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    Die Lücke zwischen Norm und Praxis

    21.04.2015

    Wie beispielsweise ein Gottesdienst oder eine Andacht abzulaufen hat, ist von den christlichen Kirchen genau vorgegeben. Was aber, wenn die Akteure sich nicht an diese Vorgaben halten? Theologen der Universität Würzburg untersuchen solche Abweichungen in einem neuen Forschungsprojekt.

    Warum weichen Priester bisweilen von der Liturgie ab? Diese und weitere Fragen untersucht ein neues Forschungsprojekt an der Uni Würzburg. (Foto: marcp_dmoz / Flickr.com / CC BY-NC-SA 2.0)
    Warum weichen Priester bisweilen von der Liturgie ab? Diese und weitere Fragen untersucht ein neues Forschungsprojekt an der Uni Würzburg. (Foto: marcp_dmoz / Flickr.com / CC BY-NC-SA 2.0)

    „Unter der Liturgie, dem griechischen Begriff für ‚Dienst am Volke‘, wird das gesamte gottesdienstliche Tun der Kirche verstanden, zum Beispiel die Feier der Eucharistie, die Spendung der Sakramente, Wortgottesdienste, Andachten und Prozessionen.“ So heißt es im Kirchenlexikon der Diözese Würzburg. Wie dieses „gottesdienstliche Tun“ abzulaufen hat – auch das ist Teil der Liturgie. Wer von Liturgie spricht, meint deshalb häufig auch die Ordnung der religiösen Feiern – angefangen bei Gebet und Gesang über Gestik und Gewänder bis hin zu Symbolen und Sakramenten.

    Vermeintlicher Liturgiemissbrauch sorgt für Ärger

    Alles geregelt also im Gottesdienst? Wer dieser Meinung anhängt, muss nur einmal den Begriff „Liturgiemissbrauch“ googeln. Unter den „ungefähr 114.000 Ergebnissen“ finden sich jede Menge Äußerungen erboster Christen, die ihrem Unmut über tatsächliche oder vermeintliche Abweichungen von der Liturgie Luft machen.

    Solche Abweichungen stehen im Mittelpunkt eines neuen Forschungsprojekts an der Universität Würzburg. Sein Titel: „Liturgische Akteure: Normen und gottesdienstliche Praxis“. Die Professoren Martin Stuflesser, Inhaber des Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft, und Hans-Georg Ziebertz, Inhaber des Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, leiten es gemeinsam. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert das Projekt in den kommenden drei Jahren mit rund 186.000 Euro.

    Die Gründe für das Abweichen von den Normen

    „Wir wollen untersuchen, wie liturgische Akteure aus unterschiedlichen Personengruppen – beispielsweise Priester, Diakone und hauptamtliche Laien –, die im kirchlichen Auftrag liturgischen Feiern vorstehen, die normativen Vorgaben zur Liturgie anwenden und was diese liturgischen Akteure dazu bewegt, von den liturgischen Vorgaben abzuweichen und etwaige, situationsbezogene Veränderungen vorzunehmen“, beschreibt Martin Stuflesser das Ziel der Arbeit.

    Zwar sind die liturgischen Feiern in sogenannten „liturgischen Ritualen“ beziehungsweise Büchern schriftlich detailliert fixiert. „Das ist aber in etwa vergleichbar mit dem gedruckten Text eines Theaterstücks mit entsprechenden Regieanweisungen, der sich ja dann auch von der jeweiligen konkreten Inszenierung – als Interpretation literarischer Vorgaben des Autors – unter Umständen massiv unterscheidet“, so Stuflesser.

    Bisher basiere die liturgiewissenschaftliche Analyse gottesdienstlicher Vorgänge zumeist auf einer Untersuchung der einzelnen liturgischen Riten, wie sie in Textbüchern festgelegt sind, so Stuflesser. Demgegenüber ergänze das neue Forschungsprojekt den Methodenkanon der Liturgiewissenschaft nun auch um einen empirischen Forschungsansatz.

    Interviews in vier Bistümern

    Dafür werden die Wissenschaftler vier Bistümer besuchen – Würzburg, Mainz, Essen und eines in Ostdeutschland – und dort Priester, Diakone und Pastoral- beziehungsweise Gemeindereferenten interviewen. Statistische Repräsentativität ist nicht das Ziel der Studie. „Uns interessiert vor allem, warum beispielsweise ein Pfarrer ein spezielles Gebet weglässt oder einen Text verändert, welche Motivation, welche Begründung er dafür hat“, so der Liturgiewissenschaftler. Dabei wollen die Wissenschaftler unterscheiden zwischen jungen, mittelalten und älteren Akteuren, weil diese auf unterschiedliche Weise von den Liturgiereformen der katholischen Kirche geprägt wurden.

    Anhand der Interviews wollen die Wissenschaftler aufzeigen, ob und welche Wahlmöglichkeiten liturgische Akteure haben, aber auch welche Ergänzungen, Abwandlungen oder Abweichungen gegenüber der jeweiligen liturgischen Ordnung sie vornehmen. Im Zentrum der Studie stehen in den kommenden drei Jahren die liturgischen Feiern und Akteure der römisch-katholischen Kirche. Sollte sich die Arbeit als erfolgreich erweisen, hoffen Stuflesser und Ziebertz jedoch, das Projekt zusammen mit evangelischen Kollegen in den Bereich der Ökumene ausweiten zu können.

    Pauschale Kritik an der Liturgiereform

    Veränderungen der liturgischen Vorgaben, die auch von Liturgiewissenschaftlern als Normabweichungen wahrgenommen werden, sorgen in bestimmten Kreisen häufig für heftige Reaktionen – wie der Blick in die Google-Trefferliste zeigt. Dort werden solche Abweichungen gerne mal pauschal als „Liturgie-Missbrauch“ gedeutet und häufig in Verbindung mit einer prinzipiellen Kritik an der Liturgiereform und mit der Klage über eine „mangelnde liturgische Bildung“ zur Sprache gebracht.

    Die Frage nach den Gründen und Ursachen, die zu solchen Änderungen des Ritus führten, kommen dabei, so Stuflesser, entweder gar nicht oder viel zu selten in den Blick. Die empirische Untersuchung soll das jetzt ändern.

    Erfolgreiche Forschung an der Liturgiereform

    Die Erforschung der Wirkungsgeschichte der Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils bildet schon seit mehreren Jahren einen Forschungsschwerpunkt am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Universität Würzburg. Ein ebenfalls von der DFG gefördertes Forschungsprojekt hatte in den Jahren 2010 bis 2013 bereits die Rezeption der Liturgiereform im Bereich der (Liturgie-)Theologie erforscht. Der durch den Lehrstuhl organisierte Forschungskongress der Societas Liturgica: „Liturgiereformen in den Kirchen“ im August 2013 untersuchte die Rezeption der liturgietheologischen Grundanliegen der Liturgiereform des II. Vatikanums im Bereich der Ökumene.

    „Mit der zugesagten finanziellen Förderung des neuen Forschungsprojektes anerkennt die DFG auch die bisherige Forschungsleistung auf diesem Forschungsgebiet“, äußerte sich Martin Stuflesser erfreut über das nun bewilligte Forschungsprojekt. Nach Meinung des Würzburger Liturgiewissenschaftlers werde mit der empirischen Erforschung der Rezeption liturgischer Konzepte ein bislang noch nicht bearbeitetes Forschungsfeld untersucht und damit ein fundamentaler Beitrag zum Verständnis der Wirkungsgeschichte der Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils geleistet.

    Kontakt

    Prof. Dr. Martin Stuflesser, Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft, T: (0931) 31-83139,
    stuflesser@uni-wuerzburg.de

    Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Ziebertz, Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts T: (0931) 31-83130, hg.ziebertz@uni-wuerzburg.de

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