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Schwerbehindertenvertretung

Vorstellungsgespräch - Pflicht

Vorstellungsgespräch - Pflicht!!!!

§ 82 Pflichten öffentlicher Arbeitgeber

Leitsatz:
Lädt ein öffentlicher Arbeitgeber einen schwerbehinderten Bewerber um eine Stelle nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, kann dies zu einem Schadensersatzanspruch führen.

Anmerkung:
In einem rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts (ArbG) Berlin wird einem schwerbehinderten Beschäftigten eines öffentlichen Arbeitgebers ein Schadensersatzanspruch zugesprochen, weil der Arbeitgeber ihn trotz Kenntnis der Schwerbehinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Nach § 82 Sozialgesetzbuch (SGB) IX müssen öffentliche - nicht private - Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen, der sich um eine freie Stelle bewirbt, zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Dies ist nur dann nicht erforderlich, wenn diesem die fachliche Eignung für die Stelle offensichtlich fehlt. Zur Frage der Eignung hat das Gericht geprüft, ob der Bewerber offensichtlich ungeeignet war. Offensichtlich bedeutet dabei unzweifelhaft, also unter keinem Gesichtspunkt für die Stelle geeignet. Dies ist durch den Arbeitgeber nachzuweisen. Da der Bewerber in dem konkreten Fall über das in der Stellenausschreibung geforderte Hochschulstudium und über einschlägige Berufserfahrung verfügte, war die fehlende Eignung nicht offensichtlich. Er hätte daher zwingend eingeladen werden müssen.

Aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Marburg im „Schwerbehindertenrecht“

Das Arbeitsgericht Marburg hat mit Urteil vom 29.07.2005, 2 Ca 65/05 (nicht rechtskräftig) zur Schadensersatzpflicht bei Benachteiligung bei der Einstellung von Schwerbehinderten die Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 15.02.2005, 9 AZR 635/03) klargestellt:

1. Sachverhalt

Nach Ausschreibung einer Stelle war das Bewerbungsverfahren noch im Laufe der Bewerbungsfrist abgebrochen worden, da eine Mitarbeiterin auf diese Stelle umgesetzt werden  konnte. Die Bewerbung eines Schwerbehinderten war nicht sofort an die Schwerbehindertenvertretung weitergeleitet worden. Dem Schwerbehinderten wurde Schadensersatz zugesprochen.

 

2. Rechtslage

Dem Arbeitgeber ist es, dies verlangt schon das Grundgesetz, verboten, Behinderte Menschen zu benachteiligen. §§ 81 und 82 SGB IX treffen hierzu Regelungen. Diese Benachteiligungspflicht gilt insbesondere für die Einstellung.

Der Arbeitgeber muss zunächst die Bewerbung eines/einer Schwerbehinderten sofort nach Eingang an die Schwerbehindertenvertretung weiterleiten (§ 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX).

Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so wird vermutet, dass eine Benachteiligung stattgefunden hat. Dies müsste der Arbeitgeber dann widerlegen. Öffentlich rechtliche Arbeitgeber müssen zusätzlich immer zum Bewerbungsgespräch einladen (§ 82 SGB IX).

Eine Benachteiligung führt dabei jedoch zu keinem Einstellungsanspruch sondern zu einem Schadenersatzanspruch. Wäre der Schwerbehinderte bei Berücksichtigung seiner Bewerbung eingestellt worden, so ist angemessene Entschädigung zu leisten (§ 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX). Diese ist dem Einzelfall entsprechend auszugestalten. Selbst, wenn der/die Schwerbehinderte nicht eingestellt worden wäre, steht ihm/ihr ein Schadensersatzanspruch in Höhe von höchstens 3 Monatsgehältern zu (§ 81 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX). Diese Ansprüche müssen 2 Monate nach Zugang der Ablehnung schriftlich geltend gemacht werden.

 

3. Das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg

Das ArbG Marburg füllt die Rechtsprechung des BAG bezüglich der Reichweite der Entlastungsmöglichkeit aus:

Das begonnene Bewerbungsverfahren kann nur dann abgebrochen werden, wenn kein neuer Arbeitnehmer hierauf eingestellt wird und auch keine interne Umsetzung erfolgte. Dies berechtigt aber nicht dazu, die Bewerbungen zu sammeln und sich dann darauf zu berufen, dass das Bewerbungsverfahren letztlich habe eingestellt werden können. Erst nach korrekter Beendigung des Verfahrens ohne Neueinstellung oder Umsetzung kann auf die sofortige Vorlage bei der Schwerbehindertenvertretung bzw. die Einladung verzichtet werden, keinesfalls vorher. Es gilt deshalb, dass es für den Arbeitgeber teuer werden kann, die Bewerbungsunterlagen von Schwerbehinderten unbeachtet zu lassen. Die Entlastungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber sind weiterhin sehr gering.

Bremen, Oktober 2005

Autoren: RAin Christiane Ordemann, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Rechtsreferendar Christian Schlör

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