Forscher finden Risiko-Gen für die Legasthenie
08.11.2005Etwa fünf Millionen Deutsche haben große Schwierigkeiten, lesen und schreiben zu lernen. Von dieser so genannten Legasthenie sind häufig gleich mehrere Mitglieder einer Familie betroffen – also scheinen die Erbanlagen bei der Entwicklung der Lese-Rechtschreibschwäche eine wichtige Rolle zu spielen.
Wissenschaftler der Universitäten Marburg, Würzburg und Bonn haben jetzt mit schwedischen Kollegen erstmals den Beitrag eines Gens nachgewiesen, und zwar bei Kindern mit einer schweren Lese-Rechtschreibschwäche. Wie das Gen genau zur Störung beiträgt, ist bislang aber noch nicht bekannt. Möglicherweise spielt es bei der Wanderung von Nervenzellen im sich entwickelnden Gehirn eine Rolle. Diese neuen Ergebnisse werden in der Januar-Ausgabe des „American Journal of Human Genetics“ beschrieben.
Von der Uni Würzburg war Professor Andreas Warnke, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, an dieser Arbeit beteiligt. Zusammen mit seinen Kollegen aus Marburg hatte er über Jahre hinweg nach Familien gesucht, in denen mindestens ein Kind von der Lese-Rechtschreibschwäche betroffen war. In Blutproben der Familien suchten die Forscher dann nach Risiko-Genen – und wurden schließlich fündig.
Das Gen liegt in einer Region von Chromosom 6, die schon Wissenschaftler aus den USA und England in einen Zusammenhang mit der Lese-Rechtschreibschwäche gestellt hatten. Doch es war das deutsch-schwedische Team, dem in dieser Region nun die Identifizierung eines einzelnen Gens gelang. Es trägt den Namen DCDC2 und scheint einen wichtigen Beitrag zur Entstehung der Legasthenie zu leisten.
Bei Legasthenikern ist das DCDC2-Gen häufig verändert. Besonders oft fand sich die abweichende Variante bei Kindern mit einer besonders schweren Rechtschreibschwäche. Die Erbanlage ist daher vermutlich vor allem für die Verarbeitung von Sprachinformation beim Schreiben wichtig. Die Forscher wollen nun die Funktion von DCDC2 im Detail aufklären und herausfinden, warum Kinder, bei denen dieses Gen verändert ist, ein höheres Risiko für Rechtschreibprobleme haben.
Etwa fünf Prozent aller Deutschen sind Legastheniker. Trotz guter Intelligenz und regelmäßigem Schulbesuch scheitern sie daran, Texte zu lesen und sich schriftlich mitzuteilen. Bei vielen Kindern wird die Lese-Rechtschreibschwäche zu spät erkannt – meist erst dann, wenn sie aufgrund ihrer ausgeprägten Schwierigkeiten in der Schule psychische Störungen entwickeln.