Jura

Vage bleibt hier gar nichts
Studentische Tutoren trainieren mit Studienanfängern den typischen „Gutachtenstil"

Das harmlose Wörtchen „weil“ ist tabu. Dabei liegt es auf der Zunge. „A hat sich der Körperverletzung strafbar gemacht, weil er B schlug.“ Niemals darf ein juristischer Sachverhalt mit einem solchen Satz aufgedröselt werden. „Die Juristen wenden den „Gutachtenstil“ an, der zunächst befremdlich wirkt“, sagt Andreas Schmittknecht, Koordinator des Tutoren- und Mentorenprogramms „Kompass“ für Jurastudierende. Bald erschließt sich aber die Logik des Gutachtenstils, mit dem man jeden noch so komplexen Fall juristisch sauber prüfen kann. Diesen zu beherrschen, ist ungemein wichtig, um Klausuren oder das Staatsexamen zu bestehen. Daher kreierte eine Gruppe von Studierenden vor einem Jahr ein neues Angebot innerhalb des breit gefächerten Uni-Programms „Kompass“. Seitdem können Jurastudierende der ersten beiden Semester diesen besonderen Stil mit ausgebildeten studentischen Schreibtutoren vertiefen. Im Wintersemester finden die Einführungsveranstaltungen und Workshops bereits zum vierten Mal statt.


In vier Schritten zum Gutachtenstil

Katharina Kühr und Richard Schmidt studieren im zehnten Semester Jura und engagieren sich seit ihrer Zwischenprüfung als Tutoren. „Als ich zu studieren begonnen habe, gab es so etwas noch nicht“, sagt die aus Hessen stammende Katharina. Auch sie hätte sich über dieses Angebot gefreut, denn man muss viel üben, wie man als Juristin spricht und schreibt. Grob kann der Gutachtenstil in vier Schritte unterteilt werden. Auf den Obersatz folgt eine Definition, daran schließen sich die sogenannte Subsumtion und die Conclusio an.


Erstsemester müssen lernen, radikal umzudenken, wenn sie in ihr Studium einsteigen, erklärt Andreas am Beispiel des Sachverhalts: „A schlug B.“ Für Juristen ist es unzulässig, A bereits im Obersatz zu beschuldigen. Darin würde sich eine voreingenommene Haltung ausdrücken: „Doch wir Juristen sind zunächst neutral.“ Liegt gegen A eine Strafanzeige vor, würde der Obersatz zum Beispiel so lauten: „Zu prüfen gilt es, ob sich A wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB zum Nachteil von B strafbar gemacht hat.“ Alternativ könnte die Wendung: „Fraglich ist, ob...“ oder „Zu untersuchen ist, ob...“ gewählt werden.

Ebnen Studienanfängern den Weg durchs Studium (von links): Andreas Schmittknecht, Katharina Kühr und Richard Schmid

Nichts darf in der Jura-Klausur vage bleiben, alles muss präzise dargelegt werden. Aus diesem Grund gilt es im zweiten Schritt zu definieren, was juristisch gesehen eine „Körperverletzung“ ist. Manchmal lassen sich die benötigten Definitionen einem Gesetzestext entnehmen. Gerade im Strafrecht ist es häufig notwendig, Begriffsdefinitionen auswendig zu lernen und wortgenau wiederzugeben, um einen Rechtsbegriff zu erläutern. Ist dies geschehen, wird in der Subsumtion geprüft, ob die Bedingungen, die aus der Definition hervorgehen, erfüllt sind: Hat sich A tatsächlich der Körperverletzung schuldig gemacht? Das Ergebnis wird in der sogenannten Conclusio festgehalten.


Alle Jura-Professorinnen und -Professoren haben in ihren Vorlesungen ein enormes Quantum an Stoff abzuarbeiten, erklärt Andreas: „Deshalb können sie nicht immer im Detail auf den Gutachtenstil eingehen.“ Wie dieser Stil auch auf extrem komplizierte Fälle anzuwenden ist, will sehr gut geübt sein. Dass es nun Workshops gibt, in denen der „Viererschritt“ des Gutachtenstils mit allen Facetten erklärt wird, bedeutet eine erhebliche Erleichterung beim Einstieg ins Studium.


Eine neue Sicht auf die Welt

Jura zu studieren heißt zweifellos, viel arbeiten zu müssen, wobei sich Anstrengung und Spaß laut Andreas, Katharina und Richard mindestens die Waage halten. Hat man die ersten Semester hinter sich, beginnt man, die Welt durch eine ganz neue Brille zu sehen, sagt Richard. Schließlich ist alles im Leben von Juristischem durchzogen, es gibt keinen Lebensbereich, der nicht auf irgendeine Art und Weise geregelt wäre. „Alleine an einer Würstchenbude gehen mir drei verschiedene juristische Tatbestände durch den Kopf“, schmunzelt der 26-Jährige aus Hardheim.

Das Staatsexamen will Richard im nächsten Semester gut bestehen, weil er hoch motiviert ist, später im Beruf Gesetzen zu ihrem Recht zu verhelfen. Vielleicht als Anwalt mit eigener Kanzlei. Oder auch als Richter.


Text: Pat Christ; Fotos: Pat Christ, Getty Images

Jura

Nach dem ersten juristischen Staatsexamen folgen zwei Jahre Referendariat. In dieser Zeit erhalten die Studierenden Einblick in die praktische Arbeit von Juristen. Danach schließt sich das Zweite Staatsexamen an. Das macht den Weg frei zu den Berufen Richter, Anwalt oder Notar. Auch in der freien Wirtschaft oder Behörden haben Juristen gute Berufsaussichten, z. B. in Rechts- oder Personalabteilungen: Mehr Infos gibt es HIER