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Studentin im 1. Weltkrieg

03/01/2023

Maria Nitschke Berger war eine der ersten Medizinstudentinnen der Universität Würzburg. Ihr Enkel, Professors Nepomuk Riva, schreibt hier über ihr Leben.

Maria Nitschke Bergner (Bild: privat)

Als Ethnomusikologe mit einem Forschungsschwerpunkt in Westafrika habe ich es immer wieder mit afrikanischen Gemeinschaften zu tun, für die ihre Ahnen sehr präsent sind. Dort herrscht der Glaube, dass die Vorfahren in das eigene Leben eingreifen können.

Seitdem ich an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) einen Lehrstuhl vertrete, kann ich ein wenig nachvollziehen, was das bedeutet. Denn hier hat meine Großmutter Maria Bergner 1916 Medizin studiert. Sie war eine der ersten Studentinnen in der deutschen Universitätsgeschichte; in Bayern waren Frauen erst ab 1903 gleichberechtigt zum Studium zugelassen.

Von Mexiko über Lübeck und Leipzig nach Würzburg

Ungewöhnlich war der Lebensweg meiner Großmutter von Beginn an. Als Älteste von drei Geschwistern wurde sie 1897 in Mexiko-Stadt geboren, wo ihr Vater Vertreter der Firma Krupp war. Nach seinem frühen Tod 1906 kam die Familie zurück nach Lübeck. Dort starb auch ihre Mutter bereits 1912. Durch die Großfamilie unterstützt und mit einem sehr zielstrebigen Charakter versehen, erreichte sie, dass sie als 14-Jährige in ein Jungengymnasium aufgenommen wurde. Nachdem sie eine Klasse übersprungen hatte, legte sie 1915 das Abitur ab.

Während des Ersten Weltkriegs nahm Maria Bergner zunächst ein Medizinstudium in Leipzig auf. Nach Vorlesungen über die Geschlechtsorgane war sie allerdings so entsetzt von der Offenheit, mit der hier über dieses Thema gesprochen wurde, dass sie für kurze Zeit lieber Juravorlesungen hörte. Sie setzte ihr Medizinstudium 1916 in Würzburg fort.

In ihren Briefen aus dieser Zeit schreibt sie, dass die Stadt für sie im „tiefsten Frieden“ zu liegen schien. In der Kriegszeit besuchten nur wenige Männer die Vorlesungen: künftige Sanitäter, Kranke oder Verwundete. Maria Bergner plante, mit ihrer Freundin zusammen ihr Physikum so schnell wie möglich abzulegen, was ihr auch gelang.

In Würzburg verlobte sie sich auch – eine Verbindung, die sie allerdings bald darauf wieder löste, um unabhängig zu bleiben. 1917 wechselte sie nach München und Freiburg, wo sie ihr Medizinstudium abschloss und promovierte.

Ehrung durch die Medizin-Fakultät der Universität Tübingen

Nach dem Staatsexamen arbeitete Maria Bergner privat als Ärztin in einer Familie mit einem behinderten Kind und begann eine Ausbildung als Assistenzärztin an der Universitätsklinik in Erlangen. Ein Stellenangebot in einem Labor der Düsseldorfer Kinderklinik sagte sie ab, als sie 1924 den Internisten und späteren Kinderarzt Alfred Nitschke heiratete. Trotz ihrer jungen Familie (sie bekam zwischen 1926 und 1931 drei Söhne) arbeitete sie für eine gewisse Zeit als Vorlesungsassistentin an der Freiburger Universitätskinderklinik.

Während des Zweiten Weltkriegs war sie halbtags an der Universitätskinderklinik in Halle an der Saale tätig. Nach dem Tod ihres Mannes, meines Großvaters, 1960 gründete sie in Tübingen den Lebenshilfe-Verein mit dem ersten Kindergarten für Kinder mit Behinderungen. Später organisierte sie die erste Werkstätte für Erwachsene mit Behinderungen. 1968 verlieh ihr die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen für dieses Engagement die Leonhart-Fuchs-Medaille.

Voller Lebenslust und Energie

Ich hatte das Glück, sie bis 1991 als hochbetagte Frau erleben zu dürfen. Klein und zierlich, voller Lebenslust und mit einer unermüdlichen Energie, alle Beschwerlichkeiten des Lebens zu bekämpfen oder andere dazu anzustacheln. Dabei verlor sie nie den Humor. Außerdem war sie mit einer schonungslosen Direktheit gesegnet: Bei aller Zuneigung zu uns Enkeln kritisierte sie alle ihrer Meinung nach falschen Entwicklungen oder Meinungen sehr deutlich.

Zu wissen, dass ich nun an der Universität arbeite, an der meine Großmutter Maria Bergner vor über 100 Jahren unter ganz anderen Bedingungen studiert hat, hilft mir immer wieder, über so manche Herausforderungen hinwegzukommen.

 

Von Prof. Dr. Nepomuk Riva, Lehrstuhl Ethnomusikologie der JMU

 

Maria Nitschke Berger 1923

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