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Ein mutiger Professor

02.04.2024

Prof. Armin Stock befasst sich schon seit längerer Zeit mit dem Würzburger Psychologie-Professor Karl Marbe.

Professor Armin Stock hat Psychologie, Philosophie und Physiologie studiert. Er ist Professor für Geschichte der Psychologie leitet das Zentrum für Geschichte der Psychologie in Würzburg. Über den Psychologie-Professor Karl Marbe hat er geforscht und dessen ‚Zeitgemäße populäre Betrachtungen für die kultivierte Welt‘ in einem Buch herausgebracht. Professor Marbe wurde von Alumnus Professor Rabbiner Leo Trepp bei dessen Besuch in Würzburg sehr häufig zitiert als (er hatte sich bereit erklärt, der Zweitprüfer seiner Promotionsarbeit zu sein) als unglaublich mutigen Mann zu einer Zeit, als die Nationalsozialisten auch Würzburg schon fest in der Hand hatten.

Prof. Stock, was fasziniert Sie an Professor Marbe und warum haben Sie sich mit seinen ‚Betrachtungen‘ befasst?
Karl Marbe ist einer der Mitinitiatoren, wenn nicht sogar der maßgebliche, der weltbekannten Würzburger Schule der Denkpsychologie. Er ist eine der historischen Forscherpersönlichkeiten der Psychologie, mit der ich mich bereits vor Jahrzehnten auseinandergesetzt habe. Letztlich hat dies dazu geführt, dass ich heute in der psychologiehistorischen Forschung tätig bin. Marbe war ein sehr vielfältiger, sich nur von seinen eigenen Interessen leitender Wissenschaftler. Neben der Denkpsychologie hat er sich umfangreich mit Fragen der Angewandten Psychologie, der forensischen Psychologie, der Werbe- und Konsumentenpsychologie, aber auch sehr kritisch mit Themenfeldern wie Graphologie oder dem Wünschelrutengehen auseinandergesetzt. Hinzu kommen ausführliche Forschungen zu Anomalien der Geburtenstatistik und ein umfangreiches theoretisches Werk zur Gleichförmigkeit menschlichen Verhaltens in der Welt, das die wissenschaftliche Grundlage seiner „Zeitgemäßen populären Betrachtungen für die kultivierte Welt“ liefert. Dieses von Marbe nicht veröffentlichte Manuskript, konnte ich im Jahr 2013, bei der Wiederentdeckung seines verschollen geglaubten Nachlasses auffinden. Da aus einer das Manuskript begleitenden Korrespondenz hervorging, dass Marbe es nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichen wollte, dies aber bei den damaligen politischen Umständen noch nicht möglich war, habe ich es für ihn im Jahr 2016 zusammen mit einer Einleitung und Erläuterungen publiziert.
Marbe hat aus meiner Sicht in seinen „populären Betrachtungen“ eine leicht verständliche Massenpsychologie konzipiert, mit der sich die suggestive Beeinflussung großer Menschenmassen erklären lässt und das damit auch eine Erklärung für die Entstehung des Dritten Reichs bietet.
Das Verfassen eines solchen Manuskripts in den letzten beiden Kriegsjahren war eine sehr mutige Entscheidung, denn Marbes Frau galt den Nationalsozialisten als „halbjüdisch“. Deshalb war das Ehepaar häufigen Anfeindungen ausgesetzt und eine Denunziation hätte schlimme Folgen gehabt. Karl Marbe weigerte sich dennoch, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen und rettete ihr so das Leben. Die Faszination für Marbe beruht deshalb nicht nur auf seiner wissenschaftlichen Arbeit, sondern auch auf seiner moralischen Stärke in der schwierigen Zeit einer brutalen Diktatur ethisch korrekt zu handeln. Das Volksblatt schrieb deshalb anlässlich seines Todes am 5. Januar 1953, dass sein Leben: „…„…menschlich und charakterlich beispielhaft war und deshalb unvergesslich bleibt“.

Haben Ihre Forschungen etwas ergeben, was Sie besonders überrascht hat?
In Bezug auf Marbes  „Populärwissenschaftliche Betrachtungen für die kultivierte Welt“ war ich zunächst besonders von der Aktualität, ja geradezu der Zeitlosigkeit des Werks überrascht. Dieses gründet sich jedoch zum einen auf die Herleitung seiner Überlegungen anhand verschiedener Beispiele aus der Menschheitsgeschichte und zum anderen auf allgemeinpsychologische Phänomene, die über Völker hinweg gleichermaßen und zeitunabhängig auftreten.

Welche Betrachtungen Marbes lassen sich auf die heutige Zeit übertragen?
Es sind mehrere Aspekte, die sich aus Marbe „Betrachtungen“ auf die heutige Zeit übertragen lassen, wie z.B. die Unterteilung in primäre und sekundäre Gleichförmigkeiten, die Wirkung von Suggestionen und der Nachahmungstrieb. Die Grundlage der Entstehung einer psychologischen Masse, die sich über die primäre Gleichförmigkeit ihres Verhaltens auch sekundär gleichförmig in Form von geteilten Überzeugungen und Handlungen verhält, sind die verschiedenen Formen der Suggestion von der Fremd- bis zur Autosuggestion. Die Suggestionen können so stark sein, dass sie geradezu wachhypnotische Zustände hervorrufen, in denen Menschen unüberzeugbar den ihnen suggerierten Gedanken und Handlungsweisen folgen. Verhalten sich viele Menschen so, dann entstehen Massenphänomene, die wiederum eine starke rückwirkende Verstärkung auf die Individuen ausüben. Bislang noch nicht von diesen Suggestionen gefangene Menschen können dann aufgrund des Nachahmungstriebs von solchen Massen angezogen werden und leicht deren Suggestionen verfallen. Je größer eine solche psychologische Masse geworden ist, desto schwieriger wird es, sie zu kontrollieren oder wieder zu verkleinern. Solche Massenphänomene können zu großen Risiken für Demokratien werden, wie wir es in der jüngeren Vergangenheit beobachten konnten. Marbes „Betrachtungen“ haben daher aus meiner Sicht auch heute noch eine hohe Aktualität und können dabei helfen, sich ein Stück weit gegen suggestive Einflüsse zu wappnen, auch wenn wir nie gänzlich vor ihnen sicher sein können. 

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