Intern
Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz

Wer hat Angst vor Gender Gaga? Postkulturalismus, Gender Studies und Postcolonial Studies, ihre Bedeutung für die Europäische Ethnologie und die Kontroversen um Sinn und Unsinn dieser Denkweisen

Datum: 19.04.2024, 14:00 - 19:00 Uhr
Kategorie: Feminismus & Gender, Zertifikat Interkulturelle Kompetenz, C, D, Seminar
Ort: Hubland Süd, Geb. PH1 (Philosophiegebäude), Übungsraum 13
Veranstalter: Europäische Ethnologie/Volkskunde // Fachbereich: Europäische Ethnologie/Volkskunde
Vortragende:r: Dr. Peter Hörz

Im Jahr 2021 wurde der Buchmarkt um zwei Neuerscheinungen bereichert die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch Etliches gemeinsam haben: Beide kamen ›von links‹. Beide gelangten auf Bestsellerlisten. Beide erhitzten Gemüter. Und beide Bücher ›leben‹ von ihrer Bezugnahme auf spätmoderne Debatten über Hautfarbe, Rassismus, Gender und Sexualitäten. Doch während in Mithu M. Sanyals Roman »Identitti« fiktive Charaktere – überwiegend sexuell emanzipierte weibliche People of Color im Umfeld eines MA-Studiengangs Postcolonial Studies – ebenso leidenschaftlich wie fundiert darüber streiten, wer oder was eine Person of Color sein könne und nebenbei Einblicke in die Alltagskultur eines Intellektuellenmilieus vermitteln, geißelt die deutsche Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht in ihrem Politbuch »Die Selbstgerechten« derlei Milieus und kritisiert die Identitätspolitik »skurriler Minderheiten, die ihre Identität in [...] irgendeiner Marotte« fänden. Und ganz als wäre dies nicht genug wischt Wagenknecht die Ideen des Poststrukturalismus mit lässiger Geste vom Tisch und wirft dieser Denkrichtung und den aus ihr gespeisten Gender Studies vor, den Weg ins postfaktische Zeitalter geebnet zu haben!
Beifall erhielten beide Autorinnen: Sanyal vom (links)liberalen Feuilleton, Wagenknecht von einigen liberalen und linken Blättern und: vom ›rechten Rand‹. Dass dieser in sich heterogene ›rechte Rand‹ linken Positionsbestimmungen gelegentlich Beifall zollt, ist nicht neu (man denke an die ›Querfront‹-Debatten). Auch die ›rechte‹ Zustimmung zu einem ›linken‹ Buch, das den Poststrukturalismus lächerlich macht, überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass die Dekonstruktion von ›Volk‹, ›Nation‹ oder ›Kultur‹ rechte Gedankengebäude schnell ins Wanken bringt. Und weil die Gender Studies obendrein die als natürlich gedachte Ordnung der Geschlechter und Sexualitäten als kultürlich entlarven, provozieren sie, mehr als andere akademische Disziplinen, Unverständnis Hass und Spott. Allerdings nicht nur in der ›rechten‹ Ecke, sondern auch bei christlichen Gruppen, transmisogynen Feministinnen (TERFs) und ›Normalbürger*innen‹, die mit den intellektuellen Abenteuerreisen der Gender Studies nichts anfangen können. Am Ende eint diese Gruppen die ›Erkenntnis‹: »Gender Gaga« ist überflüssiger Unsinn, gesellschaftszerstörerisch und keinen Cent öffentlicher Mittel wert. Beinahe überflüssig zu erwähnen: Wo die vorherrschende Windrichtung von rechts kommt, wird Gender Studies die Grundlage entzogen – etwa in Russland oder Ungarn. Wenn aber ›Gender‹ nur ›gaga‹ ist, weshalb der Druck auf ein winziges Fach? Weshalb die Aufregung um Wissenschaftler*innen, die doch nur leicht durchschaubaren Nonsens produzieren? Weshalb der Hass auf ›Gender‹? Hat hier vielleicht jemand Angst? Und, wenn ja, wovor?
Die Europäische Ethnologie steht bei diesen Kontroversen nicht im Auge des Orkans – aber nur knapp daneben. Nicht nur weil das Fach eine bald 40jährige Tradition der Frauen- und Geschlechterforschung aufzuweisen hat, sondern auch weil es gerne Anleihen bei Theorien und Denkstilen von Gender Studies und Poststrukturalismus nimmt. Und nicht nur das: Wiederholt sind Vertreter:innen des Fachs, ihrer Themenwahl und ihrer Bezugnahme auf Gendertheorien wegen, zu Zielscheiben politischer Angriffe geworden. Grund genug, Poststrukturalismus, Gendertheorie und Gender Studies aus euro-ethnologischer Perspektive näher zu betrachten, ihre Bedeutung für das Fach zu erschließen, ihre gesellschaftspolitische Relevanz zu diskutieren und zu fragen, wer aus welchen Motivlagen heraus Gender Studies bejubelt, zurückweist, verächtlich oder lächerlich macht.
 

Anmeldung und weitere Informationen über WueStudy.

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