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Inklusion an Hochschulen und barrierefreies Bayern

Universität Würzburg: Zentrale Gelingensbedingungen inklusiver Hochschulbildung für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung in Bayern – Einstellungen, Haltung, Qualifizierung

Hintergrund, Ziele und Vorgehen

Eine Zunahme von Studierenden mit studienbeeinträchtigender Behinderung ist international erkennbar (u.a. Wolman et al., 2008; Sniatecki, Perry, & Snell, 2015; Venville et al., 2016) und auch in Deutschland, anhand der Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerkes, gut belegbar. Während die 20. Sozialerhebung aus 2013 ergab, dass sieben Prozent der Studierenden in Deutschland eine studienerschwerende Beeinträchtigung aufweisen, zeigt die 21. Sozialerhebung bereits einen Zuwachs um vier Prozent (Middendorff et al., 2013, 2017). Absolut betrachtet handelt es sich dabei um ca. 264.000 Studierende. Die UN-BRK sowie die Empfehlung „Eine Hochschule für alle“ fordern u.a. eine Verbesserung der Hochschulsituation für betroffene Studierende. Diesem Anliegen widmet sich das Teilprojekt der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, welches die Identifizierung zentraler Gelingensbedingungen inklusiver Hochschulbildung für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung in Bayern untersucht. Hierzu werden mithilfe einer systematischen Literaturrecherche die nationalen und internationalen Befunde und Leitfäden zum Thema „Inklusion an Hochschulen“ analysiert und anhand eines Mixed-Methods Ansatzes (Gläser-Zikuda, 2012) ergänzt, der qualitative Interviews zu Erfahrungen, Qualifikationen und Einstellungen von Beauftragten und Berater*innen für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung sowie Lehrenden an bayerischen Hochschulen mit einer anschließenden quantitativen Erhebung bayerischer Hochschullehrender verknüpft. Die qualitativ und quantitativ erhobenen Befunde werden mit den evidenzbasierten und praxisbezogenen Literaturbefunden abgeglichen und zu einer Handlungsempfehlung verdichtet. Ziel ist die wissenschaftsbasierte Verbesserung der Studienbedingungen von Studierenden mit Behinderung und chronischer Erkrankung in Bayern. Untersuchungen die sich mit der Studienperspektive auseinandergesetzt haben, existieren bereits (BEST-Studie 2012; Stemmer, 2017; Middendorff et al., 2013, 2017). Um diese Befunde zu ergänzen, werden die bayerischen Beauftragten für die Belange von Studierenden mit Behinderung und chronischer Erkrankung bzw. Berater*innen sowie Lehrende bayerischer Hochschulen fokussiert, da beide Zielgruppen den Studienalltag der Studierenden maßgeblich beeinflussen und systematisch in die inklusive Hochschulentwicklung involviert sind.

Bisheriger Stand

Im ersten Schritt wurden mithilfe einer systematischen Literaturrecherche bisher bestehende internationale und nationale qualitative und quantitative Befunde sowie Leitfäden für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung analysiert. Zusammengefasst hat sich dabei einerseits gezeigt, dass insbesondere im internationalen Forschungsfeld „Studieren mit Behinderung“ umfangreiche Befunde in eigenständigen Peer-Review Publikationsorganen (z.B. Journal of Postsecondary Education and Disability, The Journal of Learning Disabilities) existieren. Andererseits sind diese Befunde u.a. auch aufgrund stark differierender methodischer und inhaltlicher Zugänge sowie einer fehlenden einheitlichen Taxonomie in diesem Forschungsfeld als lückenhaft bzw. nur unzureichend evidenzbasiert zu bezeichnen (Madaus et al., 2016; Dukes et al., 2017; Moriña, López-Gavira, & Molina, 2016; Stemmer, 2016; Lombardi et al., 2016). Um die fortlaufende Systematisierung der Forschungsbefunde im Sinne einer wissenschaftsbasierten Grundlage für die Weiterentwicklung der Praxis zu ermöglichen, wird dazu die jüngst spezifisch für das Forschungsfeld entwickelte PASS Taxonomy (Postsecondary Access and Student Success; Dukes et al., 2017) genutzt, so dass auch zukünftig neu veröffentlichte Untersuchungen systematisch eingeordnet werden können.

Auf Basis der Ergebnisse der Literaturrecherche wurde ein Leitfaden für Experteninterviews mit bayerischen Beauftragten und Berater*innen erstellt, durchgeführt und mit der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring, 2015) systematisch ausgewertet. Aus den Ergebnissen ergab sich neben der Notwendigkeit von strukturell verankerten, individuellen Beratungsangeboten auch die dringend notwendige systemische Einbindung von Universal Design Ansätzen (Stemmer, 2016; Moriña, 2017). Neben baulichen Barrieren bilden knappe zeitliche und finanzielle Ressourcen in Wechselwirkung mit einer Vielzahl an heterogenen und behinderungsspezifischen individuellen Herausforderungen sowie mangelnde Qualifikationen für den Umgang mit nicht-sichtbaren Behinderungen wesentliche Hemmnisse, deren Bedeutung sowie zugehörige notwendige Anpassungen im Bewusstsein der Beauftragten bzw. Berater*innen steigen. Nicht zuletzt wurde die Wichtigkeit der spezifischen Qualifikation und Einstellung von Lehrenden zum Thema im Einklang mit internationalen Literaturbefunden (Zhang et al., 2010; Sniatecki, Perry, & Snell, 2015; Moriña, López-Gavira, & Molina, 2016) bestätigt und damit eine weitere Forschungslücke im deutschsprachigen Raum aufgezeigt. Daran angelehnt wurde ein Leitfaden zur Befragung von Hochschullehrenden entwickelt und in weiteren Experteninterviews quer durch die Fakultäten angewandt. Der Leitfaden fokussierte demografische Daten, Herausforderungen im Lehralltag, Unterstützungsmaßnahmen für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung und Lehrende sowie bestehende Barrieren aus Sicht der Lehrenden. Ausgewählt wurden die Interviewpartner*innen anhand ihrer Fachrichtung, ihrer Deputatshöhe sowie ihrer Beschäftigungszeit an den Hochschulen. Erste Ergebnisse deuten auf heterogene Eigenerfahrungen, Haltungen und Qualifikationen der Lehrenden in Wechselwirkung mit den Studienfachanforderungen (Becker & Palladino, 2016) sowie einer möglichen fachspezifischen Häufigkeit des Kontaktes mit Studierenden mit Behinderung und chronischer Erkrankung.  Um das bisherige Vorgehen (thematisch) zu ergänzen, wurden geeignete quantitative Instrumente gesichtet, die im internationalen Hochschulsetting bereits validiert und etabliert sind (Lombardi et al., 2016). Die Wahl fiel auf den Fragebogen „Inclusive Teaching Strategy Inventory” (ITSI, Lombardi & Murray, 2011). Dessen deutsche Übersetzung und Validierung anhand von Leitlinien zur transkulturellen Übersetzungstechnik (Banville, Desrosiers, & Genet-Volet, 2000) wurde bereits durchgeführt und in ein Online-Survey-Tool eingespeist. Die quantitative Erhebung wird im Laufe des Sommersemesters 2018 im bayerischen Hochschulsetting durchgeführt.

Im weiteren Projektverlauf werden alle Daten aus Recherche und Mixed-Methods Ansatz (Literaturrecherche, Leitfäden, Erkenntnisse aus den Interviews, quantitative Befunde) gebündelt und zu konkreten Handlungsempfehlungen für eine inklusionsorientierte Entwicklung der Hochschulbildung in Bayern verdichtet, um die Situation für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung durch eine wissenschaftsbasierte inklusive Praxis an bayerischen Hochschulen nachhaltig zu verbessern. Zum Abschluss des gesamten Forschungsprojektes ist eine Abschlussveranstaltung mit einem*r internationalen Experten*in aus dem Forschungsfeld „Higher Education, Universal Design and Disability“ als Referent*in geplant.

Literatur

Banville, D., Desrosiers, P. & Genet-Volet, Y. (2000). Translating questionnaires and inventories using a cross-cultural translation technique. Journal of Teaching in Physical Education, 19, 374-378.

Becker, S., Palladino, J. (2016). Assessing Faculty Perspectives About Teaching and Working with Students with Disabilities. Journal of Postsecondary Education and Disability, 29 (1), 62–82.

Dukes III, L., Madaus, J.W., Faggella-Luby, M., Lombardi, A., Gelbar, N. (2017). PASSing College: Taxonomy for Students with Disabilities in Postsecondary Education. Journal of Postsecondary Education and Disability, 30 (2), 111–122.

Gläser-Zikuda, M. (Ed.). (2012). Mixed methods in der empirischen Bildungsforschung. Münster: Waxmann.

Lombardi, A., Gelbar, N., Dukes, L.L., Kowitt, J., Wei, Y., Madaus, J. et al. (2016). Higher Education and Disability. A Systematic Review of Assessment Instruments Designed for Students, Faculty, and Staff. Journal of Diversity in Higher Education. Advance online publication. http://dx.doi.org/10.1037/dhe0000027

Lombardi, A., Murray, C. (2011). Measuring university faculty attitudes toward disability: Willingness to accommodate and adopt Universal Design principles.  Journal of Vocational Rehabilitation, 34, 43–56.

Madaus, J.W., Gelbar, N., Dukes III, L., Lalor, A.R., Lombardi, A., Kowitt, J., Faggella-Luby, M. (2016). Literature on Postsecondary Disabilities Services. A Call for Research Guidelines. Journal of Diversity in Higher Education. Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1037/dhe0000045.

Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz.

Middendorff, E., Apolinarski, B., Becker, K., Bornkessel, P., Brandt, T., Heißenberg, S., & Poskowsky, J. (2017). Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016: 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin.

Middendorff, E., Apolinarski, B., Poskowsky, J., Kandulla, M., & Netz, N. (2013). Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012: 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch das HIS-Institut für Hochschulforschung. Berlin.

Moriña, A. (2017). Inclusive education in higher education. Challenges and opportunities. European Journal of Special Needs Education, 32 (1), 3–17.

Moriña, A., López-Gavira, R., Molina, V.M. (2016). What if we could Imagine an Ideal University? Narratives by Students with Disabilities. International Journal of Disability, Development and Education, 64 (4), 353–367.

Sniatecki, J.L., Perry, H.B., Snell, L.H. (2015). Faculty Attitudes and Knowledge Regarding College Students with Disabilities. Journal of Postsecondary Education and Disability, 28 (3), 259–275.

Stemmer, P. (2016). Studieren mit Behinderung/Beeinträchtigung. Teil I: Recherchestudie - Inklusion im Hochschulbereich. Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.

Stemmer, P. (2017). Studieren mit Behinderung/Beeinträchtigung: Teil 2, Qualitative Befragungen (1. Auflage). Studien zum sozialen Dasein der Person: Band 25. Baden-Baden: Nomos.

Zhang, D., Landmark, L., Reber, A., Hsu, H., Kwok, O., Benz, M. (2010): University Faculty Knowledge, Beliefs, and Practices in Providing Reasonable Accommodations to Students With Disabilities. Remedial and Special Education, 31 (4), 276–286.

Projektleiter: Prof. Dr. Olaf Hoos

Projektlaufzeit: April 2017 bis Juni 2019

Weiterbildungen

Das Ziel des Projekts: Die durch Initiativen wie „Inklusive Hochschule" oder „Bayern barrierefrei 2023" angestoßenen Prozesse zusammenzuführen und wissenschaftlich zu begleiten. Dazu sollen die praxisorientierte Forschung ausgebaut, neue Lehrformen entwickelt, Netzwerke gebildet, Handlungsempfehlungen ausgesprochen und die Fortbildungsangebote ausgeweitet werden.

Als Teilaspekt soll Fortbildungsbedarf der örtlichen Schwerbehindertenvertretungen im Bereich Wissenschaft evaluiert werden. Hierzu wird ein Fragebogen entwickelt.

Mit diesem Fragebogen wollen wir feststellen, wie der Fortbildungsbedarf der örtlichen Schwerbehindertenvertretungen im Bereich Wissenschaft durch die bestehenden Fortbildungsangebote bisher abgedeckt werden konnte verbunden mit einer Weiterentwicklung der Fortbildungsangebote im Bereich Wissenschaft.

 

Aus diesen Seminarwünschen sollen den Schwerbehindertenvertretern im Bereich Wissenschaft ein- bzw. mehrtägige Fortbildungen in München und Würzburg angeboten werden. Die Teilnehmerzahl pro Seminar soll nicht größer als 12 bis 15 Teilnehmer betragen, um einen optimalen Wissenstransfer zu gewährleisten. Nach der Auswertung können wir die ersten Seminare voraussichtlich im April 2017 anbieten.


Ziele

  • Bessere Vernetzung der örtlichen Schwerbehindertenvertretung
  • Erhöhung der Schwerbehindertenquote in unserm Ressort (momentan 4,19 %) durch bessere Kompetenz der örtlichen Schwerbehindertenvertretungen
  • Beratung und Unterstützung der Dienststellen in Schwerbehindertenfragen durch kompetente SBV

Projektleitung: Bernd Mölter, Leitung Schwerbehindertenvertretung Universität Würzburg