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Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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BLICK
Ausgabe 1 - 2009

THEMA

Leidenschaftlicher Sammler und Beobachter

Die „Eleganz der Gräser“, die „Neuheit der parasitischen Pflanzen“, besonders auch „die allgemeine Üppigkeit der Vegetation“ im brasilianischen Regenwald erfüllen den jungen Charles Darwin mit großer Bewunderung. Die Schönheit der göttlichen Schöpfung berauscht ihn. Noch teilt der junge Forschungsreisende auf dem Vermessungsschiff MS Beagle die Überzeugung seiner Zeit, dass Arten konstant bleiben, sich nicht verändern. Aber die Vielfalt und Schönheit, denen er auf seiner fünfjährigen Weltreise begegnet, drängen ihm Fragen auf, die ihn nicht mehr loslassen. Wozu all die Fülle? „Warum so viel Schönheit, geschaffen zu so geringem Zweck!“ Und er wundert sich über „Natur und Nutzen“ des „wunderschönen karmesinroten faserigen Stoffs“, den ein Igelfisch durch die Haut am Bauch absondert. Die Schildkröten und die Finken, die er auf den Galápagos-Inseln vorgefunden hat, legen bereits die gedankliche Spur zu seiner späteren Evolutionstheorie. Allerdings weiß er diese noch nicht zu lesen.

Fossilien als Großversionen lebender Arten

1836 wieder zurück in England, suchte er systematisch Antworten auf seine Fragen. Zunächst halfen ihm Fachleute wie der Fossilienspezialist Richard Owen, die Fakten zu sortieren. Schon wenige Wochen nach der Rückkehr der Beagle erhielt er von diesem die Auskunft, dass es sich bei den fossilen Überresten der südamerikanischen Säugetiere, die Darwin ihm ausgehändigt hatte, „um ein Nagetier von der Größe eines Nilpferds“ und einen „Ameisenbär von der Größe eines Pferdes“ handelte. Darwin war begeistert. Denn die Tiere, die er ans Tageslicht befördert hatte, erschienen wie die Großversionen von Faultier, Gürteltier und Ameisenbär – also von Tieren, die auf dem mittel- und süd­amerikanischen Kontinent immer noch heimisch waren.

Galápagosfinken geben den entscheidenden Anstoß

Noch bemerkenswerter aber war, was der Ornithologe John Gould ihm über die mitgebrachten Galápagosfinken mitzuteilen hatte. Darwin hatte Gould am 6. März 1837 in der Zoological Society getroffen. Nach dessen Taxation handelte es sich bei den Tieren, die Darwin im Vorfeld als Finken, Amseln, Grasmücken und Zaunkönige klassifiziert hatte, um nicht weniger als 13 verschiedene Arten von Galápagosfinken. Mit diesem Wissen, so scheint es, konnten sich nun bereits vorher erwogene Gedanken Bahn brechen. Seine Mitschrift der Zusammenkunft führt 13 Arten von Galápagosfinken auf, und 13 Enden zählt auch Darwins berühmte Zeichnung vom Baum des Lebens in seinem „Notebook B“. Überschrieben mit „I think“, zeigt das Diagramm vom Sommer 1837, wie sich eine Art in 13 neue aufspaltet – also genau so viele, wie die Gattung der Galápagosfinken nach Darwins Kenntnisstand beinhaltete.

Abschied von der Theorie der Konstanz der Arten

Spätestens zu diesem Zeitpunkt also hat sich Darwin von der Theorie verabschiedet, dass Arten konstant bleiben. „Modern ausgedrückt würden wir sagen: Darwin hat anerkannt, dass Leben sich entwickelt“, formuliert John van Wyhe. Der englische Wissenschaftshistoriker ist Gründer und Direktor von Darwin Online, der größten wissenschaftlichen Datenbank zu Charles Darwin und seinem Werk.

Aber wie verändern sich lebende Formen über die Zeit? Arbeiten unter anderem von Charles Lyell, Jean-Baptiste Lamarck und Thomas Malthus haben Darwins Überlegungen vorbereitet. In seinen „Principles of Geology“ zeigte Charles Lyell, der Geologe und spätere Förderer Darwins, auf, wie kleine, langsame, graduelle und kumulative Veränderungen über immens lange Zeitspannen große Veränderungen bewirken können. Der junge Forschungsreisende hatte das Buch während der Fahrt auf der Beagle sehr intensiv gelesen. Verdienst des französischen Botanikers und Zoologen Lamarck dürfte vor allem sein, Darwin grundsätzlich mit einem Evolutionsmodell konfrontiert zu haben. Bei Thomas Malthus‘ „Essay on the Principles of Population“ inspirierte ihn vor allem die Beobachtung, dass ein großer Teil der Population einer Art stirbt, bevor sie sich vermehren kann.

„Warum so viel Schönheit, geschaffen zu so geringem Zweck!“

„Darwin, der nun schon der Frage nachging, wie neue Varietäten geformt werden, erkannte plötzlich, dass der Schlüssel dazu im Unterschied zwischen denen lag, die überleben und sich vermehren und denjenigen, denen dies nicht gelingt“, erklärt Darwinspezialist John van der Wyhe. Darwin selbst schreibt dazu in seiner Autobiographie: „Plötzlich hat mich dann die Einsicht überkommen, dass unter diesen Umständen günstige Variationen voraussichtlich bewahrt werden und ungünstige zerstört würden“. Mit der Erkenntnis also, dass im wiederkehrenden Existenzkampf diejenigen überleben und sich fortpflanzen, die sich durch vielleicht noch so kleine Veränderungen am besten an ihr Umfeld angepasst haben, ist das zweite Element von Darwins Evolutionstheorie gefunden, die „natürliche Selektion“.

15 Jahre vom Entwurf zur Veröffentlichung

1842 brachte er den ersten Entwurf seiner Theorie – 35 Seiten lang – zu Papier. 1844 baute er ihn auf 240 Seiten aus. Das zweite Manuskript hatte er seiner Frau übergeben, um es – im Fall seines plötzlichen Todes – zu publizieren. Doch es sollte noch fünfzehn Jahre dauern, bis Darwin seine Evolutionstheorie veröffentlichte. Darwin sei vor den weltanschaulichen und religiösen Folgen seiner Theorie zurückgeschreckt, haben manche Forscher als Ursache dafür ausgemacht. Für wahrscheinlicher jedoch hält John van Wyhe, dass es wissenschaftliche Skrupel waren, die ihn vor einer voreiligen Veröffentlichung abhielten. Die Skizze vom Baum des Lebens, die er 1837 angefertigt hatte, wollte er solide mit Fakten untermauern.

1842 kehrt er – mittlerweile verheiratet – dem schmutzigen viktorianischen London den Rücken und zieht mit seiner Familie nach Downe, eine kleine Ortschaft in der Grafschaft Kent – „am extremen Rand der Welt“, wie er selbst sagt. In der Zurückgezogenheit seines Landhauses mit dem großen Garten, den dazugehörigen Wiesen und Feldern, will er sein Theorieprojekt voranbringen. In seinem Haus in Downe, das heute als englisches Kulturerbe zu besichtigen ist, wertet er akribisch die Proben und Aufzeichnungen aus, die er von seiner Reise mitgebracht hat. Und er führt unzählige Experimente durch, um seine Evolutionstheorie zu bestätigen:

Experimente im heimischen Garten

In Suppentellern auf Tischen und Fensterbänken legt er Samen von Sellerie, Kresse, Kohl und Pfefferpflanze aber auch Schlangeneier in Salzwasser ein. So will er klären, wie es möglich ist, dass Arten sich über weite Strecken und sogar über Meere hinweg verbreiten. Und tatsächlich kann er schon bald vermelden, dass viele der Samen noch nach 40 Tagen im Salzwasser gekeimt haben – in einem Zeitraum also, in dem sie von England bis zu den Azoren hätten treiben können. Er züchtet Tauben, um den Prozess einer künstlichen Selektion unmittelbar verfolgen zu können. Und um zu beweisen, dass – analog zu den Galápagosfinken – alle Nachkommen von Ziertauben von einer Art abstammten. Seine Kinder beauftragt er, auf der Wiese hinterm Haus die Bienen zu beobachten, die nach seiner Erkenntnis die einzigen Bestäuber von Rot-Klee sind und einem festen Flug-Pfad von Baum zu Baum zu folgen scheinen.

Verfasser von 14.000 Briefen

Dabei war sein Tagesablauf von einer Routine bestimmt, von der er kaum abwich. Er verbrachte jeden Tag bis zu sechs Stunden in seinem Arbeitszimmer, meist am Vormittag, wo er seine Proben untersuchte, Korrespondenz erledigte oder Bücher schrieb. Während er sich nach dem Mittag­essen ausruhte, las ihm seine Frau seine umfangreiche Post vor. Im Laufe seines Lebens hatte er mit rund 2000 Menschen korrespondiert, mehr als 14.000 Briefe geschrieben und empfangen. Die Briefe waren für ihn – auch weil er wegen seines Gesundheitszustandes schlecht reisen konnte – eine wichtige Verbindung zur Außenwelt. Sie brachten ihm Informationen über Tiere, Pflanzen und Landstriche aller Herren Länder ins Haus. Er nutzte sie aber auch zum fachlichen Austausch mit Kollegen und Freunden.

Spaziergänge auf dem „Thinking Path“

Und jeden Morgen, vor dem Mittagessen und am Nachmittag unternahm er ausgiebige Spaziergänge auf dem Wanderweg hinterm Haus – auch „Thinking Path“ genannt. Das ist Teil seines Kampfes gegen seine angeschlagene Gesundheit. Seit seiner Reise mit der Beagle hatte er mit Magenschmerzen und Hautproblemen zu kämpfen. Es war aber auch eine wunderbare Gelegenheit, jahrein jahraus die Natur in den wechselnden Jahreszeiten zu beobachten. Hier konnte er verfolgen, wie auf dem angrenzenden Feld, das längere Zeit brach gelegen hatte, sich im Lauf eines Jahres 142 Pflanzen angesiedelt hatten, „die 108 Arten zugeordnet werden konnten und 32 der insgesamt 86 Ordnungen, in die die Pflanzen in England klassifiziert sind“.

Hier wurde er auch Zeuge, wie ein Dornbusch, in dessen Schutz ein kleines Bäumchen gedieh, schließlich von diesem verdrängt wurde, weil es über seinen Beschützer hinauswuchs und ihm dann das Licht nahm. Die Menschen um ihn herum konnten den Sinn seines Tuns nicht unbedingt nachvollziehen. So soll sein Gärtner eines Tages über ihn gesagt haben: „Er streift durch den Garten, und ich habe ihn zehn Minuten vor einer Blume stehen sehen. Wenn er nur etwas zu tun hätte, würde es ihm, glaube ich, besser gehen.“

1856 begann er auf Betreiben von Charles Lyell damit, seine Gedanken für ein Buch zum Thema „natürliche Selektion“ zu formulieren, ein Projekt, das ihn viele Jahre beschäftigte. Anders, als lange Zeit angenommen wurde, hielt Darwin seine Ideen nicht geheim und diskutierte sie mit vielen Kollegen und Freunden, sagt John van Wyhe. Wichtige Gesprächspartner und Weggefährten waren neben Charles Lyell der Botaniker Joseph Dalton Hooker und Thomas Huxley, die später auch zu seinen stärksten Verbündeten werden sollten.

Zwei Vertreter ein und derselben Theorie

Im Juni 1858 jedoch schreckte ihn eine Briefsendung von Alfred Russel Wallace auf. Der Forschungsreisende, der sich seinen Lebensunterhalt durch das Sammeln und Verkaufen von Präparaten verdiente, schickte ihm ein Exposé zu einer Evolutionstheorie, die in verblüffender Weise der Seinen glich.

Um beiden Autoren gerecht zu werden, wurden beide Evolutionstheorien zusammen im Juli 1858 vor der Linnean Society vorgestellt. Allerdings wurde von ihnen kaum Notiz genommen. Im Jahresabschlussbericht 1858 jedenfalls vermerkte der Präsident der wissenschaftlichen Gesellschaft: „Das vergangene Jahr zeichnete sich gewiss nicht durch eine Art aufsehenerregender Entdeckung aus, welche auf einen Schlag die Abteilungen der Wissenschaft revolutionieren, aus denen sie hervorgehen.“

Im November 1859 erschien Darwins Werk „Entstehung der Arten“. Mit seiner Auffassung von Evolution überzeugte er den größten Teil der Wissenschaftsgemeinde. Schließlich war der Boden schon vorbereitet von Evolutionstheorien wie der von Lamarck, aber auch von populären Schriften wie Robert Chambers „Natürliche Geschichte der Schöpfung“. Aber die „natürliche Selektion“ wurde meist nicht akzeptiert. „Tatsächlich ging eine ganze Generation von Biologen davon aus, dass Darwin recht hatte mit seiner Entdeckung über die Evolution, aber dass er sich bei der natürlichen Selektion irrte“, sagt van Wyhe: „Es sollte noch bis zur modernen Synthese von Darwinismus und Mendel’scher Genetik in den 1930er Jahren dauern, bis die natürliche Selektion allgemein anerkannt wurde.“

Die Grundlagen der modernen Biologie

Die anglikanische Kirche äußerte sich zunächst überwiegend ablehnend. Seinen Höhepunkt fand der Konflikt in der Huxley-Wilberforce-Debatte, als im Juni 1860 der Bischof von Oxford, Samuel Wilberforce, und Thomas Huxley, Anatom und Physiologe, bei der Jahrestagung der British Association for the Advancement of Science ihren Streit um die Evolutionstheorie öffentlich austrugen.

Darwin hat die natürliche Selektion immer als eine Entdeckung von Wallace und sich selbst betrachtet. Dennoch ist die Evolutionstheorie untrennbar mit Darwins Namen verknüpft, Wallace der ewige Zweite geblieben. Wallace, so scheint es, war damit einverstanden. Er betonte mehrfach, dass es sich ausschließlich um Darwins Theorie handele, weil dieser sie in allen Einzelheiten ausgearbeitet habe. 1889 dann gab er auch seinen gesammelten Aufsätzen zur Evolutionstheorie den Titel „Darwinismus“ und sorgte damit selbst dafür, dass Darwin als Begründer der Evolutionstheorie gilt.

Neugierde und Ehrgeiz

Wozu all die Fülle? Warum so viel Schönheit? Mit seiner Theorie der Evolution durch natürliche Selektion hat Charles Darwin die Grundlage der modernen Biologie und der Lebenswissenschaften geschaffen. Sie erklärt die Vielfalt des Lebens und wie es Tieren und Pflanzen gelingt, sich an ihre spezielle Umwelt optimal anzupassen. Noch heute wird Charles Darwin als einer der bedeutendsten Wissenschaftler betrachtet. In seiner Biographie, die er 1876 für seine Kinder und Enkel geschrieben hat, sagt er über sich selbst: „Sofern ich mich selbst richtig einschätzen kann, habe ich während der Reise (auf der Beagle) ohne Einschränkung aus reiner Freude am Forschen gearbeitet und bin meinem brennenden Wunsch gefolgt, der Masse von Tatsachen in der Naturwissenschaft noch ein paar neue hinzuzufügen. Aber ich hatte auch den Ehrgeiz, einen ansehnlichen Platz in der Rangliste der Wissenschaftler einzunehmen – ob dieser Ehrgeiz stärker oder schwächer ausgeprägt war als der meiner Kollegen, dazu kann ich keine Meinung bilden.“     Margarete Pauli

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