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Zentrum für Geschichte der Psychologie

Dem Denken auf der Spur

09.12.2021

Seit 125 Jahren existiert das Institut für Psychologie der Universität Würzburg. Bereits kurz nach seiner Gründung im Jahr 1896 brachte es eine weltbekannte Schule hervor: die Würzburger Schule der Denkpsychologie.

Irgendwann im Jahr 1900: Konzentriert sitzt Oswald Külpe (1862-1915), Inhaber der Würzburger Professur für Philosophie einschließlich der Ästhetik, als Versuchsperson im ersten Stockwerk oberhalb der Bibliothek in der Alten Universität. Külpe hatte die Räume seit dem Wintersemester 1896 für Forschungszwecke und für seine Lehre in der Psychologie zunächst widerruflich überlassen bekommen, nachdem ihre vorherigen Nutzer in den Neubau am Sanderring umgezogen waren.

Sein engster und einziger Mitarbeiter Karl Marbe (1869-1953) ist der Versuchsleiter. Gemeinsam arbeiten sie mit der neu konzipierten Methode der kontrollierten systematischen Introspektion daran, dem Denken seine Geheimnisse zu entlocken. Schnell wächst das Duo um interessierte Studenten und ausländische Gastwissenschaftler an. Eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten entstehen und berichten über neue Entdeckungen über das Denken in seinen vielfältigen Facetten. Bald ist man sich sicher, dass so manche gängige Lehrmeinung und besonders die damals weit verbreitete Assoziationspsychologie zumindest in Teilen unzureichend ist.

Das Denken – so Külpe und Marbe – ist zwar manchmal anschaulich, viel häufiger jedoch unanschaulich, ein oft nur schwer verbal zu beschreibender Prozess, dem man den Begriff „Bewusstseinslagen“ gab. Diese können aber durchaus von Gefühlen der Anspannung, ja gar der Erregung begleitet sein, um sich schließlich durch eine plötzliche Einsicht in einen Zusammenhang, in eine Erkenntnis oder in eine Problemlösung, in einem befreienden "Aha-Erlebnis" zu entladen.

Das Aha-Erlebnis – eine Entdeckung der Würzburger Denkpsychologie

Ja, tatsächlich, das „Aha-Erlebnis“ wurde in Würzburg entdeckt – und zwar von Karl Bühler (1879-1963), einem bekannten Mitstreiter der Würzburger Schule, der dieses jedermann bekannte Phänomen 1908 im Rahmen seiner Habilitationsschrift publizierte. Gleichermaßen wie die „Röntgenstrahlen“ trat der Begriff einen Siegeszug um die Welt an, und genauso wie bei Röntgen wissen die meisten nicht, dass die Universität Würzburg der Geburtsort war.

Wie nur zu oft standen die neuen Erkenntnisse bald in einem heftigen und öffentlich ausgetragenen Konflikt mit den althergebrachten. Kein geringer als der Urvater der Psychologie, Wilhelm Wundt (1832-1920), attackierte die Schüler seines einstigen und langjährigen Assistenten Oswald Külpe aufs Heftigste. Wundt hatte dabei wohl nicht bedacht, dass er damit die Würzburger Schule erst so richtig bekanntmachte.

Durch diese wissenschaftlichen Erfolge wurde Oswald Külpe, seit 1894 an der Alma Julia tätig, zu einem begehrten Berufungskandidaten. Bereits 1903 versuchte ihn die Universität Stanford in Kalifornien abzuwerben, und 1904 folgte die Universität Münster mit einem Ruf. Beide konnten noch abgewehrt und Külpe zum Bleiben bewegt werden. 1909 wurde dann das Werben der Universität Bonn zu intensiv, und Külpe verließ Würzburg, um sowohl in Bonn und nachfolgend auch an der Münchner Universität weitere psychologische Institute zu begründen.

Das Institut in einem Vierteljahrhundert unter Karl Marbe

Für die dadurch frei gewordene Professur wünschte sich die Fakultät Karl Marbe nach Würzburg zurück, der zwischenzeitlich an die Hochschule für Handels- und Sozialwissenschaften, den Vorgänger der 1914 gegründeten Universität Frankfurt, berufen worden war. Der Ruf gelang, und Marbe war von 1909 bis 1935 als Ordinarius für Psychologie tätig. Sicher führte er das Institut durch die ausgehende Kaiserzeit, den Ersten Weltkrieg, durch die Wirtschaftskrisen der Weimarer Republik bis in das Dritte Reich.

Obwohl er noch nicht die damalige Altersgrenze von 68 Jahren erreicht hatte, wurde ihm ein neues „Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens“ vom 21. Januar 1935 zum Verhängnis. Dieses erlaubte es, unliebsam gewordene Professoren vorzeitig aus dem Amt zu entfernen. Marbe war unliebsam geworden, nicht nur, weil seine Frau jüdischer Herkunft war und er die Scheidung verweigerte, sondern auch, weil er sich erdreistete, noch 1935 den Juden und späteren Rabbiner Leo Trepp die Promotionsprüfung abzunehmen.

Psychologische Erklärung der NS-Verführungsmechanismen

Die Forschungsleistungen des von Marbe geleiteten Instituts waren beachtlich und außerordentlich vielfältig. Neben zahlreichen Arbeiten zur Angewandten Psychologie, der damaligen Psychotechnik, sticht sein großes, zweibändiges Werk über die Gleichförmigkeit in der Welt (1916, 1919) hervor, aus dem er zwischen 1943 und 1945 im Geheimen eine kleine Schrift zur psychologischen Erklärung der Verführungsmechanismen der Nationalsozialisten ableitete. Hätte eine bösartige Denunziation zu ihrer Entdeckung geführt, wäre es vermutlich um das Ehepaar Marbe geschehen gewesen.

Standhaft ertrugen die beiden die Anfeindungen der NS-Zeit, wobei Marbe zustattenkam, dass er sich in juristischen Kreisen als einer der ersten psychologischen Rechtsgutachter hohes Ansehen erworben hatte. Im Angesicht des Todes überstand das Ehepaar Marbe auch die verheerende Bombennacht am 16. März 1945, die Würzburg beinahe auslöschte.

Der eher unscheinbare Carl Jesinghaus in der NS-Zeit

Auf Marbe folgte 1935 der von der NSDAP Reichsleitung in Berlin gegen jegliche Voten der Fakultät eingesetzte Carl Jesinghaus (1886-1948). Er hatte vor seiner Rückkehr nach Deutschland eine Professur in Argentinien inne, war ein am Wundtschen Institut in Leipzig ausgebildeter Experimentalpsychologe und damit selbst Marbe lieber, als wenn ein Philosoph wieder die für die Psychologie errungene Professur bekäme.

Jesinghaus war wenig auffällig, publizierte kaum und wenn, dann in Spanisch. 1938 gelang es ihm, das Institut aus der Alten Universität in die Klinik Straße 8 zu verlegen und es damit zu erweitern und zu modernisieren. Auch die mit Kriegsbeginn oft angeordnete Schließung vieler Institute konnte er für die Psychologie verhindern, und so gingen Forschung und Lehre unter den zunehmend schwieriger werdenden Bedingungen des Krieges weiter. Am späten Abend des 16. März 1945 war damit Schluss. Das Institut brannte im Phosphorhagel bis auf die Grundmauern nieder.

Wie Phönix aus der Asche

Bereits im Frühjahr 1946 suchte man nach einer Neubesetzung des Instituts für Psychologie. Der Dresdener Psychologe Gustav Kafka (1883-1953) war im Gespräch. Kafka war 1933 aus Protest aus der Deutschen Gesellschaft für Psychologie ausgetreten, als diese vorauseilend die jüdischen Mitglieder ausschloss. Mit Hilfe eines befreundeten Arztes soll es ihm gelungen sein, eine schwerwiegende Erkrankung so überzeugend vorzutäuschen, dass er noch in jungen Jahren bei Erhalt der Bezüge in den Ruhestand versetzt wurde. Kafka entzog sich so dem NS-Regime und wartete auf dessen Ende, das er trotz Brandverletzungen in den Dresdner Bombennächten mit viel Glück noch erleben durfte.

Als er nach Würzburg kam, soll er nur eine Hose besessen haben. Studenten nähten ihm eine alte Militärhose um und schenken sie ihm anonym, wohlwissend, dass er ansonsten zu zurückhaltend und bescheiden gewesen wäre, um sie anzunehmen.

In einem Kellerraum am Sanderring 2 stand das Institut für Psychologie unter Kafka wieder auf und nicht nur das: Kafka gelang es auch, die Deutsche Gesellschaft für Psychologie im amerikanischen Sektor neu zu begründen. Von 1951 bis kurz zu seinem Tod 1953 wurde er ihr Präsident. Durch Gustav Kafka erhielt das Institut für Psychologie wieder Rang und Namen.

Wilhelm Arnold legte den Grundstein für eine langanhaltende Ausbauphase

Auf Kafka sollte Wilhelm Arnold (1911-1983) folgen. Arnold war hauptamtlich als Psychologe in höherer Position bei der Anstalt für Arbeitsvermittlung in Nürnberg tätig, bevor er den Ruf nach Würzburg annahm. Auch hier hat die Politik kräftig mitgemischt, denn Arnold war nicht der Wunschkandidat der Fakultät, aber Gründungsmitglied der CSU in Nordbayern. Die so düpierte Universität grollte jedoch nicht lange mit dem Ministerium, denn Arnold setzte den Auf- und Ausbau des Instituts für Psychologie sehr erfolgreich fort.

Bereits 1956 konnte in der Domerschulstraße 13 ein neues Domizil für die Psychologie eingeweiht werden. Es war damals eines der am besten ausgestatteten Institute für Psychologie und dies nicht zuletzt, weil es Arnold über seine Kontakte in die Wirtschaft gelungen war, lukrative Forschungsaufträge an Land zu ziehen. Selbst eine Außenstelle hatte das Institut in dem zwischen Rom und Neapel gelegenen Sezze. Hier wurden unter Leitung von Dr. Hermann Forster sprachvergleichende und völkerpsychologische Forschungen betrieben. Das hatte einen durchaus pragmatischen zeitgeschichtlichen Hintergrund, denn Prof. Arnold war an der Entwicklung von Auswahlverfahren für italienische Gastarbeiter interessiert.

Arnold war von seiner Art her eher ein gewiefter Wissenschaftspolitiker als ein in sich versunkener, tiefsinniger Grundlagenforscher. Konsequenterweise wurde er von 1964 bis 1966 als erster Psychologe Rektor der Alma Julia. Er nutzte diese Möglichkeiten und initiierte mit der Einrichtung einer zweiten Professur die bis heute anhaltende Ausbauphase der Psychologie.

Zahlreiche neue Lehrstühle

Bereits 1966 wurde Ludwig Pongratz (1915-1995) auf den Lehrstuhl II berufen und vertrat fortan unter anderem die Klinische Psychologie. 1975 folgte die Einrichtung des Lehrstuhl III für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre unter der Leitung von Otto Heller (1925-2012). 1977 schließlich wurde noch die mit Heinz Alfred Müller (1930-1990) besetzte Professur für Pädagogische Psychologie von der Pädagogischen Hochschule Würzburg nach deren Auflösung als Lehrstuhl IV in das Institut für Psychologie integriert.

Mit den Jahren kamen an den Lehrstühlen weitere Professuren hinzu, und das sich drehende Karussell der Berufungen ließ auf Wilhelm Arnold Wilhelm Janke (1933-2011) folgen, auf Heinz Alfred Müller Wolfgang Schneider, auf Otto Heller Joachim Hoffmann, auf Ludwig Pongratz über Barbara Zoeke schließlich Fritz Strack. Auch diese befinden sich inzwischen alle im Ruhestand, und eine neue Generation von Psychologinnen und Psychologen folgte ihnen nach. Dem Institut gelang es dabei bis heute, herausragende Forscherinnen und Forscher zu gewinnen und so seit der Külpe-Ära fast kontinuierlich ein international hoch renommiertes, innovatives und forschungsstarkes Institut zu bleiben.

Ein pandemiebedingter Online-Festakt

Anlass genug, die inzwischen 125-jährige Geschichte in einem Online-Festakt zusammen mit vielen ehemaligen und gegenwärtigen Mitarbeitenden des Instituts für Psychologie zu feiern. Zu den Rednern des Festaktes gehörten der ebenfalls aus der Psychologie stammende Präsident der Universität Würzburg, Paul Pauli, der einst in Würzburg Psychologie studierende und aktuell amtierende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Professor Markus Bühner, der ebenfalls dem Institut für Psychologie angehörige Dekan der Humanwissenschaftlichen Fakultät Professor Johannes Hewig und der geschäftsführende Direktor des Instituts für Psychologie, Professor Wilfried Kunde.

Während des Festakts wurde auch die vom Zentrum für Geschichte der Psychologie unter Leitung von Professor Armin Stock vorbereitete Online-Ausstellung: „Facetten aus der 125jährigen Geschichte des Instituts für Psychologie“ eröffnet. Sie kann ab sofort unter folgendem Link besucht werden:

Facetten aus der Geschichte des Instituts für Psychologie

 

 

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