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Neue Perspektiven dank Rollstuhlseminar

11/30/2016

In der Lehrerausbildung an der Universität Würzburg geht das Sportzentrum neue Wege: Gerd Herold ist der erste Querschnittsgelähmte mit einem Lehrauftrag in der Sportlehrerbildung. Er unterrichtet Rollstuhlbasketball. Seine Studierenden sind begeistert.

Die Teilnehmer der Lehrveranstaltung "Rollstuhlsport / Rollstuhlbasketball" am Sportzentrum der Uni Würzburg.
Die Teilnehmer der Lehrveranstaltung "Rollstuhlsport / Rollstuhlbasketball" am Sportzentrum der Uni Würzburg.

Nach langjähriger Erfahrung in der Ausbildung von Trainern widmet sich der Querschnittsgelähmte Gerd Herold im Wintersemester 2016/17 erstmals der Lehrerausbildung an der Julius-Maximilians-Universität (JMU). Gemeinsam mit Dozent Christoph Will lehrt er in der Veranstaltung "Rollstuhlsport / Rollstuhlbasketball", die Teil des "Freien Bereichs" der Lehrerbildung ist.

Olaf Hoos, Leiter des Sportzentrums, und Herold kennen sich vom "No-Limits!"-Sportfestival, welches das Sportzentrum gemeinsam mit der Thomas Lurz und Dieter Schneider Sportstiftung seit 2013 alle zwei Jahre organisiert: "Wir wissen aus zahlreichen internationalen Studien, dass der paralympische Sport großes Potential zur Vermittlung von Akzeptanz und Respekt von Unterschieden und Diversität in schulischen Settings besitzt. Das kann insbesondere dann genutzt werden, wenn ein gelungener Einbezug der spezifischen Expertise von Menschen mit Behinderung stattfindet", sagt Olaf Hoos und freut sich über das Zustandekommen des "Co-Teaching-Seminars".

Für Hindernisse und Herausforderungen im Alltag sensibilisieren

Der Sport steht beim 50 Jahre alten Herold, der auch die Rollstuhlbasketballer des VdR Würzburg trainiert, nur auf den ersten Blick im Mittelpunkt des Seminars. "Wichtig ist mir auch der Umgang mit dem Alltagsrollstuhl in unterschiedlichen Situationen des täglichen Lebens", sagt Herold und ergänzt: "Gerade in Zeiten der Inklusion hat man als Lehrkraft an Regelschulen ja auch mal Rollstuhlfahrer in seinen Klassen." Dass sich die Lebensrealität von Rollstuhlfahrern von der eigenen unterscheidet, erfuhren die 16 Studierenden am zweiten Termin des Blockseminars hautnah, nachdem beim ersten alle Grundfertigkeiten im Umgang mit dem Rollstuhl erlernt waren.

Für die Einheit "Alltagserfahrungen mit dem Rollstuhl" fuhren alle Teilnehmer zu Kursbeginn mit ihren Rollstühlen in die Stadt: natürlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Dann ging es unter anderem zum Bäcker und in verschiedene Geschäfte. "Die Menschen reagieren ganz anders auf einen", sagt Katharina, die Sonderpädagogik studiert. Beim Stadtbesuch hatte sie die Aufgabe, Brötchen einzukaufen. "Ich konnte nicht zahlen, da die Theke so hoch war — da kam der Bäcker extra nach vorne und hat mir das Geld abgenommen", sagt sie.

Ein weiterer kleiner Lerneffekt mit großer Wirkung: "Wenn sich ein Gesprächspartner zu einem runterkniet ist das angenehmer, als wenn man 'von oben herab' angesprochen wird", so die Studentin. Die Studierenden hätten ihrer Meinung nach Erfahrungen gemacht, die über mögliche Anforderungen im späteren Berufsleben heraus gingen.

Erfahrungslernen mit Spaßfaktor 

Kopfsteinpflaster, kleine Kanten und Stufen: "Die Hindernisse sind oft nur klein. Man muss sie jedoch erstmal als Nicht-Rollstuhlfahrer wahrnehmen und sich darauf einstellen", sagt Gerd Herold, der selbst seit 22 Jahren querschnittsgelähmt ist. "Dank Gerds langjährigen Erfahrungen mit dem Rollstuhl im Alltag und im Sport und dem erfahrungsbasierten Ansatz bekommen die Studierenden neue Bewegungsperspektiven aufgezeigt. Gleichzeitig erwerben sie Kompetenzen, die ihnen den inklusiven Umgang mit körperlicher Beeinträchtigung im Sportunterricht grundsätzlich leichter gelingen lässt", so Herolds Kollege und Ausbildungsleiter Basketball des Sportzentrums, Christoph Will.

Die Studierenden sind allesamt mit Feuereifer dabei: "Mir macht es unheimlich viel Spaß. Besonders wichtig ist mir, dass man den Spaß auch weitergibt. Und den Eindruck habe ich bei den Studierenden", sagt Gerd Herold. Insbesondere natürlich beim Kampf um den Ball: "Man merkt schnell, dass alles zwar etwas anders funktioniert als gewohnt, aber dennoch einen Riesenspaß macht", sagt Katharina, die einige Jahre regelmäßig Basketball gespielt hat. Es sei besonders anspruchsvoll, dass zum Vorwärtskommen und Vorbereiten der Würfe nur die oberen Extremitäten zur Verfügung stünden.

Lehr-Lernsituationen auch für die Regelschule

Auch die Frage, wie man Rollstuhlfahrer im Sportunterricht an einer Regelschule in einen Kurs integrieren kann, haben die Studierenden konkret behandelt. "Es gibt zahlreiche Bewegungsmöglichkeiten und Spielformen, die für alle gleichermaßen herausfordernd und spaßbetont sind und mit einem Standardrollstuhl im Sportunterricht umgesetzt werden können", erklärt Herold. "Man könnte beispielsweise auch einfach sagen, dass derjenige, der im Rollstuhl sitzt, die doppelte Punktzahl für einen Korb bekommt", sagt Student Michael. Christoph Will macht jedoch deutlich: "So einfach ist es natürlich nicht, aber es geht neben der spezifischen Fachdidaktik des Rollstuhlsports vor allem auch darum, dass die Studierenden grundsätzlich Distanz zum Thema Behinderung und Inklusion abbauen. Sie sollen sich eigene Gedanken zur Thematik machen und diese mit einschlägigen fachdidaktischen Konzepten abgleichen."

Neue Sportrollstühle als Spende von Stiftung und Sanitätshaus Scheder

So, wie die Studierenden ungewohnte Herausforderungen meistern müssen, sah sich auch Dozent Christoph Will zunächst mit besonderen Anforderungen in der Organisation konfrontiert. Die Uni verfügt nicht über genügend Sportrollstühle für alle Kursteilnehmer. Auch wenn das Orthopädiehaus Scheder die Uni mit zusätzlichen Leihstühlen unterstützt. Ein Basketballrollstuhl kostet mindestens 1.000 Euro, meist eher bis zu 3.000 Euro.

Nur durch das Engagement von Herold kamen genügend Stühle zusammen. "Für ein spezifisches Training braucht man mindestens zehn Rollstühle, die Mannschaften spielen fünf gegen fünf", erklärt Herold. "Alltagsrollstühle halten dauerhaft die vielen Zusammenstöße im Kampf um den Ball nicht aus. Zudem besteht die Gefahr, sich an den vielen Kanten zu verletzen." Christoph Will kann diesbezüglich Erfreuliches vermelden: "Durch eine großzügige Spende der Thomas Lurz und Dieter Schneider Sportstiftung in Kooperation mit dem Sanitätshaus Scheder können jetzt drei weitere Sportrollstühle für eine regelmäßige Nutzung in der Sportlehrerbildung an der JMU beschafft werden."

Als Ausblick fügt Hoos, der auch stellvertretender Beauftragter für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung ist, hinzu: "Das nächste No-Limits!-Spiel- und Sportfest am Sportzentrum der JMU wird im nächsten Jahr am 06. Mai stattfinden und am Vortag durch eine internationale Tagung zum Thema Inklusionssport ergänzt werden. Wir werden also das Thema konsequent in Lehre und Forschung weiterverfolgen."

Kontakt:

PD Dr. Olaf Hoos: olaf.hoos@uni-wuerzburg.de, Christoph Will: christoph.will@uni-wuerzburg.de

By Marco Bosch

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