meinung nach auch Aufgabe der Geschichtswissenschaften aufzuzeigen, woher wir kommen. Die Gesellschaft, in der wir heute leben, hat ja eine Vorgeschichte. Dass diese sich so entwickelt hat, war nicht zwangsläufig. Man kann also Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen und darstellen, warum bestimmte Aspekte heute in einer bestimmten Weise funktionieren – eben wegen dieser Vorgeschichte. Das Ideal ist natürlich, wenn man Fragen aus der Gegenwart mit Hilfe eines Blicks in die Geschichte beantworten kann. Das geht aber nur im Gespräch mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen. Man darf als Historiker nicht dem Glauben verfallen, man könne alleine Lösungen für die Gegenwart präsentieren.

Waren die von Steinmeier angeregten Gespräche erfolgreich? Wie gesagt: Wir haben nur Anregungen gegeben. Was daraus wird, weiß man nie. Schließlich handelt es sich bei solchen Verhandlungen um schwerfällige Prozesse. Man darf nicht davon ausgehen, dass man dort eine Lösung entwickelt, und am nächsten Tag herrscht Frieden. Selbst der Westfälische Friede hat vier Jahre Verhandlungen gebraucht.

Findet der Dreißigjährige Krieg Ihrer Meinung nach heute die Beachtung, die er verdient – jenseits des üblichen Gedenkens zum Jubiläum und über Historiker hinaus? In der Schule war er bei uns beispielsweise kein Thema. Das ist auch meine Erfahrung: In meiner Schulzeit hat er ebenfalls keine Rolle gespielt. Das hatte sicherlich viel damit zu tun, dass man lange Zeit der Ansicht war, der Dreißigjährige Krieg sei ein Religionskrieg gewesen, und solche Kriege gebe es heute nicht mehr.

Das würde man heute wohl nicht mehr sagen. Genau. Somit lässt sich auch das erneute Interesse damit erklären, dass man mittlerweile wieder viele Konflikte als religiös motiviert sieht. Aber da müssen wir Historiker bremsen und sagten: Nein, der Dreißigjährige Krieg war kein Religionskrieg, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass die Religion als Kriegsgrund oder Kriegsursache vorherrschend gewesen wäre. Man kann allerdings anhand dieser Frage trotzdem für das Heute lernen, beispielsweise wenn man untersucht, ob es überhaupt Religionskriege gibt. Dann stellt man in der Regel nämlich fest, dass solche Kriege fast immer eine Fülle von Motiven als Auslöser haben – und das Religiöse kommt erschwerend dazu.

Sie haben vor kurzem eine Tagung zum Dreißigjährigen Krieg organisiert. Gibt es nach 400 Jahren immer noch Neues zu erforschen? Unbedingt. Bei einem Krieg, der sich über 30 Jahre erstreckt hat, ist die Quellenlage extrem komplex. Vor allem, wenn von Anfang an Akteure aus ganz Europa darin verwickelt waren, und der Kongress dementsprechend ein gesamteuropäischer Friedenskongress war. Somit gibt es noch jede Menge unerschlossener Quellen.

In der Tagung ging es um Wandlungsprozesse, die durch den Dreißigjährigen Krieg entfesselt wurden. Um welche Prozesse geht es dabei? Beispielsweise um den Prozess der Staatsbildung und damit verbundene Fragen wie etwa: Wer hat in einem bestimmten Herrschaftsgebiet das Sagen, welche Strukturen sind notwendig, wie müssen sie funktionieren? Oder um die Umgestaltung des Heerwesens. Den Dreißigjährigen Krieg haben ja in der Hauptsache Söldnerheere dominiert, die teilweise von Personen angeführt wurden, die sich mit ihren militärischen Erfolgen mehr und mehr als politische Akteure verstanden, weil sie wussten, dass die anderen auf sie angewiesen waren. Da hat man gemerkt, dass das so nicht mehr geht, und hat in der Folgezeit stehende Truppen aufgestellt, die unter staatlicher Verwaltung standen, dauerhaft im Dienst waren und dementsprechend immer professioneller wurden.

Religion hat keine Rolle gespielt? Doch, natürlich. Das ganz große Grundsatzproblem war das Verhältnis der Konfessionen zueinander. 1618 hätten die verschiedenen Akteure sicherlich keine Regelung getroffen, nach der Katholiken und Protestanten gleichberechtigt waren oder auch Calvinisten offiziell anerkannt wurden. Dahin wurden sie erst durch die Gewalt des Dreißigjährigen Kriegs gebracht. 1648 hat man anerkannt, dass man damit leben muss, dass es den anderen gibt. Und dass man eine stabile Ordnung finden muss, mit der alle Seiten leben können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dynamik durch Gewalt? Der Tagungsband

Der auf eine internationale Tagung in Würzburg zurückgehende Sammelband widmet sich der grundlegenden Frage, inwieweit die vielfältigen Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts Ergebnis einer Dynamik waren, die durch diesen für die deutsche und europäische Geschichte fundamentalen Krieg entfesselt wurde. Probleme der politischen Ordnung und der europäischen Mächtebeziehungen werden ebenso thematisiert wie Fragen der Kriegsstrategie und -finanzierung, des religiösen, geistigen und kulturellen Lebens sowie die Meistererzählungen, welche die Nachwelt zur Deutung des komplexen Kriegsgeschehens konstruiert hat.

Mit Beiträgen von Astrid Ackermann, Stefan Bürger, Johannes Burkhardt, Michael Kaiser, Christoph Kampmann, Eva-Bettina Krems, Arina Lasarewa, Christian Mühling, Michael Rohrschneider, Arndt Schreiber, Fabian Schulze, Arno Strohmeyer, Anuschka Tischer, Kerstin Weiand und Peter H. Wilson

Rohrschneider, Michael/Tischer, Anuschka (Hgg.) Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts. Schriftenreihe zur Neueren Geschichte 38 (NF 1), Münster (Aschendorff Verlag) 2018, 342 Seiten, ISBN 978-3-402-14766-5, 48,00 €

Kontakt

Prof. Dr. Anuschka Tischer, Lehrstuhl für Neuere Geschichte, T: +49 931 31-85540, anuschka.tischer@uni-wuerzburg.de

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