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    Theologe: Eigentlich ist Weihnachten ja ein verrücktes Fest

    29.12.2005

    Der Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs von der Uni Würzburg hat die Bräuche rund um den Hei­li­­gen Abend erforscht und dabei festgestellt, dass vie­le von ihnen einen christlichen Hintergrund be­sitzen. Allerdings geht das Wissen um die reli­giöse Bedeutung immer mehr verloren.

     

    Herr Professor Fuchs, wann haben Sie eigentlich das erste Mal Weihnachten ohne Ihre Eltern ge­fei­ert?

    Das war kurz nach meinem Studium. Ich hatte hier in Würzburg schon als Student einen kleinen Chor geleitet. Und irgendwann in dieser Zeit haben wir an Weihnachten im Juliusspital gesungen und sind anschließend durch die Stationen gezogen. Da hat es sich einfach ergeben, dass ich anschließend nicht mehr heimgefahren bin.

    Ein heikler Moment, dieses erste Mal allein. Ir­gend­­wie fühlt man sich ja seinen Eltern gegenüber doch verpflichtet.

    Ja, die Bedeutung der Familie an Weihnachten ist hoch. Als Kind fühlt man sich in dieser Familie auf­ge­­hoben, geborgen, man steht im Mittelpunkt, wird beschenkt, geliebt – zumindest in vielen Fällen. Und des­wegen ist dieser Sprung raus auch mit einem schlech­ten Gewissen verbunden: Man will ja dank­bar sein gegenüber den Eltern und ihnen das zurück­ge­ben, was sie einem als Kind gegeben haben.

    Was machen denn eigentlich die Eltern, wenn die Kin­der weg sind?

    An Weihnachten, habe ich den Eindruck, sind vie­le erst einmal verunsichert: „Was machen wir denn jetzt?” Die Kinder sind ja ein Objekt, und man selbst steckt in einer Rolle. Die Eltern inszenieren für die Kin­der. Wenn aber das Objekt fehlt, fällt der Sinn auf einen selbst zurück. Und da fragt man sich: „Was ma­che ich hier eigentlich?” Ich bin mir sicher, dass Vie­le dann einfach fernsehen. Man isst etwas, knallt sich vor die Glotze, und geht dann eventuell noch in die Kir­che.

    Man könnte ja auch froh sein, dass einem endlich die­se aufwändige Inszenierung erspart bleibt.

    Im Grunde muss man sie ja sowieso nicht ma­chen. Eigentlich ist Weihnachten ja ein verrücktes Fest. Ich glaube, die ganzen Spannungen rühren nur da­­her, dass man sich einem solch merkwürdigen Mo­dell unterworfen sieht, das das ganze Jahr sonst nie prak­tiziert wird. Vom Religiösen bis hin zu dieser In­s­ze­nierung und Präsentation, und Jeder muss sich ganz definiert verhalten.

    Von Guido Fuchs ist im Verlag Friedrich Pu­s­tet das Buch „Heiligabend. Riten, Räume, Re­qui­si­ten“ in der Reihe „Liturgie & Alltag“ er­schienen.

    Und wenn es nicht klappt, ist die Enttäuschung groß.

    Ja, genau. Das ist das eine, was zum Stress führt. Das andere ist, dass der Heilige Abend für viele Men­schen Vorbereitung und Fest an einem Tag bedeutet. Schließ­lich arbeiten Viele am 24. Dezember noch bis 13 Uhr. Dann ab nach Hause, Vorbereitung und um 16 Uhr Bescherung. Die müssen doch wahnsinnig wer­­den.

    Umso seltsamer, dass die Kinder, wenn sie aus dem Haus sind und selbst Kinder haben, in der Regel die gleiche Tradition wieder aufnehmen.

    Ja, weil sie es so kennen gelernt haben. Es war ja auch viel Freude und Beglückung damit verbunden: die Geschenke, man durfte spielen, abends lange auf­blei­­ben. Dieses Wohlfühlen will man sich selbst noch ein­mal zurückholen und weitergeben.

    Heutzutage steht der 24. Dezember im Mit­tel­punkt der Feier. Dabei ist da noch gar nicht Weih­nach­ten.

    Nein, da ist nicht Weihnachten. Es handelt sich um den Vortag, erst ab dem Abend ist Weihnachten – so wie nach christlichem Verständnis der Samstag­abend zum Sonntag gehört. Weshalb wir in Nord­deutsch­land ja auch Sonnabend sagen. Aber der Tag als solcher ist noch nicht das Fest. Früher war es ein Tag, der von Buße und Fasten geprägt war.

    An dieser Verschiebung ist auch die Kirche be­tei­ligt, wenn sie schon am 24. Dezember nach­mittags die Hauptgottesdienste anbietet.

    Ja, früher hat der eigentliche Festgottesdienst am 25. Dezember tagsüber stattgefunden – dem alten Da­tum der Wintersonnwende. Der Tag, an dem man in Rom die Geburt des unbesiegbaren Sonnengottes ge­feiert hat – woraus sich dann möglicherweise Weih­nach­ten entwickelt hat nach dem Motto: „Wir feiern das Fest der Geburt der wahren Sonne”. Dann sind wei­­tere Gottesdienste dazu gekommen: Erst in der Nacht, dann am frühen Morgen des 25., und in jüng­ster Zeit am Abend, beziehungsweise Nachmittag des 24. Dezember.

    Und je früher der Termin, desto voller die Kir­chen.

    Genau. Der Nachmittagsgottesdienst ist proppe­voll – und anschließend geht man zur Bescherung. Und die Mette, die vor zehn Jahren noch voll war, ist jetzt allenfalls zu drei Vierteln gefüllt. Um 23 Uhr fin­­det dann auch im öffentlichen Leben ein Schnitt statt: Gedämpfte Musik bis dahin, und danach geht man wieder in die Vollen. Auf die Piste.

    Als Jugendlicher.

    Ja. Das ist mir erst vor ein paar Jahren bewusst ge­­worden, als ich nachts mit dem Taxi unterwegs war, und mir der Taxifahrer erzählt hat, was da so al­les abgeht. Das kriegt man zu Hause ja gar nicht mit. Es gibt eine riesige Weihnachtsszene, ach was: Sze­nen unterschiedlichster Art.

    Das werden Sie erleben, wenn Ihre Kinder älter sind.

    Ja, wahrscheinlich. War für uns undenkbar. Man geht doch nicht an Weihnachten weg. Da bleibt man in der Familie.

    Das ist genauso schlimm wie Fernsehen an Hei­lig­abend.

    Es gibt eben diese Regeln. So, wie man früher ge­sagt hat: Sonntags spielt man nicht mit seinen Freun­den. Da hat man seine Sonntagskleider an und be­sucht höchstens die Verwandtschaft.

    Dunkelheit, Kälte und Schnee sind wichtige At­tri­bu­te für das Weihnachts-Wohlgefühl. Die braucht man, damit es einem so richtig warm ums Herz wird. Ich frage mich, wie Weihnachten eigent­lich auf der Süd­halbkugel funktioniert.

    Das sind wahrscheinlich die Erlebnisse, die man da­­mit verbindet. Dabei müsste man direkt mal über­le­gen: Wie oft lag denn wirklich Schnee, als Sie jung wa­ren?

    In der Erinnerung immer.

    Immer. Viel mehr als heute. Ich kann mich nur an ein oder zwei Weihnachten in den letzten Jahren er­in­nern, an denen tatsächlich Schnee lag. Aber eigent­lich sonst nie. Trotzdem glaube ich nicht, dass ich Weih­­nachten in Australien feiern möchte – wahr­schein­­lich wäre es mir zu warm. Wie feiert man da?

    Angeblich mit dem Christbaum am Strand.

    Dieses Fest ist ja eh internationaler und inter­re­li­giö­ser geworden. Natürlich ohne spezifischen In­halt. Die christliche Botschaft ist nur noch in An­sätzen spür­bar, auch wenn sie wichtig ist. Zum Bei­spiel das Beschenken der Armen, was bei uns in­zwischen insti­tu­tio­nalisiert ist durch Spenden­ak­tionen.

    Finden Sie das als Theologe nicht schrecklich: Der christliche Hintergrund verschwindet so lang­sam, während das Fest immer populärer wird.

    Tja, man könnte immerhin sagen: Das Christen­tum hat es auf diese Weise geschafft, einen seiner Ur­ge­­danken weiterzugeben und zu verallgemeinern: Dass es wichtig ist, sich der Notleidenden und der Be­­dürftigen anzunehmen. Aber die Frage, die ganz am Anfang stand, spielt heute keine Rolle mehr: Gott wird Mensch. Wie wird er das? Und: Wie wird er Mensch? Ist er Gott und Mensch zugleich, sozusagen ein Gott, der sich als Mensch verkleidet? Der Grund­ge­danke ist zwar noch da, aber ohne jede christliche Tie­­fe. Das geht so weit, dass in den USA inzwischen rich­ter­lich festgestellt wurde, dass Weihnachten kein aus­schließlich christliches Fest ist.

    Was muss passieren, damit der religiöse Gedanke wieder stärker in den Mittelpunkt rückt?

    Ich glaube, wir sind in einer Situation, die mit der zu Beginn des Christentums vergleichbar ist. Als Chris­ten dem, was sie in der Kultur, in der Ge­sell­schaft vorfanden, das Ihrige gegenüberstellten. In­dem sie den 25. Dezember, an dem die Römer ihren Son­nen­­gott angebetet haben, zu einem christlichen Fest­tag gemacht haben. Ein Anfang wäre für mich schon, dass man zum Beispiel den Advent wieder Ad­vent sein lässt. Schließlich war die Adventszeit bis vor hun­dert Jahren noch eine Art zweiter Fasten­zeit, eine Zeit der Besinnung.

    Aber ist Fasten heute nicht auch nur ein Mode­trend ohne religiösen Hintergrund, wenn der Eine aufs Fernsehen, der Andere auf Zigaretten und der Drit­te auf Süßigkeiten verzichtet?

    Nicht unbedingt. Diese Einteilung in „Fleisch“ und „kein Fleisch“ basiert ja im Grunde auf einer Ver­­kennung von Zusammenhängen. Man hatte im Mit­tel­alter gedacht, Fleischeslust hänge mit dem Fleisch­­verzehr zusammen. Fasten wurde also stark un­ter der sexuellen Komponente gesehen. Dabei geht es beim Fasten um all die Folgen, die das für Körper, Geist und Seele hat. Dass wir darauf verzichten, ist ein Riesenverlust.

    Heute zählt es als besondere Leistung, wenn man nicht schon vor dem 1. Advent Lebkuchen, Spe­ku­la­tius und Christstollen gegessen hat.

    Christstollen hat man früher am 24. Dezember nach­­mittags angeschnitten. Das war in vielen Fa­mi­li­en der Beginn des Rituals: Man schneidet den Stollen an, trinkt Kaffee oder Tee. Ich glaube, dass die Men­schen sich dadurch um etwas bringen. Das War­ten und Erwarten-Können ist ja auch eine wesent­liche Bot­schaft von Weihnachten. Nicht, wie man heute so sagt: „Alles sofort, zahlen später, höch­ster Genuss, aber bitte gleich“. Das tut uns nicht gut.

    Also: Rituale ja, aber mit Besinnung auf das We­sent­liche.

    Wenn es geht, bitte mit einem christlichen Ritual. Aber es hat keinen Wert, wenn man das nur einmal macht im Jahr. Wenn es aufgesetzt ist, dann tut es Kei­­nem gut. Es muss in dem gewachsen sein, was man kennt und was man für sich machen kann. Es wä­re schon schön, wenn Weihnachten nicht allein auf die Geschenke beschränkt bliebe. Man sollte sich auf die Inhalte des Weihnachtsfestes besinnen. Leider gibt es viele Menschen, die die Hintergründe nicht mehr kennen. Ich hatte vor ein paar Jahren ein Inter­view mit einem Journalisten, der dann mittendrin sag­te: „Jetzt muss ich noch mal nachfragen: Sie sag­ten: Am 25. Dezember ist Jesus geboren?” Der wuss­te das gar nicht. Und ich glaube, so geht es Vielen.

    Da sind die Kirchen aber nicht ganz unschuldig dran.

    Das stimmt, leider. Die Kirchen geben dem Trend zu sehr nach, indem sie zum Beispiel die Gottes­diens­te zeitlich vorziehen, statt bewusst an der Mitter­nachts­symbolik festzuhalten. Ich glaube aber, dass die Menschen heute nach dem bewusst Anderen su­chen. Das, was die Anderen auch machen, das ma­chen die Kirchen nicht besser. Aber das bewusst An­de­re schon – zum Beispiel den Gottesdienst für Nicht-Glaubende im Erfurter Dom am 24. Dezember um Mitternacht. Da kommen regelmäßig bis zu 3.000 Be­­sucher. Das zeigt doch: Das Bedürfnis ist da.

    Das Gespräch führte Gunnar Bartsch.

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