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WueDive - Digitale Innovationen in der Lehre

The Music of our Neighbours: Ein praktischer Versuch in multimodaler Ethnomusikologie

Projektziel: Erstellung einer interaktiven Web-Dokumentation im Sinne einer multimodalen Ethnographie

Status: aktiv bis 05/2024

Vorhaben

In den letzten Jahren ist im Rahmen verschiedener Forschungs- und Lehrprojekte am Lehrstuhl eine beachtliche und äußerst vielfältige Sammlung an Datenmaterial in Form von Tonaufnahmen, Videos, Bildern, Zeichnungen und Texten entstanden. Was all dieses Datenmaterial gemein hat: es bildet die Vielfalt des regionalen Musiklebens und dessen Vernetztheit mit global zirkulierenden Musikpraktiken ab.  Was es leider auch gemein hat: es verschwindet in den Tiefen von Archiven, Büros und digitalen Ablageorten, wo es in Vergessenheit zu geraten droht und teilweise nur durch Zufall wiederentdeckt wird.

Der Zustand dieser Materialsammlung zeugt von der nach wie vor unangefochtenen Stellung von Schreiben und Text als dominante Wissenspraktik. Obgleich gerade in der Ethnomusikologie verschiedene Medien, wie Film- und Tonaufnahmen, schon immer eine wichtige Rolle in der Datenerhebung spielten, werden sie vorrangig als Hilfsmittel und Beiwerk verstanden und nach ihrer Auswertung abgelegt.

Die weitverbreitete Nutzung multimediale Technologien hat dazu beigetragen, dass die Vorherrschaft von Text als Wissensinstrument und damit verbundene Praktiken von Forschungsdatenmanagement verstärkt reflektiert wird. In diesem Kontext formiert sich seit einiger Zeit die multimodale Anthropologie, deren Vertreter:innen dafür plädieren, nicht-textbasierte Medien als eigenständige Wege der Wissensproduktion anzuerkennen und deren Potential zu einer Dekolonialisierung von Wissenspraktiken zu erkunden.

Basierend auf diesen aktuellen Ansätzen wird im Rahmen des Teilprojekts eine interaktive Web-Dokumentation im Sinne einer multimodalen – also einer „mehr-als-Text“ – Ethnographie erstellt. Indem Studierende die am Lehrstuhl vorhandene Materialsammlung zur Erstellung einer interaktiven Multimediadokumentation mit dem Arbeitstitel „The Music of our Neighbours“ auswerten und aufbereiten, werden sie

  1. selbst praktisch angewandt eine multimodale Ethnographie anfertigen,
  2. sich hierbei kritisch mit den in das Datenmaterial eingeschriebenen Forschungs- und Erkenntnisprozessen auseinandersetzen und
  3. Herausforderungen und Potentiale einer digitalen und vernetzen Welt in Bezug auf Formen der Wissensproduktion praktisch erkunden und reflektieren. Die Studierenden testen, wie alternative Formen der Wissensproduktion aussehen können und welche Möglichkeiten digitale und multimediale Methoden bieten, um ethnomusikologische Forschungspraktiken neu zu denken.

Die Dokumentation wird im Scrollytellingformat erstellt, da dieses Format sich sehr gut dafür eignet, disparate Materialsammlungen transmedial und multiperspektivisch zu einer interaktiven Erzählung zu verknüpfen. Die modulare Erzählstruktur des Scrollytellings gibt den Websitebesucher:innen dir Möglichkeit selbst zu entscheiden, wie sie sich durch die Dokumentation bewegen und in welcher Reihenfolge sie sich mit den Themen auseinandersetzen wollen. Hierdurch regt das Format die Verfasser:innen dazu an, ihre eigene Rolle als Autor:innen und die damit verbundene Deutungshoheit zu reflektieren. Die Struktur ist offen angelegt und lässt Raum für Ergänzungen und Änderungen. So wird die Arbeit am Lehrstuhl Ethnomusikologie als offener und dialogisch ausgerichteter Prozess der Wissensproduktion verstanden.

Die Dokumentation wird im Rahmen eines Seminars und basierend auf der Methode des forschenden und kreativen Lernens umgesetzt. Die Erstellung wird als eigenständiger Forschungsprozess begriffen, in dem die Studierenden ergebnisoffen anhand der Bearbeitung der vorliegenden Materialsammlung und der Erarbeitung eines größeren Narrativs, selbstreflexiv Praktiken der Wissensproduktion erforschen. Hierdurch sollen die Studierenden aktiv dazu angeregt werden, über bestehende Wissenspraktiken nachzudenken und Neugierde für innovative Ansätze zu entwickeln, die außerhalb des Standardrepertoires des wissenschaftlichen Methodenkastens liegen.

Mithilfe von moderierten Social-Media-Kanälen und Kollaborationsplattformen wie Miro wird den Studierenden direkte Diskussion und Austausch auch jenseits der Seminarsitzungen und begleitend zum fortlaufenden Forschungsprozess ermöglicht. Gleichzeitig wird der Lern- und Forschungsprozess mithilfe kleiner medienpraktischer Aufgaben dokumentiert - z.B. durch Videotagebücher, Sketch-Notes und Audiobeiträge. Dies dient nicht nur als Erinnerungsstütze und erlaubt es den Studierenden später nochmal auf Lernerfahrung zuzugreifen, sondern ermöglicht, selbst verschiedene Medienformate zu testen und ggf. hieraus Beiträge zu dem reflektiven Modul der Dokumentation gestalten, der den Forschungsprozess im Zusammenhang mit der Dokumentationserstellung transparent abbilden soll.

Der modulare Aufbau ermöglicht es, die Dokumentation basierend auf dem Feedback von Nutzer:innen sowie im Kontext zukünftiger Forschungs- und Lehrprojekte fortwährend weiterzuentwickeln: neue Themenblöcke können hinzugefügt, bestehende Blöcke erweitert oder überarbeitet werden. Hierdurch wird garantiert, dass die Dokumentation für viele Jahre als digitale Lernplattform relevant bleibt und zugleich fortwährend in Lehre und Forschung als nachhaltig eingebunden bleibt.

Ein weiteres Ziel ist es, mit dem Projekt an der Institutionalisierung der multimodalen Anthropologie einerseits an deutschen Universitäten und andererseits international im Bereich der Ethnomusikologie beizutragen.

Mit dem Seminar sind fortgeschrittene Studierende der Ethnomusikologie, der Musikwissenschaft und der Musikpädagogik sowie Studierenden von kultur-, sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, die sich kritisch mit Wissens- und Repräsentationspraktiken auseinandersetzen, angesprochen. Dazu gehören z.B. Museum Studies, Europäische Ethnologie/Empirische Kulturwissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie, Angewandte Humangeographie, Bildungswissenschaft oder Digital Humanities.

Collins, S. G., Durington, M. & Gill, H. (2017). Multimodality: An Invitation. American Anthropologist, 119 (1), S. 142-46. http://dx.doi.org/10.1111/aman.12826 

Criado, T. S., Farías, I. & Schröder, J. V. (2022). Multimodale Werte: Zur Institutionalisierung mehr-als-textueller Ethnographie. In Kölz, I. & Fenske, M. (Hrsg.), Lebenswelten gestalten: Neue Felder & Forschungszugänge einer Designanthropologie. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 27-43.

Westmoreland, M. R. (2022). Multimodality: Reshaping Anthropology. Annu. Rev. Anthropol., 51 (1), S. 173-94. http://dx.doi.org/10.1146/annurev-anthro-121319-071409 

Es wird zunächst mit dem kostenpflichtigen Tool „Pageflow“ gearbeitet, da dieses Tool ästhetisch ansprechende Scrollytelling-Dokumentation ermöglicht, die niedrigschwellig (no-code) und kurzfristig umzusetzen ist. Parallel hierzu wird im Rahmen des Projekts nach kostenfreien niedrigschwelligen Umsetzungstools für Scrollytellingformate im Sinne einer in-house Lösung an der Universität gesucht.