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Afrikazentrum

Qasr-Ibrim

Forschungsprojekt auf Qasr-Ibrim

Auf der heutigen Insel im Nasser-Stausee, der ehemaligen Grenzfestung Qasr-Ibrim in Nubien, befindet sich ein Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Ägyptologie der Universität Würzburg.

Ansprechpartner an der Universität Würzburg:
Prof. Dr. Horst Beinlich

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Der ältesten afrikanischen Schriftsprache auf der Spur

Im Zuge der Ausgrabungen in Nubien zu

Beginn des 20. Jahrhunderts wurden einige Hundert Objekte, meist Opfertafeln und Stelen, entdeckt, die mit mysteriösen Schriftzeichen bedeckt waren. Das Mysterium bestand darin, dass die Schriftzeichen zwar bekannt waren, denn es handelte sich um altägyptische Hieroglyphen bzw. demotische Zeichen, aber die Lesung der Hieroglyphen nach den ägyptischen Sprachregeln ergab keinen Sinn. Die einzig mögliche Schlussfolgerung war, dass es sich bei den Inschriften um eine mit Hieroglyphen niedergeschriebene nichtägyptische Schriftsprache handeln muß.

Mit Hilfe einer einzigen aus zwei Herrschernamen bestehenden Bilingue, dem im Berliner Ägyptischen Museum aufbewahrten Barkenuntersatz aus Wad ban Naga, und einigen ägyptischen und nubischen Fremdwörtern gelang es dem britischen Wissenschaftler Francis Llewellyn Griffith, diese Schriftsprache im Jahre 1911 zu entziffern. Für diese Schriftsprache hat sich in der Literatur die Bezeichnung „Meroitisch“ durchgesetzt, denn es handelt sich um die Umgangs- und Verwaltungssprache eines Königreichs, welches von etwa 300 v.Chr. bis 350 n.Chr. auf dem Gebiet des heutigen Nordsudan existierte und dessen Hauptstadt den antiken griechischen Schriftstellern als Meroe bekannt war. Als Mitglied der nilo-saharanischen bzw. nubischen Sprachfamilie ist das zwischen 200 v.Chr. und 400 n.Chr. geschriebene Meroitisch die älteste schriftlich fixierte afrikanische Sprache der Welt.

Die anfänglichen Erfolge bei der Entzifferung des Meroitischen haben leider keine Fortsetzung erfahren. Die Texte können zwar gelesen werden, ihr Inhalt ist aber größtenteils immer noch unverständlich. Substantielle Fortschritte können nur durch Veröffentlichung und Auswertung weiterer meroitischer Inschriften erreicht werden.

1964 wurde im Zuge der UNESCO-Rettungskampagne mit Ausgrabungen in Qasr Ibrim begonnen. Für die Egypt Exploration Society als Träger der Grabung stellt Qasr Ibrim einen einzigartigen Glücksfall dar. Einst 60 Meter über dem Nilniveau gelegen, ragt diese ehemalige Festung noch heute als Insel aus dem Nasser-See und ermöglicht die Fortsetzung der Grabungen bis in jüngste Zeit. Dank des extrem trockenen Wüstenklimas haben sich an dieser Stätte Zeugnisse aus vergänglichen organischen Materialien in exzellentem Zustand erhalten. Das trifft auch auf meroitische Inschriften zu. Im Laufe der vielen Grabungskampagnen konnten gut 700 meroitische Texte auf Papyrus, Stein, Keramik, Leder und Holz ergraben werden.

Auf die Erforschung der meroitischen Sprache hat sich weltweit nur eine Handvoll Wissenschaftler spezialisiert. Dr. Jochen Hallof ist einer von ihnen. Ihm wurde von der Egypt Exploration Society die Veröffentlichung der meroitischen Texte aus Qasr Ibrim anvertraut. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte und vom Mitglied des Afrika-Kreises Prof. Horst Beinlich geleitete Projekt hat vorrangig das Ziel, diese Texte in einer umfassenden Publikation der Wissenschaft zugänglich zu machen. Von jedem meroitischen Schriftzeugnis werden nicht nur die Grabungsfotos publiziert, sondern auch eine Umzeichnung und Transkription angefertigt. Die Transkription, d.h. die Lesung der meroitischen Texte, bildet die Basis für deren weitere Auswertung. Sie ist dann von Erfolg gekrönt, wenn es gelingt, Strukturen und Muster zu erkennen und die in ihnen verwendeten fixen und variablen Elemente zu segmentieren. In Kombination mit eventuell vorhandenen Darstellungen oder Fundumständen lässt sich der Inhalt der einzelnen Elemente dann näher bestimmen.


Als Beispiel sei eine Holztafel aufgeführt, die 1986 gefunden wurde. Auf ihr ist ein Falke abgebildet, der vor einem Altar steht. (Abb. 1). Die Umzeichnung des Textes (Abb. 2) erlaubt folgende Transkription:

aqoli:              yimkteni:         srtneyi:           slilw: ptepl:

Holztafel-Fundstück 1986

Umzeichnung des Schriftbilds


Im gleichen Jahr wurde eine weitere Holztafel gefunden, auf der anstelle des Falken eine Gazelle, ebenfalls vor einem Altar stehend, dargestellt ist. Der Text lautet diesmal:

abeseqoli:       yimkteni:                                 slilw: ptepl:     mtneyi:

Eine weitere Darstellung, diesmal eine Kobra vor einem Altar, komplettiert die Reihe ähnlicher Texte: Dieser lautet:

pekeqoli:         yimkteni:                                 slilw: ptepl:     plke:

Eine Zusammenstellung der Texte macht deutlich, dass die Wörter yimkteni, slilw und ptepl allen drei Inschriften gemeinsam sind, die Wörter aqoli, abeseqoli und pekeqoli sowie

srtneyi, mtneyi und plke aber jeweils nur einzeln vorkommen. Die sechs letztgenannten Wörter müssen daher in einem besonderen Verhältnis zur Darstellung stehen, die sich ausschließlich in dem verehrten Tier (Falke, Gazelle bzw. Schlange) unterscheidet. Die Vermutung liegt nahe, dass einige der einzeln vorkommenden Wörter das dargestellte Tier oder die in ihm verehrte Gottheit bezeichnen. Aus den meroitischen Totenopferformeln konnte die Wortfolge im Meroitischen als Subjekt – Objekt – Verb ermittelt werden. Diese Erkenntnis korrespondiert auf das Beste mit den Inschriften auf den Holztafeln. Dort ist es gerade das erste Wort, also das Subjekt, welches sich adäquat zu den unterschiedlich dargestellten Tieren von Text zu Text unterscheidet. Von den drei Subjektsbezeichnungen ist noch das Suffix -qoli zu segmentieren, welches verehrungswürdige Personen und Lebewesen bezeichnet. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass a einen Falken oder die in ihm verehrte Gottheit, abese eine Gazelle oder die in ihr verehrte Gottheit und peke eine Kobra oder die in ihr verehrte Gottheit bezeichnen dürfte. Drei meroitische Wörter lassen sich somit in ihrer Bedeutung näher bestimmen. Das mag wenig erscheinen. Aber wenn man bedenkt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt insgesamt nicht mehr als 50 meroitische Wörter in ihrer Bedeutung mehr oder minder bekannt sind, bekommt dieser Wissenszuwachs einen anderen Stellenwert. Über die übrigen Wörter der drei nahezu parallel aufgebauten Inschriften lässt sich leider nichts sagen.

Ein weiteres Teilgebiet, auf dem die Edition der Texte aus Qasr Ibrim einen deutlichen Wissenszuwachs erbringt, ist das meroitische Zahlensystem. Der Fund eines Ostrakons, auf dem ein Verwaltungsbeamter, Händler, Lehrer oder Schüler die meroitischen Zahlen in ihrer dekadischen Abfolge niedergeschrieben hat, verspricht zu einem Schlüsselobjekt für die Fixierung dieses ältesten afrikanischen Zahlensystems zu werden. Noch sind die Untersuchungen zu diesem Ostrakon nicht abgeschlossen und seine wissenschaftliche Edition steht noch aus. Es zeigt sich aber schon jetzt, dass alle meroitischen Texte mit Zahlzeichen einer erneuten Revision unterzogen werden müssen. Nunmehr ein für alle Mal in ihrem mathematischen Wert fixiert, werden Zahlen künftig einen feststehenden Ausgangspunkt für die Untersuchung der meroitischen Lexeme bilden, in deren Kontext sie stehen. Darüber wird zum gegebenen Zeitpunkt auf dieser Internetseite berichtet.

 

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